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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 13.1902

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Schmidt, Karl Eugen: Der Salon der Société Nationale
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https://doi.org/10.11588/diglit.5809#0209

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

»SS*©®

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig und Berlin SW., Dessauerstr. 13

Neue Folge. XIII. Jahrgang. 1901/1902. Nr. 26. 22. Mai.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt, monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik gratis. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlags-
handlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Berlin SW., Dessauerstr. 13. Inserate, 430 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

DER SALON DER SOCIETE NATIONALE

Wie alljährlich seit ihrem nunmehr dreizehnjährigen
Bestehen hat die Societe nationale die Thore ihres soge-
nannten Salons eine gute Woche vor der älteren Societe
des artistes francais eröffnet. Beide Gesellschaften stellen
seit der letzten Weltausstellung im Grossen Kunstpalaste
aus, der zwischen der Seine und den breiten Strassen der
Champs Elysees, Nicolas II. und Antin sein verzwicktes
Dasein fristet. Dieser Palast besteht äusserlich aus zwei
Fassaden, deren mächtigste an der Avenue Nicolas' II. liegt,
während die bescheidenere und hübschere der Avenue
d'Antin zugekehrt ist. Innerlich besteht der Bau aus einem
hohen und sehr unschönen Glasbau, der nicht den geringsten
organischen oder ästhetischen Zusammenhang mit der zu
ihm führenden Fassade an der Avenue Nicolas' hat, und
der in zwei Stockwerken von umlaufenden Sälen einge-
schlossen wird, und aus einem weit hübscheren und kleineren
Kuppelbau, dem die Fassade der Avenue d'Antin zugehört
und der für sich allein ein abgeschlossenes Ganzes bildet,
nur durch leicht abzusperrende Thüröffnungen mit dem
grossen Glaskasten verbunden. In dem Glaskasten und
seinen umlaufenden Galerien haust die Societe des artistes
francais, die mehr Mitglieder hat als ihre Nachbarin, und
bei der ausserdem die allermeisten französischen Historien-
maler ihre Kilometerbilder ausstellen, so dass die Leute
mehr Platz nötig haben als ihre Kollegen von der Societe
nationale.

Die Societe nationale bewohnt den an der Avenue
d'Antin gelegenen kleineren Flügel des Gesamtpalastes
und hat hier hinreichend Platz für ihre Ausstellung. Nur
der Skulpturenraum ist sehr beschränkt, denn er besteht
nur aus dem runden Räume unter der Kuppel und aus
einer anstossenden Gartenecke des grossen Glaskastens,
den die ältere Gesellschaft grossmütig abgegeben hat.
Indessen hat die Societe nationale, deren populärer Name
immer noch nach dem früheren Orte ihrer Ausstellungen
Salon du Champ de Mars ist, niemals viel Platz für ihre
Bildhauer beansprucht. Während sie in der Malerei von
Anfang an die Führung übernahm, begnügte sie sich in
der Skulptur mit einer bescheideneren Rolle. Von den
bekannten französischen Bildhauern gehören ihr allerdings
einige der grössten an, aber sie beschicken die Ausstellung
nur sehr unregelmässig: Rodin ist immer da, aber er hat
die Gewohnheit angenommen, uns die nämliche Arbeit
mehrere Jahre hintereinander zu zeigen: einmal als unfertige
Skizze, dann etwas ausgeführter, dann in Marmor punktiert
und schliesslich endgültig vollendet. Der soeben ver-
storbene Dalou Hess sich nur alle paar Jahre sehen, ebenso
rar machte sich Bartholome, der Schöpfer des Totenmales

auf dem Friedhofe des Pere Lachaise, und die anderen
Bildhauer des Champ de Mars, Charpentier und Carabin,
brauchen nicht viel Platz, da sie im allgemeinen nur
Werke kleinen Massstabes schaffen.

In diesem Jahre ist die Abwesenheit der monumentalen
Bildhauerkunst auffallender als je. Darüber werden wir
kaum eine Thräne weinen, um so weniger als die Liebhaber
von langweiligen Statuen und banalen Denkmälern ohne
Zweifel im Salon der älteren Gesellschaft jede Befriedigung
finden werden. In der Societe nationale giebt es heuer
nur eine einzige dieser uninteressanten Statuen, deren Ur-
heber wir ungenannt lassen können. Rodin hat die Büste
Victor Hugo's gesandt, keine jener herrlichen Arbeiten,
die wie die Büsten von Jean Paul Laurens, Dalou und
Antonin Proust an die schönsten Meisterwerke der italie-
nischen Renaissance erinnern, sondern wie der Balzac
Rodin's ein Versuch, den Charakter und die Seele des
Modells plastisch darzustellen, ohne Rücksicht auf etwaige
Abnormitäten der Form. Es ist diesen Arbeiten gegenüber
ungemein schwer, sich mit Bestimmtheit zu äussern. Ein
Meister wie Rodin kann nichts Uninteressantes oder
Schlechtes machen, das steht fest, aber ob die Skulptur
überhaupt das geben kann, was Rodin durch sie erreichen
möchte, ist eine Frage, deren endgültige Beantwortung
wohl der Nachwelt aufgehoben ist. Mit Recht oder Un-
recht verlangen wir — abgesehen von dem enthusiastischen
Häuflein, das alle Arbeiten Rodin's so ungestüm und be-
dingungslos anbetet, dass man oft versucht ist, an seiner
Aufrichtigkeit zu zweifeln — heutzutage noch bestimmte
und klare Formen von der Plastik, und es scheint uns
diesem Kunstgebiete versagt, mit den Ausdrucksmitteln
der Maler zu rechnen, solange sie nicht die Farbe zur
Hilfe nehmen. Die Kleinskulptur ist in der Societe natio-
nale sehr gut vertreten: Carabin hat zwei Statuen aus
Birnenholz, dessen warmer, weicher Ton sich ausser-
ordentlich zur Wiedergabe des menschlichen Fleisches
eignet, ausgestellt. Die eine dieser Statuen stellt das
»Leiden« in Gestalt einer abgehärmten, mageren alten
Frau dar, die andere, »Der Genuss«, ist ein vollblütiges,
saftstrotzendes junges Weib, beide ungemein lebendig auf-
gefasst und mit jenem intimen Verständnis für die Materie
ausgeführt, welches alle Arbeiten Carabin's auszeichnet.
Von den Pariser Tänzerinnen, die ihm bisher die Vorlagen
für seine graziösen, lebensprühenden Bronzestatuetten
gaben, hat sich der Künstler in diesem Jahre zu den Be-
wohnern der Bretagne gewandt und einen sitzenden Dudel-
sackpfeifer, ein tanzendes Paar und eine Tanzkette von
vier Personen geschaffen, ganz vorzüglich charakterisiert
und in jeder Beziehung seinen bekannten früheren Statuetten
ebenbürtig. Andere sehr gute und interessante Klein-
skulpturen sind die Pariserinnen in Strassentoilette von
 
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