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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 12.1901

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Polaczek, Ernst: Die Ausstellung der Darmstädter Künstler-Kolonie
DOI Artikel:
Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5772#0244

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471

Pariser Brief.

472

sitzt in seinem oberen Saale einen Raum von wirk-
lich festlicher Wirkung: Alles Tischgerät, das Ess-
und Trinkgeschirr, Messer und Gabeln so gut wie
das Weisszeug sind — grossenteils nach Entwürfen
Olbrich's — künstlerisch, dabei aber gleichzeitig
zweckmässig durchgebildet.

* *
*

Enthusiasten haben die Meinung ausgesprochen,
dass mit der Darmstädter Ausstellung für die ange-
wandte Kunst eine neue Ära beginnen werde. Zweifel-
los ist in Darmstadt, insbesondere von Behrens, be-
wiesen worden, dass es einer starken künstlerischen
Persönlichkeit sehr wohl möglich ist, Haus und
Wohnung künstlerisch individuell durchzubilden. Aber
dafür bedurfte es wohl gar nicht des Beweises. Höher
wäre der Beweis zu bewerten, dass es möglich ist,
das Schöne und Gefällige ohne Zwang mit dem
Zweckmässigen zu einigen. Auch dieser Forderung
dürfte, was sich freilich erst nach Monaten prak-
tischer Benutzung erweisen wird, das eine oder andere
der Darmstädter Häuser gerecht werden. Vielleicht
wird es sogar möglich sein, die Menschen selbst,
die in diesen Räumen leben sollen, äusserlich soweit
zu stilisieren, dass die Dissonanz nicht allzu schrill
wird. Der Bratenrock freilich wäre im Behrens'schen
Hause eine Lächerlichkeit, man müsste farbige und
faltige Gewänder tragen, und man müsste schliesslich,
um wirklich stilgerecht zu bleiben, die Möglichkeit haben,
im Augenblicke, da man aus dem auf Blau und Gold
gestimmten Musikzimmer in das weiss-rote Esszimmer
tritt, in der Thüre die Toilette zu wechseln. Hier
aber liegt der schwache Punkt des Systems, und das
kunstvoll gefügte Gebäude muss schliesslich zu-
sammenbrechen, weil zu wenig mit den wirklichen
Verhältnissen gerechnet ist. Es wäre ja herrlich,
wenn das Leben ein Fest wäre, wenn nicht täglich
hundert hässliche und tausend gleichgültige Dinge
gethan werden müssten, über die uns — vorläufig
wenigstens — keine Maschine der Welt hinweghilft.
Gewiss, man darf die Darmstädter Künstlervillen nicht
mit dem Massstabe des Nichtkünstlers messen, und es
wäre unsinnig, sie zu verurteilen, weil man sich selbst
eine andere Wohnung wünscht. Christiansen hat sein
Haus für Christiansen, und Behrens das seine für
Behrens erbaut, und wenn uns die Stimmung etwas
hochgegriffen scheint, so darf man das wohl ihrem
Künstlertum zu gute halten. Aber auch für die
Künstler selbst wird es sich einst als Wahrheit heraus-
stellen, dass die Woche sechs Werktage und nur
einen Sonntag hat.

Die andere Frage sei schliesslich gestattet, ob die
Ausstellung nicht eine fruchtbringendere Lehre erteilt
hätte, wenn man die Aufgabe etwas anders gestellt
hätte. Es wäre nützlich gewesen, die Möglichkeit
zu beweisen, dass man Häuser für Menschen in
durchschnittlicher Lebenslage, dass man Wohnungen
für Beamte, Kaufleute, Handwerker, Arbeiter auch bei
bescheidenem Aufwand künstlerisch durchbilden kann.
Die Zinskaserne widerstrebt ja an sich künstlerischer

Ausgestaltung; aber da nun einmal die meisten
Menschen in Zinskasernen wohnen, so hätte man
versuchen müssen, zunächst einmal die gewöhnliche
Mietwohnung in verschiedenen Abstufungen künst-
lerisch zu bewältigen. Eine zweite Aufgabe hätte
dann das Einfamilienhaus geboten, das ja erfreulicher-
weise in unseren grossen Städten immer mehr an
Boden gewinnt. Man muss zeigen, dass gutes
modernes Möbel aus einfachem, aber echtem Material
nicht teurer zu sein braucht, als der Renaissance-
und Rokokokram, der heute noch das deutsche
Bürgerhaus verunziert. Indem man die Dinge, die
uns täglich und stündlich umgeben, zweckmässig und
künstlerisch durchbildet, leistet man etwas Grosses
für die künstlerische Erziehung breiterer Schichten.
Auf diesem Gebiete scheint mir die nächste und wich-
tigste Aufgabe des deutschen Kunstgewerbes zu liegen.
An ihr möge Darmstadt in friedlichem Wettstreit mit
München seine Kräfte messen!

PARISER BRIEF

Eine höchst interessante Ausstellung hat sich bei Bing,
in den Sälen des Art nouveau in der rue de Provence
aufgethan. Die Weltausstellung hat uns dank der weit-
gehenden Bemühungen der japanischen Regierung, welche
die herrlichsten Schätze der japanischen Kunst herüber-
geschafft und im japanischen Pavillon ausgestellt hatte,
mit den klassischen Meisterwerken Japans bekannt gemacht.
Jetzt verdanken wir Bing, der sich vor der Gründung
seines »Art nouveau« fast ausschliesslich mit der japanischen
Kunst beschäftigte, genauere Kenntnis der modernen Ja-
paner. Freilich konnten wir schon auf der Weltausstellung
vieles lernen, denn es gab da auch drei Säle mit moderner
japanischer Kunst, ganz abgesehen von den kunstgewerb-
lichen Erzeugnissen, die in Japan mehr noch als anders-
wo von der Kunst schlechthin nicht unterschieden werden
können. Aber kann man wirklich irgend etwas mit Auf-
merksamkeit und mit Genuss studieren auf einer Ausstellung
von zehntausend Nummern? Wer es probiert hat, wird
mir beipflichten, wenn ich die Sache für äusserst schwierig
erkläre und den Wunsch ausspreche, man möge eine Re-
form unseres Ausstellungswesens zu Gunsten häufiger
wiederkehrender, aber räumlich beschränkterer Ausstellungen
vornehmen. Jedenfalls kann man sich die vierhundert bei
Bing gezeigten modernen japanischen Arbeiten mit Ruhe
und Genuss anschauen, und das war in den japanischen
Sälen des Kunstpalastes auf der Weltausstellung nicht
möglich. Den Japanern geht es genau so wie uns oder
vielmehr es geht ihnen gerade umgekehrt: unsere moderne
Kunst ist von japanischen Einflüssen beherrscht, und die
moderne Kunst Japans lässt sich von Europa beeinflussen.
Auf der Weltausstellung waren einige moderne japanische
Bilder zu sehen, die nach europäischer Manier mit Ölfarben
auf Leinwand gemalt waren. Die Sachen zeugten von
grossem Fleiss und eminentem Geschick in der Auffassung
und Wiedergabe der Natur, aber es war in ihnen keine
Spur von der wunderbaren Poesie, die aus den Arbeiten
der alten japanischen Meister zu uns spricht. Diese japa-
nischen Gemälde mit europäischer Technik machten auf
den Besucher genau denselben Eindruck wie die modernen
Japaner selber, die in Cylinder und Gehrock spazieren
gehen. Diese Vermummung gefällt uns weit weniger als
das farbenprächtige, faltenreiche Gewand des alten Japans,
und ebenso ziehen wir die japanischen Künstler vor, wenn
sie nicht europäisch maskiert sind, sondern in ihrer natio-

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