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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 12.1901

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Gram, Johan: H. W. Mesdag: zum 23. Februar 1901
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https://doi.org/10.11588/diglit.5772#0129

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

HERAUSGEBER:

Dr. Max Gg. Zimmermann

UNIVERSITÄTSPROFESSOR

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Gartenstrasse 15
Neue Folge. XII. Jahrgang. 1900/1901. Nr. 16. 21. Februar.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik gratis. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlags-
handlung keine Gewähr. Inserate, ä 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von H a a s e n -
stein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

H. W. MESDAQ
Zum 23. Februar igol

Einer der populärsten Künstler Hollands, dessen
originelle Auffassung seinen Namen und seine Kunst
weit über die Grenze seines Vaterlandes gebracht
hat — Hendrik Willem Mesdag, feiert heute im Haag
seinen siebzigsten Geburtstag.

Wenn irgend einer, so hat Mesdag wie mit
Zauberschlag, par droit de conquete, sich in der
Kunstwelt eine gebietende Stellung erworben. Vor
32 Jahren, im Jahre 1869, wurde der Name Mesdag's
zum erstenmale in einer Ausstellung im Haag ge-
nannt. Man sah dort zwei Bilder, welche der eigen-
tümlichen Auffassung wegen die allgemeine Auf-
merksamkeit auf sich zogen. Das eine, Schiffbrüchige
in einem Boote, hatte zum Titel: »Was wird aus
ihnen werden?« und die öffentliche Meinung, welche
ihr Urteil gern mit einem Witz oder Scherz ver-
knüpft, machte daraus die ironische Frage: »Was wird
aus ihm werden?«

Es war die kühne, unverfälschte Wirklichkeit, von
einem Unerfahrenen verdolmetscht, dessen Auge jedoch
dabei solch eine Schärfe des Blickes und dessen
Hand solch eine Unverzagtheit zeigte, dass er schon
bei seinem ersten Schritt in der Kunstwelt das Publi-
kum zwang, Notiz von seiner Arbeit zu nehmen.

Als dann dieser merkwürdige Bekenner eines un-
bedingten Realismus einige Monate später die Bitte
an die Künstlergenossenschaft Pulchri Studio richtete,
ihn in ihren Bund aufzunehmen, runzelte die Mehr-
heit, noch unter dem Eindrucke jener vermessenen
Probestücke, die Stirn und verweigerte das Ver-
langen des dreisten Neuerers. Wie erstaunt war
jedoch jener Bund, welcher das Heiligtum der Kunst
so sorgfältig bewachte, als kurze Zeit nachher, im
Mai 1870, die höchste Anerkennung, welche der
Pariser Salon vergiebt, die goldene Medaille, dem-
selben Anfänger zugewiesen wurde. Ein Ehren-
zeugnis, welches nur sehr selten Ausländern zu teil
wird, wurde dem Bilde Mesdag's »Brandung an der
Nordsee« zuerkannt. Die vaterländische Kunstwelt |

war ausser sich, und der gestern noch zur Seite ge-
schobene Anfänger war heute ein berühmter Mann.

Allerdings ist Mesdag in seiner Kunst ganz und
gar ein »selfmade man«. Schule oder Führung hat
er nicht gehabt. In einem Lebensalter, wo die Fama
gewöhnlich schon lange Verdienst und Gaben eines
Künstlers verkündet hat, verlässt Mesdag, schon
35 Jahre alt, sein Bankiergeschäft, um sich der bil-
denden Kunst zu widmen. Unser talentvoller Land-
schaftsmaler Roelofs, der damals noch in Brüssel
wohnte, kam ihm bei seinen ersten Schritten zu Hilfe.
Meister Alma Tadema, der uns das alte Rom hervor-
zurufen weiss, und der ebenfalls damals in Brüssel
wohnte, riet dem mutigen Anfänger, strenge und getreu
die sich ihm darbietende Wirklichkeit zu studieren.
Also wendet sich Mesdag ausschliesslich zur Natur,
gewinnt sie lieb mit jener wilden, ungestümen Leiden-
schaft, welche selbst die Schwächen und Launen der
Geliebten für Tugenden hält, und giebt schon sehr
bald die Wirklichkeit mit so frischer Originalität, aber
zugleich mit solch einer rohen Kraft zurück, in förm-
lichem Seemannsjargon, so dass die ganze Künstler-
schaft davon erregt war. Von jenem Augenblicke an
greift Mesdag's robuste Naturvision den Zuschauer
an, als ob jemand ihn bei den Schultern packt.

So stand er mit seiner noch jungfräulichen Künstler-
seele vor dem Meere, dem mächtigen, unabsehbaren
Ocean,und der Drangerwacht in ihm, das allvermögende
Element in seiner ganzen Verwegenheit und Wut, in
seiner erschütternden Grösse und Majestät wiederzu-
geben. Ohne Führer, ohne Beispiel, aber auch ohne
Vorurteil geht der Neuling ans Werk und erstaunt
die Welt durch die Wucht seiner Palette.

Man denke sich die berühmtesten Marine-Maler,
Ludolf Bakhuizen, Van de Velde, Schotel, Louis Meyer:
sie haben manchmal mit geschmackvollem Pinsel und
feiner Mache die See abgebildet, aber war einer von
ihnen im stände, uns den Eindruck unendlicher
Grösse und Majestät, intensiver Kraft und Frische
derart wiederzugeben, wie es Mesdag gelungen ist?
Bei ihm wird der Schein der Wirklichkeit das Meer
selbst; bei den anderen bleiben es beinahe immer
 
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