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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0112

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13

Neue Folge. XIV. Jahrgang 1902/1903 Nr. 13. 23. Januar

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum >Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Ver-
lagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstrasse 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

PARISER BRIEF

Im grossen Saale der nationalen Kunstschule hat
man, so weit man ihrer habhaft werden konnte, die
Arbeiten des im vorigen Jahre in Nizza gestorbenen
Malers und Radierers Marcellin Desboutin vereinigt
und dem Publikum zugänglich gemacht. Desboutin
war mit dem noch lebenden bekannteren Maler Edgar
Degas eine der letzten Stützen der einstigen Tafelrunde
Manet's, die sich im Cafe de la Nouvelle Athenes an
der Place Pigalle zu versammeln pflegte. Auch als
die Freunde gestorben waren oder das alte Lokal ver-
lassen hatten, erschien Desboutin bis etwa ein Jahr
vor seinem Tode regelmässig in diesem Cafe, wo er
der Mittelpunkt einer Gesellschaft von Künstlern ge-
worden war. Jedermann auf dem Montmartre kannte
den Alten, der trotz seiner achtzig Jahre immer noch
aufrecht und stolz einherschritt und in seinem Äusseren
mit dem grossen Schlapphut, dem ärmellosen italie-
nischen Mantel, den wallenden weissen Locken, dem
ungepflegten Barte und dem nie fehlenden thönernen
Pfeifchen eine der frappantesten Erscheinungen des
Künstlerviertels war. Desboutin war einst ein reicher
Mann gewesen und hatte zwanzig Jahre lang in seiner
Villa Ombrellino bei Florenz ein Mäcenatendasein
geführt, aus dem er durch den Zusammenbruch seiner
Finanzen aufgeschreckt wurde. Dann war er nach
Paris gekommen und suchte hier mit der Kunst, die
er bislang nur als Liebhaberei getrieben hatte, seinen
Unterhalt zu verdienen. Dies fiel ihm um so schwerer,
als er der rechte Boheme war und sich mit einer
zahlreichen Familie bebürdet hatte. Alle sechs Monate
zog er um, weil er die Miete nicht bezahlen konnte,
und die letzten dreissig oder gar vierzig Jahre schwamm
er im Strome von Schulden und Widerwärtigkeiten.
Das aber bekümmerte ihn nicht im mindesten und seine
Seelenruhe war in der ersten glücklicheren Hälfte
seines Lebens gewiss nicht grösser als in der letzten,
wo er oft nicht wusste, wo er schlafen und essen
sollte. Es schien ihm ganz natürlich, im Falle der
Not mit Weib und Kind, Hund und Katze bei einem
Freunde zu erscheinen und Gastfreundschaft zu hei-
schen und bis zu seinem Tode blieb er der unver-
besserlichste Optimist, der je einem Mürger Modell ge-
standen hat.

Die Hälfte der jetzt in der Kunstschule gezeigten

Arbeiten sind Ölgemälde, aber obgleich Desboutin
sich häufig des Pinsels und der Palette bediente,
fühlte er sich doch nie recht heimisch mit diesem
Werkzeug und kein einziges seiner Gemälde kann
als vollkommen oder vollendet angesehen werden.
Man sieht, dass er sich nacheinander von Ricard, von
Manet, wohl auch von Franz Hals beeinflussen liess,
aber er brachte es weder zu einer entschiedenen Ab-
sorption dieser fremden Einflüsse noch zu einer durch-
schlagenden Manifestation seiner persönlichen Eigen-
art. Ungleich höher denn als Maler steht er als
Radierer. Hier hat er wirklich ausgezeichnete Blätter
geschaffen und keine Geschichte der französischen
Griffelkunst der letzten Hälfte des 19. Jahrhunderts
wird ihn übergehen dürfen. In seinem Werke über-
wiegen die Selbstbildnisse, deren eines, das uns den
Künstler etwa im Alter von dreissig Jahren im Profil
und mit dem unvermeidlichen Pfeifchen zeigt, wohl
seine beste Arbeit und eine der besten modernen
Radierungen überhaupt ist. Da Desboutin kein Geld
für Modelle hatte, war er darauf beschränkt, sich
selbst, seine Familie und seine Freunde zu porträtieren
und da er selber am leichtesten zu erlangen war, hat
er sich wohl dreissig- oder vierzigmal gemalt und
radiert. Ein gemaltes Selbstbildnis von ihm ist seiner
Zeit auch vom Staate angekauft worden und hängt
im Luxembourg. Indessen rührt das beste Bildnis
Desboutin's neben der eben erwähnten Radierung von
Manet her und war auf der letzten Weltausstellung
in der Centennale zu sehen. Es stellte den Radierer
im besten Mannesalter dar, in ganzer Figur, Pfeife
und Tabaksbeutel in der Hand, den breitrandigen Hut
auf dem Kopfe und erinnerte etwas an gewisse Bild-
nisse von Velasquez im Pradomuseum.

Nach den Selbstbildnissen und den Porträts seiner
Frau und seiner Kinder müssen von Desboutin die
Bildnisse seiner Freunde und Bekannten genannt wer-
den, zu denen viele berühmte Künstler und Schrift-
steller gehörten. Vor allem ist die Tafelrunde Manet's
vollzählig vertreten. Manet selbst, der Radierer Guerard,
der Schriftsteller Duranty, der Maler de Specht, Degas,
ferner die dem Kreise nahestehenden Leute, wie Emil
Zola, Paul Verlaine, Puvis de Chavannes, Henner
und andere, die, wenn nicht durch gleiche künstle-
rische Ziele, so doch durch persönliche Beziehungen
mit Desboutin verbunden waren. Alle diese Radie-
 
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