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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 11.1900

DOI Artikel:
Seeck, Otto: Ein neues Zeugnis über die Brüder van Eyck, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5771#0049

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

HERAUSGEBER:

Professor Dr. Max Gg. Zimmermann

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Qartenstrasse 15

Neue Folge. xi. Jahrgang.

1899/1900.

Nr. 6. 23. November.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst- erhalten die Kunstchronik gratis. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlags-
handlung keine Gewähr. Inserate, ä 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasen-
stein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

EIN NEUES ZEUGNIS UBER DIE BRUDER VAN
EYCK
Von Otto Seeck.
(Schluss.)

Also ist die Geschichte von j'enen 600 Kronen
erfunden? Dies möchte ich um so weniger behaupten,
als der Preis für die Tafeln, die Jan dem Altar hin-
zugefügt hat, ein durchaus angemessener ist1). Indem
ein Küster dem andern seine Weisheit überträgt und
jeder folgende sie fast mit denselben Worten auskramt,
wie sein Vorgänger dies gethan hatte, gewinnt das
Ciceronenlatein eine Festigkeit der Tradition, die es
wohl geeignet macht, zeitgenössische Nachrichten Jahr-
hunderte hindurch mit leidlicher Treue zu bewahren.
Jene Erzählung kann also wahr sein — oder auch
nicht. Denn der auswendig gelernte Salm, den ein
Fremdenführer herzubeten pflegt, bleibt nicht immer
stabil, sondern nimmt auch neue Elemente auf, die
oft von recht zweifelhafter Art sein können. Wenn
ein gelehrter Kenner oder wer sich dafür giebt, vor

1) Wie ich in der oben zitierten Abhandlung gezeigt
habe, sind von Jan die Tafeln mit Adam und Eva und
ihre Rückseiten mit den Sibyllen und Architektur; ferner
die Statue Johannes des Täufers, der grösste Teil der-
Pilgertafel und etwa die Hälfte von der Anbetung des
Lammes. Dazu kommen dann noch die beiden Frauenge-
stalten der Einsiedlertafel, der barhäuptige Reiter in Blau
auf der Richtertafel, die stilllebenartigen Bestandteile der
Verkündigung und Aenderungen an Hintergrund und Basis
Johannes des Evangelisten , durch welche die Perspektive
der Statue verbessert wird. Das Altarwerk umfasst, wenn
wir die Vorder- und Rückseiten gesondert rechnen, im
ganzen zwanzig Tafeln. Davon hat Jan fünf ganz gemalt,
zwei von Hubert begonnene vollendet und an vier an-
deren einzelne Ergänzungen und Zusätze gemacht. Für
die zwei Jahre, die er nach urkundlichen Zeugnissen an
dem Werke beschäftigt war, ist dies bei einem so langsam
arbeitenden Maler genug und übergenug. Doch konnte
der Hofmaler des Herzogs von Burgund wohl beanspruchen,
dass ihm eine zweijährige Arbeit, auch wenn ihr Ergebnis
nicht viel mehr als ein Viertel des ganzen Altarwerkes war,
mit 600 Kronen vergütet werde.

einem Gemälde seine Meinungen vorträgt, so pflegt
der Cicerone sehr die Ohren zu spitzen und macht
sich, was er gelernt zu haben meint, später gern zu
Nutze. Auf diese Weise wird die Hypothese von den
acht Seligsprechungen, die wahrscheinlich irgend ein
Theologe ersonnen hat, unter die Leute gekommen
sein, und auch die Bestimmung des Autornamens
scheint sich auf gleiche Art vollzogen zu haben.

Münzer weiss weder den Maler zu nennen, noch
ist ihm bekannt, dass zwei Künstler an dem Altar
thätig gewesen sind. Die Überlieferung, dass zwei
Köpfe der Richtertafel Bildnisse der Brüder van Eyck
seien, kann also zu seiner Zeit noch nicht bestanden
haben, da sie jene Kenntnis notwendig voraussetzt.
Zudem ist sein Interesse an dem Kunstwerk und
seinem Schöpfer so gross, seine Beschreibung so ein-
gehend, dass er über jene angeblichen Bildnisse ge-
wiss nicht geschwiegen hätte, wenn ihm etwas davon
zu Ohren gekommen wäre.

Im Jahre 1495 wusste man noch, dass demjenigen,
der zu Füssen des Altars ruhte, das Gemälde zu
danken sei; als Dürer fünfundzwanzig Jahre später
nach Gent kam, nannte man es schon »des Johannes
Tafel«. Unterdessen hatte sich also ein Meistername
dafür gefunden, doch beruhte er wohl nur auf dem
Urteil von Kennern, nicht auf wirklicher Überlieferung.
Die Bilder des Jan van Eyck waren damals ja schon
lange wohlbekannt und hochgeschätzt; und wenn ein
kunstverständiges Auge mehrere davon gesehn hatte,
wie dies ja schon in dem nahen Brügge möglich war,
so mussten ihm die verwandten Züge in dem Genter
Altar auffallen. Auf Hubert riet natürlich keiner,
weil sein Name längst vergessen war.

Denn dass der jüngere Bruder den älteren aus
dem Gedächtnis der Nachwelt ganz verdrängt hatte,
ist sichere Thatsache. Die Schriftsteller aus dem Ende
des fünfzehnten und dem Anfang des sechszehnten
Jahrhunderts, die von der Kunst erzählen, Bartholo-
mäus Facius, Filarete, Giovanni Santi, Jean Lemaire,
Vasari in seiner ersten Auflage, rühmen alle den Jo-
hannes mit den höchsten Worten, während sie von
Hubert gar nichts wissen. Aber so seltsam dies auf
 
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