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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 10.1899

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Woermann, Karl: Die graphische Kunst der Eskimos
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https://doi.org/10.11588/diglit.5773#0049

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE.

herausgeber:

ULRICH THIEME und RICHARD GRAUL

Verlag von SEEMANN & Co. in LEIPZIG, Gartenstrasse 17.

Neue Folge. X. Jahrgang. 1898/99. Nr. 6. 24. November.

Redaktionelle Zuschriften nimmt ausser Herrn Dr. U. Thieme, Leipzig, Erdmannstr. 17 auch Herr Dr. A. Rosenberg,
Berlin W., Heinrich Kiepertstrasse 84 entgegen.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur „Zeitschrift für bildende Kunst" und zum „Kunstgewerbeblatt" monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und mnfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der „Zeitschrift für bildende
Kunst" erhalten die Kunstchronik gratis. - Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlags-
handlung keine Gewähr. Inserate, ä 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditonen von Haasen-
stein 81 Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

DIE GRAPHISCHE KUNST DER ESKIMOS.1)

von KARL WO ERMANN.

Die Offenbarungen der vor- und aussergeschicht-
lichen Kunst der Ur- und Naturvölker haben die
Kunstforschung vor eine Reihe neuer Fragen gestellt,
die noch keineswegs von allen Kennern in gleichem
Sinne beantwortet werden. Seit Ernst Grosse uns in
seiner anregenden Schrift „Die Anfänge der Kunst"
vor einigen Jahren zu den Naturvölkern des fernsten
Südens und des höchsten Nordens geführt, ist die
Völkerkunde unablässig bemüht gewesen, für engere
Bezirke ihres weiten Gebietes künstlerische Ent-
wicklungsgesetze aufzudecken, die manchmal freilich
nicht weniger überzeugend wirken würden, wenn man
ihre End- und Ausgangspunkte vertauschte. Jedenfalls
schien die Völkerkunde den Vortritt auf dem Felde
der Erforschung der „Anfänge der Kunst" in Anspruch
genommen zu haben. Inzwischen hat aber auch die
Ur- und Vorgeschichte der Menschheit sich ernsthafter
als je der Kunstforschung zugewandt; Max Hoernes
hat uns vor kurzem mit einem starken, gehaltvollen
Bande über die Geschichte der bildenden Kunst in
der Vorzeit Europas beschenkt, und gleich in der
Einleitung dieses Werkes sucht er die Ansprüche der
Völkerkunde in engere Grenzen zurückzuweisen. „Die
Ausgrabungen," sagt er, „liefern uns Rückstände erster
Ordnung, wogegen die Primitiven unserer Zeit nur
als Rückstände zweiter Ordnung angesehen werden
dürfen." Hoernes hat recht, insofern sich das ver-
hältnismässige Alter der vorgeschichtlichen Kunstfunde
aus den Ausgrabungsschichten oft mit naturwissen-
schaftlicher Genauigkeit ergiebt, wogegen sich die

1) The graphic Art of the Eskimos. By Walter James
Hoffman, M. D. Washington 1897.

aussergeschichtlichen Kunstgegenstände der Völker-
kunde nicht immer mit Sicherheit als unbeeinflusst durch
die Erzeugnisse einer benachbarten Entwicklungsstufe
hinstellen lassen. Indessen hat die Kunst der Völkerkunde
vor der urgeschichtlichen Kunst den grossen Vorzug, uns
nicht mit zufälligen, oft zertrümmerten Überbleibseln,
sondern mit der ganzen Fülle des künstlerischen und
kunstgewerblichen Lebens eines abgelegenen Bevölke-
rungskreises bekannt zu machen; und die Bedenken
gegen ihre Beweiskraft verlieren auch gerade dann an
Gewicht, wenn man den Begriff der Naturvölker so eng
fasst, wie Grosse, der nur die primitiven Völker auf
der Stufe der Jäger und Fischer und daher eigentlich
nur die Buschmänner Afrikas, die Schwarzen Australiens,
einige brasilianische Stämme und die Eskimos Nord-
amerikas als wirkliche Naturvölker gelten lässt. Von
den vorgeschichtlichen Urvölkern der Erde entsprechen
ihnen dann auch freilich eigentlich nur die Menschen
der älteren Steinzeit, vor allen Dingen also jene Höhlen-
bewohner der Renntierzeit Südfrankreichs, deren viele
viele Jahrtausende alte Schnitz- und Ritzarbeiten in
Mammut-Elfenbein und Renntierhorn seit einigen
Jahrzehnten aus tiefen Erdschichten wieder hervor-
geholt, einen geradezu verblüffenden Eindruck auf das
Auge jedes Kunstfreundes machen müssen.

Gerade der Vergleich der Kunst der heutigen
Eskimos mit der Kunst jener Höhlenbewohner der
Dordogne aber hat sich auch als fruchtbar und lehr-
reich erwiesen. Die gleiche Gesittungsstufe, die gleiche
Umgebung, das gleiche Renntierhorn und Elfenbein
(bei den Eskimos freilich öfter Walrosszahn als vor-
sintflutlicher Mammutzahn), das sich zur Verarbeitung
darbot, haben hier wie dort in der That eine Kunst
hervorgerufen, die in der Ritz- und Schnitztechnik,
wie in der unbefangenen Erfassung und Wiedergabe
 
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