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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 12.1901

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Schmid, H. A.: Adolf Bayersdorfer
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https://doi.org/10.11588/diglit.5772#0146

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275

Adolf Bayersdorfer.

276

die Arbeiten für den Katalog der alten Pinakothek
und die Herausgabe des klassischen Bilderschatzes
und des klassischen Skulpturenschatzes.

Unter den realen Schöpfungen, an denen Bayers-
dorfer beteiligt ist, muss auch das Kunsthistorische
Institut zu Florenz genannt werden. Damit ist ein
Gedanke verwirklicht worden, der schon K. E. von
Liphart lebhaft beschäftigte und den Bayersdorfer ge-
meinsam mit den beiden andern, Liphart besonders nah
stehenden Schülern, mit Schmarsow und dem jetzigen
Herausgeber dieser Zeitschrift, in die That umsetzte.

Auch das Äussere war bei Bayersdorfer unschein-
bar. Er war durchaus kein Diogenes, aber er war
seit langen Jahren kränklich und dabei ein solch ab-
gesagter Feind aller Ausserlichkeiten, dass er be-
haupten konnte, nie einen Seidenhut oder nie einen
schwarzen Rock besessen zu haben. Wer ihm in-
dessen ahnungslos entgegentrat, der fühlte gleich den
Herrscher im Reiche des Geistes; wer gar schon an-
gewidert durch die Phraseologie ästhetisch unreifer
Bücherschreiber ihn kennen lernte, der atmete auf in
dem Gedanken, endlich einen Menschen gefunden
zu haben und dies Gefühl konnte sich steigern im
Laufe der Jahre bis zum Enthusiasmus. Die Urteile,
die über ihn laut werden, sind denn auch merk-
würdig einstimmig. »Mit ihm ist einer der seltensten
Männer Deutschlands dahingegangen, der sich nicht
nur des höchsten Ansehens im Kreise seiner Fach-
genossen erfreute, sondern auch in gewissem Sinne
eine ganze Kultur in sich verkörperte. Was die
Kunststadt München an ihm verloren hat, ist gar nicht
zu ermessen«, schreibt Wilh. Weigand in dem vor-
trefflichen Nachruf der Münchener Allgemeinen Zeitung,
und wir können nur wiederholen: einer der seltensten
Männer Deutschlands ist mit ihm dahingegangen,
der Verlust ist nicht zu ermessen.

Bayersdorfer verblüffte zunächst durch den un-
geheuren Umfang seines Wissens. Dieses Wissen ist
auch Böcklin aufgefallen; der grosse Experimentator
erzählte, er habe einmal Daten und Namen, wie sein
Freund sie beständig zum besten zu geben wusste,
heimlich aufnotiert und nachgeprüft, es hätte aber
alles gestimmt. Die Thätigkeit Bayersdorfer's an der
Pinakothek Hess, wenn man nur das rechnet, was jeden
Tag mit Notwendigkeit zu erledigen war, ihm reich-
liche freie Zeit. Er machte von seiner Müsse einen
Gebrauch, der nicht bloss seinem Institute in denk-
bar bester Weise zu Gute kam, sondern dem ge-
samten Kunstleben, dem sein Institut dienen sollte.
Er vermehrte beständig seine Kenntnisse und sein
Wissen und teilte alles in liberalster Weise anderen
mit. Die Fachlitteratur ist in den letzten Jahren so
mächtig angeschwollen, dass auch ein Bayersdorfer
sie nicht mehr ganz beherrschen konnte, aber er
kannte vielleicht am meisten und hatte aus allem
Nutzen gezogen. Sein Leben floss dahin, indem er
Fachgenossen, Kunstfreunden, Künstlern, indem er
Würdigen wie Unwürdigen mit seinen Kenntnissen,
auch hie und da mit seiner Autorität Dienste erwies.

Bayersdorfer war aber nicht nur ein wandelndes Nach-
schlagebuch, nicht nur ein Vielwisser, sondern einer

der feinstgebildeten Menschen, die man finden konnte.
Er urteilte von einer Höhe, die nur wenige ersteigen.
Dies zeigt sich schon in dem wenigen, das er ge-
schrieben. Wie wirklich grosse Geister schrieb er
gut, wenn er überhaupt schrieb. Die paar Druck-
bogen aus seiner Feder gehören in ihrer schlichten
und knappen Form zu den klassischen Erzeugnissen
unserer Kunstlitteratur. Mit seltener Übersichtlichkeit,
Klarheit und Sachlichkeit sichtet er die äusseren In-
dizien, aber er weiss dann auch den Leser hinab-
zuführen in die unerforschlichen Tiefen des Seelen-
lebens, als ein Dichter, dem die Worte auch bei den
feinsten Dingen nicht fehlen. Er war aber vor allem
wie Moritz Schwind ein Meister des gesprochenen
Wortes, unaufhörlich prägte er Wendungen, die weiter-
lebten, seine Worte gingen nicht nur in kunsthistorische
Werke hervorragender Fachgenossen über, sie verloren
sich selbst in die »Fliegenden Blätter«.

Er urteilte nach ruhiger Überlegung, aber mit der
Sicherheit, die nur eine geniale Anlage ermöglicht.
Seine scharfen Augen wurden vom Scheine nicht be-
trogen und er hasste den Schein, dafür schätzte er
das Echte auch in unvollkommener Form. Die
noch altertümliche Kunst, namentlich die des 15. Jahr-
hunderts in Deutschland und Italien, scheint ihn doch
am meisten interessiert zu haben. Aber sein Hori-
zont war der weiteste, und vor allem unterschied er
sich von vielen hervorragenden Fachgenossen dadurch,
dass er auch der zeitgenössischen Kunst das wärmste
Interesse entgegenbrachte. Auch hier liebte er neben
den ganz Grossen besonders solche, die die Malerei
»bei jedem Bilde von neuem erfanden«. Sein Hirn
glich wahrlich nicht einem Fachlexikon, sondern einem
der epochemachenden Geschichtswerke des verflossenen
Jahrhunderts, wo die Erzeugnisse der bildenden
Kunst, der schönen und der wissenschaftlichen
Litteratur von einem ordnenden souveränen Geiste
ihre Stelle erhalten haben. Aber dies grosse Ge-
schichtswerk, das uns nun für immer verloren ist,
hatte täglich neue Zusätze und Änderungen erfahren.

Jenes Feingefühl für das Echte hing nicht allein
mit seinen seltenen Geisteseigenschaften, sondern auch
mit seinen seltenen Charaktereigenschaften zusammen.
Es fehlten ihm jene schlimmen Eigenschaften, die
so oft den Charakter der energischeren oder ge-
schäftigeren Gelehrtennaturen untergraben. Jede Be-
antwortung einer wissenschaftlichen Frage von anderer
Seite war für ihn eine Bereicherung, die er dankbar
annahm. Anderseits schien er auch nicht an dem ge-
kränkten Ehrgeiz der beschaulicheren Naturen, die
wenig äussere Erfolge zu verzeichnen haben, zu leiden.
Er ertrug es mit stoischem Gleichmut, wenn er für
seine Liberalität schnöden Undank erntete. Er war nicht
unempfindlich dafür, aber er fuhr fort mitzuteilen, ohne
Lohn zu fordern, und die Stellung, die er sich ohne
äussere Macht erobert hatte, machte ihm dies schliesslich
auch leicht. Man sah bei ihm, welches Glück es für
einen geistigen Arbeiter sein kann, nicht Ruhm und
äussere Ehren, sondern nur eine reichlich bemessene
Hochachtung seiner Fachgenossen als Lohn zu em-
pfangen.
 
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