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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 11.1900

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Tafel, Hermann: Die Malerei von heute: ein Überblick
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Gensel, Walther: Die Neuordnung der Louvre-Sammlungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.5771#0236

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455

Die Neuordnung der Louvre-Sammlungen.

456

Diese Resignation der Temperamentvollen begreifen
wir wohl; »das Temperament sprühe von der Spitze
des Pinsels« schrieben wir schon früher, packende,
lebensvolle Malerei auch des Leblosen, eine zu Geist
gewordene Technik, die für verschiedene Aufgaben
und Stimmungen auch einen verschiedenen, aber
immer charakteristischen Ausdruck findet, das sind die
grossen Ziele der Modernen. Und sie haben so hart
zu ringen mit dem »Wie« in der Kunst, dass sie an
das »Was« kaum zu denken wagen, ja dass diejenigen,
die heute schon beides vereinigen wollten in Gestalt
reicher, grosser Motive, meist nur in beidem ein
grosses Fiasko erleben.

Oder drastisch ausgedrückt: »Wer das selten schöne
Farbenproblem sich stellt, einen Schimmel in sonniger
Landschaft zu malen, wird sich hüten, den Gaul
springen zu lassen.« Er begnügt sich in der Regel
damit, wenn er das Tier in seiner farbigen Erschei-
nung wiedergegeben hat, und hört auf, wenn er recht
anfangen sollte in der Durchbildung desselben, in der
Charakteristik des Pferdes, der Rasse, in der Darstel-
lung des Tierischen. Wem sollte es beispielsweise
nicht weh thun, wenn selbst für ein solches Form-
talent, wie Zügel, die Tiere meist nur noch als far-
bige Erscheinungen existieren.

Unsere Enkel dereinst, die lachenden Erben einer
so intensiven, farbensprühenden Arbeit, werden dies
alles spielend vermögen, was uns in unserer Über-
gangszeit fast unmöglich erscheint, wo der Einzelne
eine solch reiche Skala des Kolorits durchlaufen
musste, dass man unserer festen Überzeugung nach
ein Analogon dafür in der Kunstgeschichte nicht findet.
Um dies so ganz zu verstehen, müsste man die Ar-
beiten der letzten 20 bis 25 Jahre irgend eines hervor-
ragenden modernen Malers — wir nennen nur Uhde,
Herterich, Zügel, Dill - in einer Ausstellung ge-
sammelt und chronologisch geordnet beisammen
sehen können und man würde — wie schon gesagt
- etwas Ähnliches an koloristischer Entwicklung, die
bei diesen Künstlern noch lange nicht abgeschlossen
ist, in der Kunstgeschichte wohl kaum aufweisen
können.

Solche Übergangszeiten sind wie der Krieg, hoch
interessant für den zuschauenden Beobachter, hart je-
doch, unerträglich für die Kämpfenden.

»Zu sehen sind diese Dinge freilich schön, aber
sie zu sein, das ist etwas anderes; als ob die Welt
ein Guckkasten wäre«, wie einst der zornige Schopen-
hauer den Optimisten zurief.

Und ein Übergangsstadium ist unsere heutige
Kunstentwicklung, in ihrer kolossalen Massenproduktion
von zahllosen flüchtigen Arbeiten ein ungemein cha-
rakteristischer Ausdruck für unsere Zeit überhaupt, in
der alle vorwärts hasten in der sehnsüchtigen Hoff-
nung, dass es doch einmal anders werden, dass wie
in der brennend heissen Wüste eine kühle Oase, eine
ruhigere Zeit kommen möge, eine Zeit des Sich-auf-
sich-selbst-Besinnens, in der man nicht mehr ge-
zwungen ist, Entwicklungsperioden, nach Umfang und
Reichtum die eines Jahrzehnts, in einem Jahre absor-
bieren zu müssen,

DIE NEUORDNUNG DER LOUVRE-
SAMMLUNGEN.

Die neuen Säle der Gemäldesammlung des Louvre,
für deren Eröffnung der 1. Mai in Aussicht genom-
men war, sind nun endlich am 21. Mai vom Präsi-
denten der Republik feierlich eingeweiht worden. Vor
etwa einem halben Jahre konnte ich schon berichten,
dass die unter Napoleon III. erbaute, zur Zeit der
Kommune aber völlig zerstörte Salle des Etats, die
| sich am Ende der Grande Galerie befindet, hergestellt
und zugleich mit den um sie herumlaufenden Korri-
doren einem Teil der Sammlungen eingeräumt werden
würde. Da in den neuen Räumen nun nicht nur die
grossen Rubensbilder, sondern auch sämtliche hollän-
dische und ein beträchtlicher Teil der übrigen vlämi-
schen Gemälde Platz fanden, wurde eine völlige Neu-
ordnung der Sammlung ermöglicht. Diese hat sich
vorläufig auf alle ausländischen Schulen und die älte-
sten französischen Bilder erstreckt und ist so durch-
greifend, dass man die Säle kaum wiedererkennt und
sich jedenfalls mit den alten Reisehandbüchern in
ihnen nicht mehr zurechtzufinden vermag. Der grösste
Gewinn ist, dass die Bilder jetzt viel weitläufiger
hängen und dass man so Meisterwerke voll geniessen
kann, die früher in die zweite und dritte Reihe ver-
bannt waren oder von ihren Nachbarn erdrückt wur-
den. Dann aber hat man sich auch bestrebt, die
Werke übersichtlicher zu gruppieren und die Entwick-
lung der einzelnen Schulen deutlich zum Ausdruck
zu bringen.

Im Salon Carre dominieren jetzt weit mehr noch als
früher die Venezianer. Neben der Grablegung Tizian's
; hängt jetzt seine Dornenkrönung, neben dem jungen
Mann mit dem Handschuh das Porträt Franz' I. Von
Veronese ist noch eine heilige Familie aufgenommen
worden, Giorgione's Konzert hat besseres Licht er-
halten. Dann aber ist auch Tintoretto der Ehren
des Salon Carre teilhaftig geworden. Seine Susanna,
die früher kaum beachtet wurde, hat sich nun nach
der Reinigung als ein Meisterwerk allerersten Ranges
enthüllt. Lionardo's Mona Lisa und heilige Anna
haben ihre Plätze behalten, neben die erstere hat man
i Correggio's mystische Vermählung gehängt, die früher
! ziemlich ungünstiges Licht hatte. Von Raffael sind
, alle kleineren Bilder entfernt worden. Dafür hat das
Porträt Castiglione's Aufnahme gefunden. Alle übrigen
Italiener sind bis auf das Franciabigio zugeschriebene
Bildnis, Luini's Schlaf des Christkindes und einige
Bolognesen verschwunden, die zur Füllung der oberen
Wandflächen dienen. Auch die Gemälde der nicht-
italienischen Schulen sind zum grössten Teil entfernt
worden, doch hat man, um mit der Tradition nicht
ganz zu brechen, je ein Bild der vlämischen, hollän-
dischen und spanischen Schule, nämlich die Helene
Fourment mit ihren Kindern von Rubens, die Hendrickje
von Rembrandt und die Infantin des Velasquez, und
ferner den Kanzler des Ursins von Foucquet, den
Diogenes, den heiligen Xaver und das Selbstbildnis
von Poussin und die Kreuzabnahme von Jouvenet
beibehalten.
 
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