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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 12.1901

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Voll, Karl: Zwei neue Memlingmonographien
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https://doi.org/10.11588/diglit.5772#0066

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Zwei neue Memlingmonographien.

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achtet worden ist, so vereinzelt da, die Rechte des
geistigen Eigentums waren damals so wenig gesichert,
und was wichtiger ist, der Anspruch auf Originalität
war bei dem Künstler so gering, dass Gleichheit der
Typen und Komposition recht gut durch Anleihe
erklärt werden können und nicht mit Notwendigkeit
auf Schulzusammenhang hinweisen. Kämmerer hat
nun zwar daran festgehalten, dass Roger der Lehrer
des Memling gewesen sei, aber es ist ihm doch
nicht entgangen, dass Memlings Kunst nicht allein
von dem Brabanter Meister ausgegangen sein kann.
Er setzt einen starken Einfluss des Hugo van der Goes
voraus, und wirklich ist im geistigen Habitus seiner
Madonnen und in der Verwendung des Raumes als
Kompositionsmittel die Verwandtschaft mit Goes sehr
einleuchtend. Da nun Goes in seinen Altersverhält-
nissen dem Memling näher steht als diesem Roger
gestanden hat, so ist eine Beziehung zwischen dem
Genter und dem Brügger Maler recht gut anzunehmen.
Kämmerer versteift sich übrigens nicht darauf, Mem-
ling als den Schüler des Goes im eigentlichen Sinne
des Wortes anzusehen, derart, dass jener vielleicht
aus Roger's Atelier in das des Goes gewandert sei,
sondern Kämmerer spricht nur von einem allge-
meinen Einfluss und ich glaube, dass er die Stellung
Memling's in der altniederländischen Kunst in der
That sehr gut angegeben hat, wenn er ihn, den
letzten Grossen, nicht ohne alle Vermittelung aus
dem Atelier eines der Schulbegründer kommen lässt.
Auch der Referent möchte seine Ansicht, dass
Memling's Art entwickelungsgeschichtlich am besten
aus der des Bouts zu erklären sei, nicht ohne den
Vorbehalt geben, dass er eine direkte unmittelbare
Nachfolgerschaft für unwahrscheinlich hält.

Was die Entfaltung von Memling's Kunst betrifft,
so haben wir zum Glück genügend sichere Daten,
um von dem Altar beim Herzog von Devonshire
beginnend die einzelnen Etappen bis mindestens in
die Mitte der achtziger Jahre hinein feststellen zu können,
und Kämmerer hat in geschickter Weise auf der
gesicherten Basis seine Gliederung des Werkes auf-
gebaut. Was er sich über die einzelnen Werke
denkt, möge man bei ihm nachlesen, hier seien,
jedoch ohne Nörgelei, verschiedene Punkte erwähnt,
wo der Referent anderer Meinung sein zu dürfen
glaubt.

Kämmerer citiert bei der Frage, warum Memling
in die Niederlande ausgewandert sei, den Konrad Witz
von Basel als einen Schüler der niederländischen
Kunst und bei der Wiener Kreuzigung des Pfenning,
den er im Anschluss an Thodes kaum haltbare
Theorie einen Nürnberger nennt, beruft er sich auf
das bekannte Motto: «als ich chun», um Pfennings
Zusammenhang mit Jan van Eyck darzuthun. Die
zwei Beispiele scheinen mir nicht gut gewählt zu
sein. So überraschend bei Witz das um zwei
Jahrhunderte verfrühte Lichtstudium uns auch sein
mag: wir haben keinen Grund, es aus nieder-
ländischer Kunstübung abzuleiten; denn es findet
sich die eigentümliche, von jedem Bedacht auf
schmückende Wirkung entfernte Behandlung des

j Lichtes und Raumes, in der wir doch die eigentliche
Bedeutung des Witz sehen müssen, weder bei Eyck
noch bei irgend einem anderen Altniederländer auch
nur annähernd so verständig aufgefasst und konse-
quent durchgeführt. Aehnlich wird wohl der Fall
bei Pfenning liegen, der jedenfalls nicht zur Nürn-
berger Schule gehört und dessen Wiener Kreuzigung
vom Jahre 1449 keine nachweisbaren Beziehungen
zu den Niederländern aufweist.

Wir werden uns doch einmal entschliessen müssen,
das alte Schlagwort vom Eyckischen Einfluss auf die
gesamte gleichzeitige germanische Kunst fallen zu
lassen. Wir kommen auf diese Weise nicht vorwärts
und es scheint dem Referenten, dass die unbefangene
j Konstatierung des Charakters jeder einzelnen Lokal-
oder Landschule die wichtigste Aufgabe wäre. Wenn
der Besitz am eigenen, selbsterrungenen Können und
Verstehen bei jeder einzelnen Schule feststeht, dann
erst wird man auch das Verhältnis zu den fremden
Künstlern und Stilen ins Auge fassen und richtig
würdigen können. Es geht aber nicht gut an, jede
halbwegs naturalistische Regung diesseits der Alpen
im 15. Jahrhundert aus Eyckischem Einfluss zu er-
klären, da wir doch wissen, dass das ganze kultivierte
Europa damals von ausgesprochenem Neuerungsdrang
und scharfforschendem Natursinn erfüllt gewesen ist.

Die Porträts, die man dem Memling zuzuschreiben
pflegt, sind unter sich recht wenig durch Stilgemein-
samkeit verbunden. Kämmerer hat sich begnügt, die
besten unter ihnen auszuwählen und liess sie ihm,
während doch, abgesehen von der künstlerischen
Qualität, auch stilistische Eigentümlichkeiten in Betracht
kommen. Der Referent glaubt, dass unter der schon
bemerkenswert kleinen Liste, die Kämmerer für echt
hält, sich noch einiges fremde Gut befindet. Er
sieht z. B. zwischen dem prachtvollen Bildnis bei
Baron Oppenheim in Köln und dem Frankfurter
männlichen Bildnis gar keinen persönlichen, künst-
lerischen Zusammenhang. Das Kölner Stück wird
wohl zweifellos ein echter Memling sein, das Frank-
furter und ein nahe verwandtes kürzlich für Berlin
erworbenes Bildnis sind in der Formbehandlung viel
schärfer, härter, beruhen viel mehr auf der Zeichnung
und geben die Modellierung viel flacher und knapper,
als dass sie füglich mit dem Kölner Porträt und dem
durchaus entsprechenden Nieuwenhover von Brügge
als Werk des gleichen Künstlers genannt werden
durften. Sie scheinen mir einen etwas älteren Stil
zu repräsentieren; übrigens stehen sie an künstlerischem
Wert den gesuchtesten Bildnissen durchaus nicht nach.

Sehr berechtigt ist der leise Zweifel an der
Authenticität des bekannten kleinen Diptychons der
Galerie Chantilly. Kämmerer hätte sogar weiter gehen
und das Altärchen ganz aus Memling's Liste streichen
dürfen. So nett es in der Erfindung auch ist, so
öd ist die Ausführung, wie denn überhaupt die alten
Niederländer der Sammlung Chantilly dem Referenten
allzu hoch eintaxiert zu sein scheinen.

Wenn Kämmerer bei der Besprechung von
Memling's jüngsten Gericht herkömmlicherweise an den
Beauner Altar des Roger erinnert, so hat er gewiss
 
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