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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 10.1899

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Flechsig, Eduard: Die Lösung der Pseudogründewald-Frage: (zur Eröffnung der Cranach-Ausstellung in Dresden)
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https://doi.org/10.11588/diglit.5773#0178

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Die Lösung der Pseudogrünewald-Frage.

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Hauses in Mainz, die kleine Madonna in der Glorie
und die beiden Darstellungen der Messe Gregors in
Aschaffenburg und der Olavsaltar in der Marienkirche
in Lübeck." Derselben Zeit wie das Bamberger Bild
gehört*"der Pflock'sche Altar in Annaberg an. Dann
folgt 1521 ebenfalls in Annaberg der Bergaltar mit
Kopien aus Dürer's Marienleben. Dass alle diese
Bilder nichts mit Lucas Cranach zu thun haben, lehrt
die Vergleichung mit dessen schon angeführten Bildern
von 1516 und 1518. Es ist nicht möglich, dass ein
Künstler zu derselben Zeit das eine Bild auf einen
warmen bräunlichen, das andere auf einen kalten bläu-
lichen Ton stimmt, dass er jetzt seine Falten weich
wie ein geborener Maler, gleich darauf so hart an-
ordnet, wie etwa ein Goldschmied oder Erzgiesser.
Es ist ferner nicht möglich, dass ein Künstler, dem
es nie an Erfindungskraft gefehlt hat, zu einer Zeit,
wo er sich dem 50. Lebensjahre nähert, Anleihen bei
fremden Meistern macht. Nein, der Pseudogrünewald
• ist, das zeigen seine ersten Bilder mit aller Deutlich-
keit, nicht ein alternder, sondern ein noch sehr junger
Künstler. Auf Rechnung der Jugend sind auch die
Fehler zu schreiben, die noch die nun folgenden, wohl
um 1525 entstandenen Bilder zeigen, die h. Sippe
und die sechs Heiligen in Aschaffenburg. So anziehend
sie sind, sie würden noch besser wirken ohne die
auffälligen Verstösse gegen die Linien- und Luft-
perspektive.

Kein einziges der bisher genannten Bilder des
Pseudogrünewald trägt ein Künstlerzeichen. Da stossen
wir beim Weiterschreiten mit dem Jahre 1525 auf
eine Gruppe von Bildern, die durch die bekannte
Schlange als Schöpfungen Lucas Cranach's gekenn-
zeichnet sind und die doch die in den Bildern des
Pseudogrünewald angeschlagene Weise so unmittelbar
fortsetzen, alle seine Vorzüge und Schwächen so deutlich
wiedergeben, dass wir gar nicht in Zweifel sein können:
wir haben hier denselben Künstler vor uns. Das
Zeichen der Schlange, und doch nicht Lucas Cranach!
Wir stehen zunächst vor einem Rätsel.

Weiteren Aufschluss über die Persönlichkeit des
Pseudogrünewald geben seine Holzschnitte. Zunächst
sind von ihm alle Holzschnitte des Hallischen Heilig-
tumsbuchs von 1520 gezeichnet, die sich nicht als
Eigentum des Wolf Traut ausweisen. Aber es giebt
noch eine Menge anderer. Aus den Jahren 1520
bis 1524 kann ich von ihm in Leipziger und Wit-
tenberger Drucken allein über 20 verschiedene Titel-
einfassungen nachweisen, die zu den schönsten und
phantasievollsten Erzeugnissen der Renaissance in
Deutschland gehören. Einige sind bei Butsch, Bücher-
ornamentik der Renaissance, nachgebildet (Tafel 89.
90. 91. — Tafel 92 ist ein schlechter Nachschnitt).
Früheren Entwicklungsstufen des Künstlers gehören
drei Titeleinfassungen an, die 1518 und 1519 in

Drucken Melchior Lotter's in Leipzig vorkommen.
Die beiden ersten sich sehr ähnelnden (1518) stellen
Dichter an der kastalischen Quelle dar. Die dritte,
vom Jahre 1519, ist die bekannte mit dem Engel-
konzert, der h. Familie und der h. Dorothea, die jetzt
als Titeleinfassung der im Erscheinen begriffenen
grossen Weimarer Lutherausgabe verwendet wird
(Butsch, Tafel 88). Bei diesen drei frühen Lotter'schen
Einfassungen kann von Lucas Cranach noch viel
weniger die Rede sein, als bei denen aus dem Anfang
der zwanziger Jahre, in denen sich immerhin manches
findet, was an die Weise erinnert, die wir bisher ge-
wohnt waren als die Lucas Cranach's anzusehen. Mit
welchem Rechte wir dies gethan haben, führen zwei
Holzschnitte aus dem Jahre 1523 vor Augen, die
Bildnisse des Königs Christian II. von Dänemark
(Schuchardt II, S. 309 Nr. 177 u. S. 310 Nr. 178).
Komponiert sind sie ganz in der Art der architekto-
nischen Titeleinfassungen des Pseudogrünewald, nur
dass hier das Bildnis die Stelle des Schriftfeldes ein-
nimmt. Fast alle Motive, die dort gebraucht wurden,
kehren hier ziemlich wörtlich wieder, ebenso dieselben
auffälligen Verstösse gegen die Regeln der Perspek-
tive. Sie müssen also von demselben Künstler her-
rühren. Dieser Künstler hat aber beide Bildnisse
deutlich bezeichnet — mit der Cranach'schen Schlange,
in derselben Form wie auf der 1525 beginnenden
Bilderreihe. Also auch hier das Zeichen der Schlange
und doch auch hier nicht Lucas Cranach! Wie wird
sich das Rätsel lösen?

Vom Jahre 1509 an (nicht eher!) hat Lucas
Cranach die ihm von Friedrich dem Weisen 1508
als Wappenbild verliehene Schlange mit Fledermaus-
flügeln zur Bezeichnung seiner Werke verwendet, bis
ins Jahr 1514 noch mit den Buchstaben L. C, von
1515 ab allein. Noch vor Ablauf des Jahres 1537
erfährt nun dieses in aller Welt bekannte Künstler-
zeichen eine durchgreifende Veränderung: die aufrecht
stehenden Fledermausflügel werden zu liegenden Vogel-
flügeln umgewandelt. Von da ab erscheint das Zeichen
nie mehr in seiner früheren Gestalt. Was war nun
der Grund zu dieser auf jeden Fall befremdlichen
Änderung? Es muss damals etwas vorgefallen sein,
das tief einschnitt in das Leben des alten Meisters,
mehr vielleicht noch in den künstlerischen Betrieb
seiner Werkstatt.

Am 1. Dezember 1537 (nicht 1536!) kam in
Wittenberg die Nachricht an, dass am 9. Oktober in
Bologna Hans (nicht Johann Lucas!) Cranach, der
geniale älteste Sohn des Meisters Lucas, gestorben
sei. Im Sommer 1537 hatte er Wittenberg verlassen,
um wie so viele andere Künstler nach dem gelobten
Land der Kunst, Italien, zu pilgern. Mit ihm war
derjenige geschieden, der fast zwei Jahrzehnte lang
die Leitung der Cranach'schen Werkstatt thatsächlich,
 
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