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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 12.1901

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Swarzenski, Georg: Eine neuentdeckte altchristliche Bilderhandschrift des Orients
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https://doi.org/10.11588/diglit.5772#0081

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

HERAUSGEBER:

Dr. Max Gg. Zimmermann

UNIVERSITÄTSPROFESSOR

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Oartenstrasse 15
Neue Folge. XII. Jahrgang. 1900/1901. Nr. 10. 27. Dezember.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik gratis. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlags-
handlung keine Gewähr. Inserate, ä 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von H aasen-
»tein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

EINE NEUENTDECKTE ALTCHRISTLICHE
BILDERHANDSCHRIFT DES ORIENTS

Von Georg Swarzenski-Paris.

Es sind jetzt zwanzig Jahre, dass die Theologen
von Gebhardt und Harnack auf einer Studienreise
durch Süditalien jene altchristliche Bilderhandschrift
fanden, die seitdem nach dem Fundort Rossanensis
benannt, als ein fundamentales Material in alle Hand-
bücher der altchristlichen Kunst übergegangen ist und
schliesslich, in letzter Zeit, auch eine ihrer kunst-
historischen Bedeutung würdige Publikation durch
Haseloff gefunden hat. Die Entdeckung der Hand-
schrift war wohl das grösste Ereignis, das die alt-
christliche Kunstwissenschaft der letzten Jahrzehnte
aufzuweisen hat; einer Hoffnung auf eine abermalige
Vergrösserung unserer Kenntnis der Kunstentwicklung
dieser dunklen Zeiten durch einen neuen, ähnlichen
Fund wagte man kaum Ausdruck zu verleihen. Wir
sind nun in der glücklichen Lage, einen solchen Fund
zu verzeichnen, der allerdings nicht von einem Forscher
im engeren Sinne gemacht wurde, sondern auf einer
anderen Zwecken dienenden Reise durch Russland,
Kleinasien und Armenien von einem französischen
Offizier. Die Handschrift, die dieser in Sinope fand
und erwarb, ist jetzt in den Besitz der Bibliotheque
Nationale übergegangen und dieser als Nr. 1286 des
Fonds du Supplement grec einverleibt.

Die Handschrift stellt die Überreste eines grie-
chischen Tetraeuangelions dar, auf 43 Blättern
(30 : 25 cm) Bruchstücke aus Matth. VII—XXIV ent-
haltend. Der Text steht durchgängig in goldener
Unzialschrift auf purpurnem Grunde; die Handschrift
erweist sich hierin als ein Unikum, indem die bisher
bekannten griechischen Purpurkodices, die wir aus
dieser Zeit erhalten haben, im laufenden Text stets
nur die Silber-, nicht die Goldschrift angewandt zeigen.
Aber die Bedeutung der Handschrift für das spät-
antike oder frühmittelalterliche Schriftwesen ist uns an
dieser Stelle nicht wichtig, und ebensowenig ist es
unsere Angelegenheit, sie textkritisch zu beurteilen.
Für uns liegt der Hauptwert der Handschrift in ihrer

künstlerischen Ausstattung. Freilich müssen wir uns
vor der Hand eine erschöpfende Beurteilung ihrer
kunsthistorischen Stellung nach allen Richtungen hin
versagen, indem wir dieselbe verschieben, bis das
Denkmal den Fachgenossen in der bald zu erwarten-
den reichen Publikation vorliegen wird, die von be-
rufenster Seite, von H. Omont, vorbereitet ist, nach-
dem bereits von dem gleichen Gelehrten ein kurzer
Bericht in den Comptes-rendus de l'academie des
inscriptions et belles lettres (seance du 6 avril 1900)
und im Journal des savants (Juin 1900) erschienen ist.

Die Handschrift enthält in dem auf uns ge-
kommenen Teile fünf Bilder, offenbar von einer und
derselben Hand ausgeführt. Über das Verhältnis von
Maler und Schreiber scheint eine bestimmte Ver-
mutung nicht erlaubt. Eins der Bilder ist leider zer-
stört, indem der untere Teil desselben abgerissen ist,
so dass fast nur noch einige Köpfe handelnder Ge-
stalten sichtbar sind. Wie aus der Stellung im Texte
erkennbar, war hier die erste wunderbare Speisung
dergestellt. Die übrigen Darstellungen geben

1. Eine Scene nach der Enthauptung Johannis des
Täufers. (Dargestellt ist der Moment Matth. XIV, 11...
und sein Haupt ward hergetragen in einer Schiissel
und dem Mägdelein gegeben, und sie bracht es ihrer
Mutter.)

2. Die zweite wunderbare Brotvermehrung.

3. Die Heilung der beiden Blinden von Jericho.

4. Das Wunder vom verdorrten Feigenbaum.
Alle diese Darstellungen begegnen uns hier zum

erstenmale in der christlichen Kunst: Für keine von
ihnen lässt sich mit Sicherheit eine ältere Darstellung
nachweisen, so dass auch der engeren ikonographischen
Forschung neue Perspektiven durch dieses Denkmal
geboten werden.

Die Erhaltung der Bilder ist eine ganz wunder-
bare. Die Farben sind von einer Klarheit, Leucht-
kraft, Frische und Sauberkeit, als wären sie eben aus
der Werkstatt des Meisters hervorgegangen; die Schick-
sale von fast anderthalb Jahrtausenden sind an ihnen
fast spurlos vorübergegangen.

Die Ausführung verdient uneingeschränktes Lob;
 
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