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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

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Urteile Arnold Böcklin's über Kunst und Künster
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Schmidt, Karl Eugen: Ausgrabungen in St. Denis
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https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0013

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Ausgrabungen in St. Denis.

10

»So die Sorte Leibi sagt: Wer das Glas da täuschend
machen kann, hat mehr geleistet als der ganze Schwind.

- Sieh her: Wenn nun noch eine Hand dazukommt
und einer malt die ebensogut mit. — Das ist noch
mehr. — Und wenn dazu noch ein Kopf kommt,
der das Glas und die Hand am Mund hat. — Das
ist das Höchste. — Wenn der Kopf nun aber Beine
hat und geht. — Das kann man nicht mehr machen.
— Nein, du nicht. Aber das kann Schwind. Der
kann die Leut' auch noch schweben und schwimmen
machen, dass man's glaubt. Wer hat nun mehr
Natur von euch?«

AUSGRABUNGEN IN ST. DENIS
In St. Denis hat man vor einem halben Jahre ein
altes verbautes Haus zwischen der ehrwürdigen Kirche,
der Grabstätte der französischen Herrscher, und dem neuen
Stadthause abgerissen und dabei allerlei Funde gemacht,
die zu weiteren Nachforschungen reizten und interessante
Ergebnisse brachten. Es handelt sich nach den auf-
gefundenen Gegenständen mit Sicherheit um einen mero-
vingischen Friedhof, dem an der nämlichen Stelle ein
römischer Friedhof vorangegangen war. Dass sich hier
eine römische Grabstätte befand, ist schon deshalb wahr-
scheinlich, weil die Römer ihre Toten in gewisser Ent-
fernung von ihren Städten an den Landstrassen zu bestatten
pflegten. Eine alte Römerstrasse, von der noch Spuren
vorhanden sind, führte aber von Paris nach St. Denis.
Auch die Nähe der Steinbrüche, welche das Material zu
den Särgen lieferten, musste der Anlage eines Friedhofes
an dieser Stelle das Wort reden. Dass die auf die Römer
in der Herrschaft folgenden germanischen Franken einfach
fortfuhren, den Friedhof zu benutzen, ist natürlich, und
ebenso natürlich war es, dass der Merovingerfürst Dagobert
hier eine Kapelle bauen Hess, als Grabstätte für sich und
seine Nachfolger. Nach den Dimensionen der heute noch
unter der gotischen Kirche befindlichen romanischen
Krypta war diese Grabstätte ganz bescheiden gedacht und
weit von der späteren Grösse und Pracht der Kirche ent-
fernt. Ihre Errichtung liess also die meisten Gräber auf
dem Friedhofe unangetastet, und wahrscheinlich wäre es
in der Zeit Dagobert's eine grosse Thorheit gewesen, die
Heiligkeit der Gräber zu verletzen. Vermutlich war der
Friedhof damals noch benutzt, und die Einwohner hätten
es nicht ruhig hingenommen, wenn man die Gebeine ihrer
Vorfahren einfach herausgeworfen hätte. Zur Zeit des
heiligen Ludwig, der die Kirche von St. Denis ungefähr in
ihrer jetzigen Gestalt errichten liess, hatten dann vielleicht
die Pariser die Gewohnheit verloren, ihre Toten hier zu
bestatten, und um die alten Gräber kümmerte man sich
nicht mehr, so dass der König ungestört seinen Neubau
aufführen konnte. Und zwar scheint man die in dem für
"en Kirchenbau gebrauchten Räume befindlichen Särge
einfach in dem nicht gebrauchten Teile eingescharrt zu
haben. So erklärt sich der Zustand des Erdreiches und
die Lage der aufgefundenen Gegenstände, aus der un-
zweifelhaft hervorgeht, dass der ganze Boden bis zu einer
gewissen Tiefe aufgewühlt und durcheinander geworfen
worden ist. Mit dem Humus vermischt finden sich zahl-
reiche Scherben, Knochen, verstümmelte Steinsärge u. s. w.

Das alte Haus, welches an dieser Stelle stand und
jetzt niedergerissen worden ist, war ein malerisches und
schmutziges Gemenge von alten Mauern und späteren Zu-
thaten. Noch jetzt sieht man in der allein noch stehenden
Mauer hohe gotische Spitzbogenfenster, die später ver-
mauert und durch kleine viereckige Löcher ersetzt worden

sind. Im Mittelalter stand hier eine den drei Schutz-
patronen« geweihte Kirche, die aus drei kleinen Kapellen,
St. Michel du Gre, St. Barthelemy und Ste. Genevieve ent-
standen war. In den Religionskriegen wurde die Kirche
der drei Schutzpatrone nach der Schlacht bei St. Denis 1567
von den Calvinisten geplündert und in Brand gesteckt, ihr
völliger Untergang scheint jedoch erst mit der grossen
Revolution gekommen zu sein, als die Volkshaufen von
Paris kamen, die Königsgräber der Abtei öffneten, die Ge-
beine herauswarfen und den reichen Skulpturenschmuck
verstümmelten. Die Abtei mag damals in ihrer für die
Ewigkeit gefügten Kraft der wütenden Menge widerstanden
haben, die kleinere Nachbarin aber wurde so gründlich
verwüstet, dass sie hinfort nicht mehr zu ihrem ursprüng-
lichen Zwecke benutzt werden konnte. Arme Leute nisteten
sich in den Ruinen ein, verstopfen die zu grossen Fenster
und Thüren, teilten den hohen Raum in mehrere Stock-
werke, bauten Kamine und Zwischenwände, kurz sie thaten,
was die Leute von Verona mit ihrem Amphitheater gethan
haben. Dieses Gemisch von altem Glänze und neuer
Armut ist nun verschwunden, und die Ausgrabungen, die
eifrig fortgesetzt werden, haben bis jetzt die folgenden
Gegenstände zu Tage gefördert: den Grabstein eines
Priesters vom Jahre 1576, einige schlecht erhaltene Holz-
schnitzereien, den Schlussstein eines gotischen Gewölbes
in Form einer Gänseblume, mehrere Kapitelle, eins davon
korinthisch mit römischen Figuren, ein anderes mit drei
christlichen Heiligenfiguren, weshalb man es zum Kapitell
der drei Schutzpatrone gestempelt hat, ein drittes hat byzan-
tinische Anklänge und ein viertes ist schwer zu bestimmen,
zeigt aber entfernte Ähnlichkeit mit den Kapitellen der
ägyptischen Tempel von Edfu.

Schon allein aus den bisher genannten Funden geht
hervor, dass sich in diesem Boden Reste sämtlicher Kul-
turen befinden, die von der Römerzeit bis zum Anbruch
der Neuzeit in Frankreich geblüht haben. Und die weitere
Liste der Funde bestätigt diese Thatsache. Es sind zu
nennen: mehrere sehr schöne eiserne Kaminplatten im
reinsten Louis XVI.-Stil; ein zerbrochener gallorömischer
Topf, der zu weiteren Nachgrabungen vorzüglich reizte;
eine Menge gallorömischer und merovingischer Gefässe,
die meisten allerdings in sehr schlechtem Zustande, einige
Asche enthaltend; dann wurden mehrere Sarkophage aus
derselben Zeit entdeckt, verziert mit einem vermutlich
symbolischen Ornament: einer Art Rose, gebildet von zwei
parallelen Linien, die sich wellig um eine Art Stern winden;
auf dem Deckel eines dieser Steinsärge ist das Alpha und
das Omega eingemeisselt, in dem anderen befindet sich,
ebenfalls in den Stein gehauen, eine Art erhöhtes Kopfkissen;
ein bisher unberührter Sarkophag wurde geöffnet, er ent-
hielt die leicht kenntlichen Reste einer jungen Frau, die
aber bei der ersten Berührung zusammenfielen; eine Menge
Gürtelschnallen, merovingische Schwerter, Speereisen, Löffel
und eine Anzahl so verbogener Bronzestücke, dass ihre
Bestimmung nicht erkannt werden kann; von zahlreichen
Skeletten hat man Bronzeringe abgenommen, ausserdem
waren einige wenige Fetzen Brokat und Wollentuch er-
halten; schliesslich sind zu nennen eine Menge Bronze-
nägel von den Särgen und Silbermünzen von Philipp
August, Karl VI., Franz I., Karl VIII., Heinrich III. und
Gaston von Orleans. Die schönsten Funde sind: eine
Bronzemünze aus dem Jahre 250 von Magnantius, dem
Unterbefehlshaber des Constantius, welcher letztere von
ihm ermordet wurde; eine zwölf Centimeter lange, ausser-
ordentlich delikat ciselierte goldene Nadel und ein kleines
goldenes Medaillon von ovaler Form, mit Rubinen und
Achaten besetzt.

Die Stadt St. Denis, oder wenigstens ein Teil der Stadt-
 
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