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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 10.1899

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"Nietenblätter"
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https://doi.org/10.11588/diglit.5773#0114

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„Nietenblätter"

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beim Gemälde liegt natürlicherweise das Hauptgewicht
in den Farben, die zeichnerische Komposition ist der
farbigen Komposition untergeordnet, und so gross ist
in allen Teilen diese Unterordnung unter die Farbe,
dass viele Bilder, wir erinnern nur an landschaftliche
Stimmungsbilder, ohne die Farbe überhaupt nicht
denkbar wären. Es leuchtet ein, dass also der ein-
farbigen Reproduktion, mag sie an sich auch noch
so vorzüglich sein, vom ästhetischen Standpunkt aus
ein unverbesserlicher Mangel anhaftet, da sie das
wesentlichste Moment des Gemäldes — die Farben —
nicht berücksichtigen kann. — In seinem Werke
„Malerei und Zeichnung" urteilt Max K,linger über
diese ästhetische Frage in geistvoller und scharfsin-
niger Weise. — Er schreibt dort:

„Ein Kunstwerk kann nur dann vollendet sein,
wenn es mit dem Material geschaffen worden ist,
welches den erschöpfenden Ausdruck seiner Grund-
idee möglich macht.

Deshalb war die Raffaelische Zeichnung kein
vollendetes Kunstwerk, denn ihre Idee fand erst Ge-
nüge in der Harmonie der Bilder. Deshalb sind
die Reproduktionen und die weite Mehrzahl der
Illustrationen keine Kunstwerke, denn auch ihnen lag
die farbige Darstellung zu Grunde."

Man könnte nun allerdings leicht den Praktiker
Klinger gegen den Theoretiker Klinger ins Feld führen
und sagen: dadurch, dass er Reproduktionen radierte,
habe Klinger selbst seine Theorie ins Wanken ge-
bracht. Wir sind nicht dieser Ansicht, wir sehen in
dem Umstand, dass Klinger seine Theorie durchlöchert
und Reproduktionen radiert hat, weniger einen Fehler
als einen Beweis für die Schwierigkeiten, die sich selbst
einem Genie wie Klinger beim Vorwärtsschreiten über
alte Vorurteile und Traditionen manchmal entgegen-
stellen. KHnger's theoretische Ausführungen über diesen
Punkt sind unanfechtbar, und so sehr wir für Klinger's
grossartige und ergreifende Radierungscyklen uns be-
geistern, so müssen wir doch sagen, dass wir in
seinen — zu Huldigungszwecken wohl ganz geeigneten
— Reproduktionsradierungen eigentlich Kunstwerke
nicht zu erblicken vermögen.

Wir gestehen nun gern, dass wir den Wert
guter Reproduktionen nach Gemälden als Studien-
material zu Erinnerungszwecken durchaus nicht unter-
schätzen — aber wohlgemerkt — nur als Mittel zum
Zweck. Sobald die Reproduktion Selbstzweck sein
will, sobald sie den Anspruch erhebt, ein selbständiges
Kunstwerk zu bieten, ist sie vom künstlerisch-ästhe-
tischen Standpunkt aus zu verwerfen.

Hat aber jemand das Bedürfnis, sich von irgend
einem Gemälde eine Wiedergabe zu verschaffen, so
ist es am geratensten, dass Stich und Radierung, wenn
nicht aussergewöhnliche Gründe dazu zwingen, nicht

berücksichtigt, sondern die ungleich bessere mecha-
nische Reproduktion gewählt wird.

Denn für das Studium hat nur eine objektive
Wiedergabe Wert. Eine Reproduktion in Stich oder
Radierung erregt meist lediglich vom mechanisch-
technischen Standpunkte des Stechers oder Radierers
aus Interesse als Kunstwerk, als erschöpfende Benutzung
künstlerischer Ausdrucksmittel kann sie nicht betrachtet
werden.

In der That verzichteten auch Radierung und
Kupferstich dadurch, dass sie sich — wie es lange
Zeit Brauch war — fast ausschliesslich in den Dienst
der Reproduktion stellten, darauf, selbständige und
der Malerei ebenbürtige Künste zu sein und bereiteten
sich durch das Verkennen und Verwischen ihrer
künstlerischen Aufgabe selbst eine ganz vernichtende
Niederlage.

Als sich die alten Meister der graphischen Künste
bedienten, gingen sie von dem Gedanken, ein Verfahren
zu üben, mit dessen Hilfe sie ihre Gemälde verviel-
fältigen konnten, nicht aus; sie waren vielmehr der
Ansicht — und sie haben diese Ansicht auch klar
zum Ausdruck gebracht —, dass die graphischen
Künste einen ganz eigenen Kunstzweig bilden, der
seine eigenen Ausdrucksmittel und sein eigenes
geistiges Gebiet habe. Sie benützten die graphischen
Künste völlig subjektiv und selbständig.

Erst Epigonen haben aus den graphischen Künst-
lern (zu denen wir auch frei arbeitende Reprodu-
centen, wie z. B. Marc-Anton und die Rubensstecher
rechnen) Kopisten gemacht. Der Schöpfer wurde von
dem Nachahmer, der subjektive Künstler von dem ob-
jektiv sein wollenden Kopisten, das Originalkunstwerk
durch das Surrogat verdrängt.

Das Einzige, was die beiden Verfahren, Kupfer-
stich und Radierung, auf reproduktivem Gebiet noch
hält, ist die Ehrfurcht vor dem Alter. Ist erst diese
letzte Stütze ins Wanken geraten, so ist das Schicksal
jener Künste auf dem Gebiete der Reproduktion be-
siegelt. Doch sie gehen nur unter, um als selbstän-
dige Künste eine glänzende Wiedergeburt zu erleben.

*

Was sollen nun die Kunstvereine thun? Sollen
sie die Pflege des Kupferstiches und der Radierung
unter diesen Umständen ganz aus ihrem Programm
streichen? Keineswegs! Aber sie sollen diese
künstlerisch und technisch edlen und selbständigen
Verfahren in ihrer Reinkultur pflegen, nämlich als
Originalstich und als Originalradierung.

In neuerer Zeit ist ja ein glücklicher künstlerischer
Aufschwung in den graphischen Künsten eingetreten.
Seit Unger's verdienstvollem Wirken haben sich die
deutschen Künstler wieder der Originalradierung und
in neuester Zeit auch dem Originalstich zugewandt.
 
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