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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 12.1901

DOI Artikel:
Wölfflin, Heinrich: Zur Erinnerung an Herman Grimm
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https://doi.org/10.11588/diglit.5772#0249

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

herausgeber:

Dr. Max Gg. Zimmermann

UNIVERSITÄTSPROFESSOR

Verlag von e. a. seemann in Leipzig, Oartenstr. 15 und Berlin sw., Dessauerstr. 13
Neue Folge. xii. Jahrgang. 1900/1901. Nr. 31. 18. Juli.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik gratis. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlags-
handlung keine Gewähr. Inserate, ä 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasen-
stein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

Die nächste Nummer (32) der Kunstchronik erscheint am 15. August.

ZUR ERINNERUNG AN HERMAN GRIMM

Von Heinrich Wölffun

Am 16. Juni ist Herman Grimm 73jährig ge-
storben. Ein ganz sanfter Tod, der auch den Nächsten
unerwartet kam, hat ihn vor den Mühseligkeiten eines
kränkelnden Alters bewahrt. Als ein müder Arbeiter,
aber thätig bis zum letzten Augenblick, ist er aus
dem Leben geschieden. Nachdem er mit grosser
Freude die zehnte Auflage seines »Michelangelo« be-
sorgt und ein kostbares illustriertes Prachtwerk aus dem
Buch gemacht hatte, ging er noch einmal dem Thema
»Raphael« zu Leibe; ihm galten seine letzten Be-
mühungen; die fertigen Kapitel sollen in der »Deut-
schen Rundschau« erscheinen.

Mit Michelangelo hat Grimm seine kunsthistorische
Laufbahn begonnen. Michelangelo und Raphael sind
seine erwählten Kunstbegleiter durch's ganze Leben
geblieben. Es wäre undenkbar, dass er je eine all-
gemeine Kunstgeschichte geschrieben hätte: Kunst-
geschichte war für ihn Künstlergeschichte. Und dabei
galten nur die ganz Grossen. Erst wo die Silhouette
einer ausserordentlichen Persönlichkeit erschien, konnte
er vollen Anteil nehmen. Überall ist er ausgegangen
von den Heroen; nur was sich in dominierenden
Individuen verkörperte, schien ihm wertvoll; die
Kleinen und Anonymen liess er gern bei Seite.

Das »Leben Michelangelo's« erschien 1860 (der
zweite Band 1863). Das Buch war damals etwas
Neues. Eine Künstlerbiographie mit dem Anspruch,
den Helden persönlich dem Leser so nahe wie mög-
lich zu bringen, und zugleich die ganze Gesellschaft
der Zeitgenossen, seine Atmosphäre mit darzustellen,
gab es noch nicht; und diese hier war geschrieben
von einem Manne, der nicht nur Historiker war,
sondern Dichter, und dessen Sprache und Auffassung
menschlicher Dinge an der Aufgabe von Roman und
Novelle sich gebildet hatte.

Grimm erzählt gelegentlich selbst, wie er dazu
kam, einen kunsthistorischen Stoff wie Michelangelo '

anzufassen. Den Anstoss gaben Guhl's Künstler-
briefe, deren erster Band im Jahre 1853 herauskam.
Die Kunsthistoriker waren schon lange an der Arbeit.
Man sammelte und gliederte, »Schulen« grenzten sich
ab und Entwicklungsreihen traten hervor; Kugler als
erster hatte den Mut gehabt, den ganzen grossen Stoff
der Kunstgeschichte einheitlich darzustellen; in viel
bedeutenderen Proportionen fuhr Schnaase fort; 1855
gab dann Jakob Burckhardt im Cicerone die erste
organische Darstellung der italienischen Kunstgeschichte.
Aber neben all dem bedeuteten Guhl's Künstlerbriefe
etwas ganz Besonderes. »Der persönliche Zusammen-
hang der Werke und ihrer Urheber wurde sichtbar«.
»Man sah«, sagt Grimm, »wie die grossen Künstler
gedacht hatten, wie das Leben sie erzog und formte,
wie ihre Werke sich als Produkte ihrer Existenz er-
klären Hessen. Raphael und Michelangelo wurden zu
Persönlichkeiten«.

Das ist es. Das Interessante am Künstler ist seine
Persönlichkeit; die Kunstwerke sind wertvoll als Aus-
druck dieser Persönlichkeit; die Biographie ist die
gegebene Art, Kunstgeschichte zu schreiben.

Kein grösserer Gegensatz als Grimm und Jakob
Burckhardt. Burckhardt hat nie eine Biographie ge-
schrieben, lauter Bücher mit systematischer Frage-
stellung. Die Geheimnisse des Persönlichen waren
etwas, an das zu rühren er sich scheute, und ausser-
dem lag für ihn in der systematischen Darstellung
allein Garantie und Antrieb, sachlich über Kunst zu
sprechen. Die künstlerisch-fachmännische Seite bleibt
bei Grimm im Hintergrunde. Er macht keine Form-
analysen ; es fällt ihm nicht ein, ein Kunstwerk nach
seinen formalen Komponenten systematisch auseinander-
zulegen; mit der Architektur, wo das notwendig ge-
schehen müsste, hat er sich nie eingelassen. Man
darf nicht sagen, dass ihm der Sinn dafür fehlte, allein
die geistige Auffassung im Kunstwerk, die persönliche
Stimmung darin ist ihm das Wesentliche, seine Kunst-
! betrachtung geht auf den poetischen Inhalt, und es
' sind wohl überhaupt litterarische Kunstwerke seiner
 
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