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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 10.1899

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Heft 8 (15. Dezember )
DOI Artikel:
Schleinitz, Otto von: Die "Fragonards" aus Grasse in London
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https://doi.org/10.11588/diglit.5773#0065

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE.

HERAUSGEBER:

ULRICH THIEME und RICHARD GRAUL

Verlag von SEEMANN & Co. in LEIPZIG, Gartenstrasse 17.

Neue Folge. X. Jahrgang.

1898/99.

Nr. 8. 15. Dezember.

Redaktionelle Zuschriften nimmt ausser Herrn Dr U. Thieme, Leipzig, Erdmannstr. 17 auch Herr Dr. A. Rosenberg,
Berlin W., Heinrich Kiepertstrasse 84 entgegen.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur ,,Zeitschrift für bildende Kunst" und zum „Kunstgewerbeblatt" monatlich dreimal, in den Sommer-
monatenjuli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der „Zeitschrift für bildende
Kunst" erhalten die Kunstchronik gratis. - Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlags-
handlung keine Gewähr. Inserate, ä 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditonen von Haasen-
stein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

DIE „FRAGONARDS" AUS GRASSE IN LONDON.

In einem unscheinbaren Hause der Stadt Grasse
in den Seealpen befanden sich schon seit langer Zeit
Bilderschätze, deren Besichtigung ziemlich schwer zu
erlangen war: eine Serie von Werken Fragonard's.
Dieser hatte in den kritischen Tagen des Jahres 1793
seine Bilderschätze mit nach seiner Vaterstadt Grasse
geführt, um sie hier bei seinem Freunde Maubert
sicher unterzubringen und möglichst allen Blicken zu
entziehen. Fragonard glaubte jedenfalls mit Recht an-
nehmen zu können, dass die kleine und stille Stadt
Grasse sowohl ihm selbst, wie auch seinen Bildern
vorläufig mehr Schutz als Paris gewähren würde.
Man hielt den Künstler für das am Hofe Geschehene
mit verantwortlich, und betrachtete ihn gleichfalls als
eine Verkörperung des damals bestehenden frivolen
Regiments, und zwar schon allein deshalb, weil seine
Arbeiten vielfach im Auftrage der Madame du Barry
entstanden waren.

In den Glückstagen dieser Dame hatte auch ihm
die Gunst des Hofes besonders gelächelt, und unter
ihrem Schutze war er zum Modemaler geworden. Die
Revolution verdarb seine Stellung vollständig. Er starb
fast ganz vergessen am 22. August 1806 zu Paris.
Jedenfalls muss man anerkennen, dass seine mit ausser-
ordentlicher Verve und höchst gefällig gemalten Bilder
in günstiger Weise als eine Fortsetzung der künst-
lerischen Richtung seines Lehrers Boucher zu be-
trachten sind. Die Vorzüge Fragonard's sind in seinem
sympathisch berührenden Bilde „Le serment d'Amour«
recht deutlich erkennbar. Wenn auch die Themata
beider Künstler dieselben sind: Darstellung der heiteren,
frivolen und geistreichen Gesellschaft Frankreichs, so
sind doch die leichten und zierlichen Schäferscenen,

die mythologischen Allegorien und die galanten Aben-
teuer, welche der Schüler entwirft, in der Regel um
mehrere Töne decenter gestimmt als die seines Meisters.
Trotzdem bleiben seine Sujets nicht weniger verständ-
lich als die von Boucher geschilderten Scenen.

Die oben genannten Schöpfungen Fragonard's
blieben 105 Jahre lang in Grasse. Ihr letzter Besitzer
daselbst, M. Malvilan, schlug schon manch schönes
Gebot aus, endlich jedoch vermochte er im letzten
Winter der Versuchung, sich von seinen Kunstschätzen
zu trennen, nicht zu widerstehen. Der für diese zehn
Bilder Fragonard's gezahlte Preis von einer Million
Mark übertrifft allerdings alles, was die Pompadour
oder die du Barry sich je an Extravaganzen erlaubt
haben dürften. Die jetzigen Besitzer sind die Herren
Agnew in Old Bond Street, welche die Bilderserie
für einige Zeit in ihrer Galerie ausgestellt haben.

Es sind fünf Hauptbilder von ungefähr gleicher
Grösse, und dazu kommen dann noch vier quadratische
Supra-Portas, und ein anderes dekoratives Stück, „Der
Triumph der Liebe«, welches gewissermassen ein
Supplement des Cyklus bildet. Hier in der Ausstellung
wird der ganzen Bilderfolge der Name: „Roman
d'Amour de la Jeunesse" gegeben. Die Bilder waren
ursprünglich als Dekoration für den Hauptsaal im
Pavillon von Louveciennes bestimmt, den Madame du
Barry sich dort erbaut hatte, und der 1770 begonnen
und zwei Jahre später vollendet wurde.

Aus irgend einem Grunde, den weder die Gon-
courts noch Portalis, Fragonard's moderne Biographen,
aufgeklärt haben, wurden die Arbeiten eines anderen
Künstlers, des J. M. Vien, denen Fragonard's vorge-
zogen. Vielleicht waren nach dem Empfinden der
du Barry, die Bilder Fragonard's zu decent gehalten!
Der Geschmack der Favorite sehnte sich wahrschein-
 
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