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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 10.1899

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Rosenberg, Adolf: Die große Berliner Kunstausstellung, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5773#0210

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403

Die grosse Berliner

Kunstausstellung. I.

404

ande Imponderabilien" muss man rechnen, wenn
man die Kunst einer Stadt oder eines Landes nach einer
Ausstellung gerecht beurteilen will.

Ein Werk grossen Stils, ein Meisterwerk schlecht-
hin, bietet die Berliner Kunstausstellung aber doch,
die überlebensgrosse Bronzestatue des „Siegers" von
Louis Tuaillon in Rom, die, wie vor vier Jahren seine
Amazone, vor dem Ausstellungsgebäude im Freien
auf hohem Sockel steht: ein Jüngling, ein griechischer
Ephebe, der nach errungenem Siege im Pferderennen,
den Ölbaumzweig in der erhobenen Rechten, in ge-
messenem Schritt durch die Bahn reitet. Tuaillon,
ein geborener Berliner, ist in Berlin ein Schüler von
R. Begas gewesen. In Rom hat er aber alles ab-
gestreift, was er etwa von seinem Lehrer angenommen
hat. Das Studium der antiken Plastik hat ihn von
allen Schlacken geläutert und ihm eine Reinheit und
einen Adel der Formensprache eingegeben, die seine
Werke, jene Amazone wie diesen Reiter, in unseren
Augen wenigstens, den vollendetsten Schöpfungen
griechischer Plastik nahe bringen, aber nicht unter
dem Gesichtspunkte sklavischer, archaisierender Nach-
ahmung, sondern als Erneuerung antiker Plastik in
modernem Geiste. Die antiken Formen sind mit
durchaus moderner Lebensfülle durchdrungen. Un-
mittelbar von der Natur ausgehend, ist der Künstler
auf eigenem Wege zu jenem Ideale ruhiger Schön-
heit gelangt, das die antike Kunst in ihrer Blütezeit
als ihr höchstes betrachtete.

Was die Berliner Plastik grossen Stils in diesem
Jahre schuldig geblieben ist — freilich nur der Aus-
stellung —, hat die Kleinplastik in reichstem Masse
ersetzt. Sie steht nicht bloss in der technischen Vir-
tuosität und in der Mannigfaltigkeit, Kühnheit, ja Ver-
wegenheit und Ausgelassenheit der Erfindung eben-
bürtig neben der italienischen, belgischen und fran-
zösischen, sondern übertrifft die Ausländer meist noch
an Tiefe und Innigkeit des Ausdrucks. Hier kommen
einmal beide Seiten des deutschen Gemüts, Frohsinn
und Empfindsamkeit, zu voller, durch keine technischen
Unzulänglichkeiten geschmälerter Erscheinung. Sogar
die Grazie, die man bisher als ein Privileg der italie-
nischen und französischen Kleinplastik betrachtet hat,
ist der deutschen nicht mehr fremd. So ist z. B. die
Bronzegruppe „Überrascht" — eine nackte jugend-
liche Wasserträgerin, die von einem Jüngling hinter-
rücks umarmt wird — von F. Lepcke ein Meisterwerk
vollendeter Anmut in der Bildung wie in der Bewegung
der Körper und im Umriss der Gruppe, die sich von
allen Seiten gleich anziehend darstellt. Nächst Lepcke
sind Otto Riesch, Hans Dammann, Leo Koch, Adolf
Karle, G. Morin, Hugo Rheinhold, Ernst Seger,
M.Schauss, ViclorSeifert,CarlWegnervmd OttoMarkert
zu nennen, fast durchweg wenig bekannte oder ganz
unbekannte Namen, deren Träger meist im Anfange ihrer

Entwicklung stehen, aber doch schon eine Virtuosität in
der Technik zeigen, die man erst seit kurzer Zeit in
Deutschland als selbstverständlich bei ausstellungsreifen
Werken betrachtet.

Auch die religiöse Plastik, die im vorigen Jahre
stark in den Vordergrund trat, fehlt in diesem Jahre
fast gänzlich. Aber auch sie ist wenigstens durch
ein Werk grossen Wurfs vertreten: durch die kolossale
Gruppe einer Verspottung Christi von Hermann
Kpkolsky. Es ist ein Bildwerk von einfachem pyra-
midalen Aufbau. In der Mitte steht auf hohem Sockel
der Heiland mit Dornenkrone und gebundenen Händen,
in demutsvoller Ergebung seinen Peinigern preis-
gegeben, die durch zwei Figuren, links durch einen
römischen Soldaten, rechts durch einen Pharisäer, die
Repräsentanten des blindfanatischen Heiden- und Juden-
tums, dargestellt werden. Unten leidenschaftliche Be-
wegung in Wut und Hass, oben die erhabene Ruhe
des göttlichen Dulders. In diesen Gegensätzen liegt
die Wirkung der in allen Teilen mit gleicher Liebe
zur Natur durchgeführten Schöpfung, die in unserer
für die religiöse Plastik nicht günstigen Zeit auch
wegen des damit verbundenen Wagnisses des Künstlers
hoher Anerkennung würdig ist.

Die auswärtigen Bildhauer haben sich auch weit
weniger als sonst an der Berliner Ausstellung beteiligt.
Beachtenswert sind eigentlich nur die kolossale Grab-
figur des Kardinals Fürst Schwarzenberg in betender
Stellung von Josef Myslbeck in Prag, ein Meisterwerk
in grossartigem Realismus und doch von edelster
monumentaler Würde, und zwei längst bekannte
Münchener Werke: das Hochrelief einer Pietä von
Balthasar Schmitt und die Gruppe des um sein sterben-
des Kind bangenden Arbeiterpaares von Christoph
Roth. Wir sind bereits daran gewöhnt, dass uns die
Münchener nur ältere Arbeiten schicken, und der Be-
richterstatter über die Berliner Ausstellung muss des-
halb auch meist die Sendungen der Münchener Maler
übergehen, weil er mit ihrer Erwähnung den Lesern
nichts Neues bringen würde. Der Vollständigkeit
halber muss aber gesagt werden, dass die Münchener
Malerei grossen Stils durch Christian Speyers apo-
kalyptische Reiter und durch das Triptychon mit der
Erschaffung der Eva, der Versuchung und dem ver-
lorenen Paradies von Julius Exter, eigentlich nur eine
riesige Lichtstudie, vertreten ist. Auch sonst fehlt es
nicht an Bildern grossen Stils oder doch wenigstens
grossen Umfangs. An erster Stelle müssen sogar,
was nur selten berechtigt ist, einige Schlachtenbilder
genannt werden, an denen man wirkliche künstlerische
Verdienste, sowohl in der Anordnung wie im Kolorit
und im Temperament der Darstellung, rühmen kann:
der Angriff des Garde du Corps-Regiments in der
Schlacht bei Zorndorf von dem in Berlin thätigen
Polen Adalbert v. Kossak, die Erstürmung des Kirch-
 
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