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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 12.1901

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Seeck, Otto: Zu dem Werke des Hubert van Eyck
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5772#0139

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26l

Ausgrabungen und Funde.

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In der zweiten und dritten Zeile ist die Inschrift
rechts und links von verwirrten Zeichen eingefasst,
die wohl nur den Raum füllen sollen. In der zweiten
ist der dritte Buchstabe ein Sigma; genau in derselben
eckigen Form kommt es auch in der Inschrift des Ber-
liner Crucifixus vor. Der letzte Buchstabe der ganzen
Reihe soll wahrscheinlich ein Beta vorstellen. Ob es durch
spätere Restauration entstellt, ob durch den Künstler
selbst falsch gezogen ist, wagen wir nicht zu ent-
scheiden. Das Letztere wäre um so weniger unwahr-
scheinlich, als auch das Christusmonogramm in der
Mitte des Schildes eine nichts weniger als korrekte
Form zeigt. Ersetzen wir nun die griechischen
Schriftzeichen durch die entsprechenden lateinischen,
so erhalten wir: vinde iusthex cherub. Dies ist sinn-
los; nehmen wir aber eine kleine orthographische
Korrektur vor, indem wir th durch /, d. h. Theta
durch Tau ersetzen und vertauschen dann die En-
dungen der beiden ersten Worte, so ergibt sich:
vindex iuste cherub, also eine höchst passende An-
rede an den strafenden Erzengel.

Man könnte meinen, dass wir in Buchstaben, die
nur ornamental wirken sollen, künstlich einen Sinn
hineintragen,' wenn nicht auch der Schildrand des
Engels eine ganz ähnliche Inschrift enthielte, die offen-
bar sinnvoll ist. Sie lautet:

AAQraVI TETITAMA0ÖN • ArAA +
In dem ersten Worte sind griechische und lateinische,
grosse und kleine Buchstaben wirr durcheinander-
gemischt, wie wir dies ja auch bei jenem ANaNX
am Gewandsaume des Genter Gottvater beobachten
konnten. Die beiden letzten Worte sind rein grie-
chisch, enthalten aber nicht weniger als drei ortho-
graphische Schnitzer, nämlich ein einfaches My statt
eines doppelten, ein Omega statt eines Omikron und
ein Theta statt eines Tau, welchem letzteren Fehler
wir ja auch in dem iusthex der ersten Inschrift be-
gegnet sind. Korrigieren wir, was zu korrigieren ist,
so ergibt sich; adoravi TSTpaypxjj.iJ.aTov aiflM- Das
Tetragrammaton, das der Erzengel anbetet, ist ein
wohlbekannter Begriff der mittelalterlichen Theologie;
es bezeichnet den Gottesnamen Jahveh oder Jehovah,
der in hebräischer Schrift, weil sie bekanntlich die
Vokale auslässt, aus vier Buchstaben besteht. Dass
ay>\a das heilige Wort vertreten soll, kann hiernach
nicht zweifelhaft sein; doch scheint es in dieser Be-
deutung nirgends in der Litteratur vorzukommen.
Jedenfalls haben mir weder die Philologen noch die
Theologen, die ich darüber befragt habe, irgend eine
Auskunft geben können, obgleich sich Männer dar-
unter befanden, die mit der Symbolik des Mittelalters
vertraut waren. Da in ArAA die Vierzahl der Zeichen
wiederkehrt, da es zwei Alpha enthält wie mrp
zwei Aleph, da endlich auch das hebräische 1 dem grie-
chischen Gamma sehr ähnlich ist, so handelt es sich
hier wohl um ein krauses Spiel mit Buchstaben, das
unser Künstler selbst ersonnen hat.

Um so bemerkenswerter ist es, dass dies wunder-
liche Tetragramma, teils mit lateinischen Buchstaben
geschrieben AGLA, teils aus lateinischen und grie-
chischen gemischt ArLA, auch auf den Fliesen

wiederkehrt, die bei den singenden und spielenden
Engeln des Genter Altars den Fussboden decken. Dass
auch hier der Gottesname gemeint ist, kann um so
weniger zweifelhaft sein, als daneben auf anderen
Fliesen ins steht, die gewöhnliche Abkürzung des
Wortes Jesus. Singende Jünglinge kommen auch
unter den Seligen des jüngsten Gerichtes vor; man
wird in ihnen leicht die Vorstudien zu jener köst-
lichen Engelgruppe erkennen, in der das Muskelspiel
von Gesicht und Kehle so meisterlich das Hervor-
bringen der verschiedenen Töne widergiebt.

Wir haben also gefunden, dass der Maler der
Petersburger Altarflügel ein ganz ungelehrter Mann
war. Denn jenes vinde iusthex für vindex iuste lässt
sich doch nur so erklären, dass er sich die Worte
»gerechter Rächer« von irgend einem Kundigen ins
Lateinische hatte übersetzen lassen und dann ihre
Endungen, da er selbst der Sprache nicht mächtig
war, verwechselte. Eines solchen Schnitzers wären
weder Jan van Eyck noch Petrus Christus fähig ge-
wesen; die lateinischen Inschriften, die sie oft genug
auf ihren Bildern anbringen, sind zwar nicht gerade
ciceronianisch, aber doch im wesentlichen korrekt.
Dagegen glauben wir bei Hubert aus der Kreuzes-
inschrift des Berliner Crucifixus, den auch Weale ihm
zuschreibt, dieselbe Unwissenheit nachgewiesen zu
haben (S. 9). Ferner fand sich bei dem Genter Gott-
vater, der wohl als das sicherste Werk des Meisters
gelten kann, dasselbe Durcheinander von griechischen
und lateinischen, kleinen und grossen Buchstaben,
wie bei dem Erzengel des jüngsten Gerichtes, eine
Eigentümlichkeit, die, soweit meine Kenntnis reicht,
sonst bei keinem Maler der Zeit wiederkehrt. End-
lich begegnet uns auf dem Bilde der Eremitage und
bei den Engelgruppen des Genter Altars der gleiche
seltsame Ausdruck für den Gottesnamen, der weder
in der Litteratur noch in der Kunst von irgend einem
anderen verwendet ist. Dies dürfte wohl genügen,
um die Petersburger Bilder dem Hubert zuzuweisen,
auch wenn ihre künstlerische Übereinstimmung mit
seinen übrigen Werken geringer wäre, als sie es that-
sächlich ist.

AUSGRABUNGEN UND FUNDE

Magdeburg. Beim hiesigen Dome sind einige Räume,
welche bisher nur wenig bekannt waren und sich in ver-
fallenem Zustande befanden, wieder hergestellt und der
Allgemeinheit zugänglich gemacht worden. Dabei sind
einige für die Baugeschichte des Domes und die Plastik
wichtige Denkmäler zum Vorschein gekommen. Im sog.
Remter, der alten Begräbnisstätte der Domherren neben
dem östlichen Arme des Domkreuzganges, einem wahr-
scheinlich zu Ende des 13. Jahrhunderts erbauten Raum,
haben sich fünf Säulenbasen aus weissem Marmor ge-
funden, die ursprünglich Kapitelle waren und wie einige
Säulenschäfte zweifellos von dem alten durch Otto den
Grossen errichteten und 1207 abgebrannten Dome stammen.
Das Blattwerk der Kapitelle scheint darauf hinzuweisen,
dass diese Werkstücke von Italien, wahrscheinlich von
Ravenna, nach Magdeburg gebracht worden sind. — An
der Südwand des Remters ist ein Wandgemälde des heiligen
Christophoros mit dem Christuskinde auf der Schulter zum
 
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