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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 12.1901

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Gurlitt, Cornelius: Englische Baukunst
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Ein Rembrandt in der Galerie Doria in Rom
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https://doi.org/10.11588/diglit.5772#0235

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453 Ein Rembrandt in der

der Hochkirche kann man früh die Neigung be-
obachten, einen grösseren Prozentsatz der aufzuwenden-
den Bausumme für das Innere der Kirche einzustellen,
als dies bei uns der Fall ist. Nur zu oft frisst der
Turm, das Streben nach äusserer Pracht, die Wohn-
lichkeit des Innern auf. Es bleibt nichts übrig, um
die Kirche würdig und dabei auch behaglich auszu-
gestalten. Ein paar Glasgemälde und Wandfresken
thun es nicht!

Die Sekten haben noch mehr der langweiligen
offiziellen Kirchenbauerei in England Einhalt geboten.
Sie forderten zunächst gar keine äussere Repräsen-
tation, sondern lediglich praktische Lösungen: Predigt-
säle, Gemeinderäume. Sie forderten viel Luft, be-
queme Zugänge und bequeme Kirchensitze, einen
allseitig sichtbaren Platz für den Prediger, geeignete
Aufstellung von Orgel, Sängerchor. Sie verbanden
die Kirchen mit Schulen, mit kleineren Vortragsälen,
den Gelassen für das Gemeindeamt, und kümmerten
sich dabei wenig um die architektonische oder sti-
listische Form. Erst in den sechziger Jahren entstand
ein gewisser künstlerischer Ehrgeiz; vorher war es die
Zweckerfüllung, die vor allem den Bauleuten die Hände
führte.

Wenn erst einmal eine Kulturgeschichte der mittel-
alterlichen Kunst geschrieben ist, dann wird man er-
kennen, dass auch damals die Zweckerfüllung, die
Forderung der Liturgie die entscheidende Rolle
spielte. Die Reformen eines hl. Bernhard, eines hl.
Dominikus, eines hl. Franciskus von Assisi führten
dazu, dass der ganze Grundriss der Kirchen umge-
staltet wurde. Die Dominikaner- und Franziskaner-
kirchen sind schlechte, grosse Predigthallen, oder sie
waren es wenigstens in den Zeiten der inneren Blüte
der beiden Orden. Die Pfarrkirchen der Folgezeit
waren geneigt, dem Vorbilde jener Gemeinschaften
zu folgen, die so mächtig in die Seelsorge der
städtischen Pfarreien eingriffen. Das Auf und Nieder
gewisser baulicher Formen ist nur aus der Geschichte
der Liturgie verständlich. Aus dem Verständnis der
treibenden Gründe für den Formenwechsel aber er-
giebt sich erst das Verständnis für den Zweck der
Formen selbst. Warum kommen und gehen die
Lettner, die Querschiffe, die Emporen und Triforien?
Sind da wirklich nur technisch-ästhetische Gründe
massgebend gewesen?

Wenn man den Wandel dieser Dinge genauer
verfolgt, wird man erkennen, dass die erste Anregung
zu neuer Kunst stets auf dem Verzicht auf die alte
beruht. Mag dieser Verzicht wie bei den englischen
Präraffaeliten aus Übersättigung an angelerntem Stil
kommen, oder bei den Reformatoren des Mittelalters
aus asketischen Überzeugungen. An den Bruch mit
dem Alten, an die Rücksichtslosigkeit gegen den über-
kommenen Schönheitsbegriff, an die Ablehnung der
Tradition knüpft sich überall die Vertiefung und der
Fortschritt. So an den Verzicht auf Kunst bei den
englischen Sekten. Dieser war die Vorbedingung,
dass es möglich würde, mit den traditionellen Kunst-
formen zu brechen, die Architekten zu zwingen, aus
der bequemen Tretmühle idealistischer Wiederbelebung

Galerie Doria in Rom.

alter Formen herauszutreten, um nun die ganz anders
gestalteten Grundformen künstlerisch auszubilden.

Das wiederholte sich im Bau des englischen Kauf-
und Wohnhauses. Hatte das wachsende Kunstbe-
dürfnis schon dahin geführt, dass das Kircheninnere
reich und wohnlich ausgestattet wurde, so führte das
englische Familienleben noch mehr zur eigenartigen
Gestaltung des Hauses, zum Durchdenken der An-
forderungen des »Comfort« und zu der Erkenntnis,
dass kein Stilgesetz und kein Paragraph der Ästhetik
haltbar sei, der der vollkommen sachgemässen Be-
nutzung eines Gegenstandes, eines Raumes wider-
spricht.

Aus Muthesius' Büchern sprechen sehr eindring-
liche Lehren zu uns. Vor allein die, dass Nach-
ahmen fremder Kunst nie zum Segen führt. Der
Fortschritt beruht darauf, dass ein Volk die Aufgaben
findet, die das eigene Leben stellt und dass man
diesen Forderungen Ausdruck giebt. Lernen können
wir daher von den Engländern nicht Formen und
nicht Gebräuche, die solche erschufen; wohl aber
können wir lernen, die eigenen Gebräuche und Lebens-
gewohnheiten zu studieren und für diese den Kunst-
ausdruck zu suchen. In diesem Sinne sind auch die
Bücher von Muthesius geschrieben. Sie rufen nicht
zur Nachahmung, sondern zum Selbstbesinnen auf.

Cornelius Gurlitt.

EIN REMBRANDT IN DER GALERIE DORIA
IN ROM

In Oud Holland VIII 3, p. 188 macht Jhr. Dr.J. Six darauf
aufmerksam, dass sich in der Galerie Doria ein schon früh
im 18. Jahrhundert erwähntes Männerporträt von Rem-
brandt befindet, das die Forschung bisher übergangen hat,
das er selbst 1888 gesehen und als echt erkannt, aber
wegen ungünstiger Aufstellung nicht genau untersucht hat.
Kürzlich ist die Galerie neu geordnet worden und das
Männerporträt oder der Studienkopf von Rembrandt, offen-
bar derselbe, den Six meint, hat einen gut beleuchteten
Platz in Augenhöhe des Beschauers bekommen. Das Bild
trägt jetzt die Nr. 296 des neuen Katalogs und den Ver-
merk: Autore ignoto: Ritratto di pastore und zeigt das
lebensgrosse Brustbild eines bärtigen Mannes fast in Vor-
deransicht nach rechts blickend, mit einem Lammfell
über der linken Schulter. Das Bild ist stark gedunkelt und
vermutlich einmal ungeschickt gereinigt, so dass nach den
Rändern zu eine dicke Kruste von altem Firnis sich an-
gehäuft hat. Aber es ist eins von den Bildern, bei denen
man das Gefühl hat: es schliesst ein Mirakel ein, es will
uns viel erzählen. Je länger man es betrachtet, desto mehr
fasziniert es und offenbart seine hervorragende Qualität
und Kraft in der Charakteristik und technischen Ausführung.
Das mächtige, tiefernste Männerantlitz, etwas ähnlich dem
Mathaeus im Louvre, ist in seinen Formen, mit den starken
Backenknochen, nordisch-bäurisch, aber durch wunderbar
sprechende Augen durchgeistigt. Die Farben sind tiefbraun
mit einem Stich in das Bläulichgrüne, das Fleisch nicht
mit Farbenklexen, sondern glatt verschmolzen gemalt.
Farbe und Charakteristik lassen beim ersten Blick an Rem-
brandt denken und auch ohne die Signatur rechts unten:
Rembrandt fec. 1645, die Dr. Ulr. Thieme bei unserem
gemeinsamen Besuche im März zuerst bemerkte, wird kaum
ein Zweifel an Rembrandt's Autorschaft bleiben. — Erst
nachträglich ist mir Dr. Six' Artikel zu Gesicht gekommen,
 
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