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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Kesser, Hermann: Die Galerie Henneberg in Zürich, [1]
DOI Artikel:
Wolf, August: Neues aus Venedig, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0138

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253

Neues aus Venedig

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gesetzt, denn den Zusammenhang zwischen den einzelnen
Raumwerten vermag man nur schwer herzustellen. Dass
Stuck hier so frei verfährt, kann man angesichts des so
anschaulich bildgewordenen Gedankens ruhig in Kauf
nehmen.

Auch ein Stuck'sches »Laster« ist der Henneberg-
galerie zu eigen gewesen, in der Stuck'schen Mache »in
Farben modelliert«, und sein sattsam bekanntes Selbst-
porträt mit dem vielgenannten »gefährlichen« Blick.

Einige Pastell-, Kohle- und Federzeichnungen zeigen
ihn uns als Meister der Kleinkunst und in seinem künst-
lerischen Entwickelungsgang.

Stuck ist jedenfalls hier in einer Reichhaltigkeit ver-
treten gewesen, wie nirgends, und überdies mit einigen
seiner reifsten Erzeugnisse. Auf die Stucks und Menzels
dürften Gemäldesammlungen, die ihren Bestand nach diesen
Richtungen zu erweitern suchen, am ehesten ihr Augen-
merk lenken.

Bilder wie die »Kreuzigung«, die »Vertreibung aus dem
Paradies < und die Pietä sollten ihren Ehrenplatz in Galerien
wie München, Dresden oder Berlin haben.

Fast in seiner Gesamtheit hatte man den Nachlass des
allzu früh verstorbenen, Grosses versprechenden Bruno
Piglhein, der heute fast zu den Vergessenen zählt. Da
ist der grossartige Entwurf zu des Künstlers »Moritur in
Deo«. Krupp ersah ihn seinerzeit im Atelier des Künstlers
und forderte Piglhein auf, ihm das Werk auszuführen.
Durch Krupp kam das Gemälde in den Besitz des Kaisers
und später der Berliner Nationalgalerie. Die Studie ist
fast freier in der Wiedergabe des versöhnenden Gedankens

— ein Engel des Himmels drückt dem sterbenden Heiland
den Kuss des Mitleids auf die Stirne —, als das Original.
Denn hier lenkt nichts den Blick von der ergreifenden
Gebärde ab, mit der sich der Tröster zum Menschensohn
niederneigt, das zerrissene Farbenchaos accompagniert nur
den grossartigen Moment.

Noch zwei Entwürfe, die Kolossalstudie zu des Künst-
lers weltberühmten Panorama1) und die Studien zur
Münchner »Grablegung« sind in der Henneberg-Galerie
zu sehen gewesen, der Entwurf zum Panorama von
um so erhöhterer künstlerischer Bedeutung, als das voll-
endete Original zu Grunde gegangen ist. Man weiss,
wie Piglhein durch rein malerische Behandlung seines
Kreuzigungs-Rundgemäldes den theatermässigen Rahmen
der Panoramenmalerei erweitert hat. Die Studie zeigt
in allen ihren Einzelheiten, in der feinen räumlichen
Behandlung der Architektur, der Landschaft, voll des mäch-
tigsten Stimmungszaubers, der formschönen Linie, die
Horizont und Landschaft abgrenzt, in der verständnisvollen
Auswahl der malerischen Ausdrucksmittel, den tonigen,
harmonischen Farbwerten den Künstler, der überall, aber
auch überall, Kunst geben will und nie durch banale
Mittel zu sprechen gewillt ist. Piglhein weiss jedes Ge-
biet seines Schaffens mit seinem bewussten künstlerischen
Empfinden zu durchsetzen, auch dann, wenn die Dar-
stellung an Pikanterie streift, wie in einer nicht ganz voll-
endeten nackten Orientalin, die, im wohligen Haschisch-
rausch befangen, wunschlos von Glück und Wonne träumt.
Wie anders giebt hier — wenn die Parallele gestattet ist

— dieser Schaffende ein »Bien-etre« als Nonnenbruch auf
seinem geschmacklosen Marktbild!

Reizvoll ist ein kleines Pastell »Das Modell«, die
Rückenansicht eines weiblichen Körpers von wunderbarer
Weichheit, auf einem Tische Atelierkram aller Art, dra-
pierte Stoffe, kurz ein Atelierinterieur, das man oft ge-
zeichnet und noch öfter gemalt sehen kann, aber nicht in

t) Kreuzigung Christi, 1892 in Wien verbrannt.

so diskreten, zusammenklingenden Tönen abgestimmt, wie
der Fleischton und das blasse Gelb des Vorhangs.

Ergreifende Seelenstimmung spricht aus dem »Cen-
taurenpaar am Meer . Ein Centaurenpaar in heissliebender
Umschlingung wandelt am wogenden, brausenden Meer,
der Himmel ist finster; die Natur tobt in ihren aufgeregten
Elementen, nur die Leidenschaft des liebenden Paares
bleibt unberührt von den Stürmen des Meeres und der
Luft; die zwei Lebewesen sind glücklich in ihrem gegen-
seitigen Besitz und die Elemente scheinen ihnen gegen-
über ihrer ineinanderfliessenden Neigung als klein. Das
Machtvolle einer grossen Leidenschaft ist noch selten von
Künstlerhand so grandios verkörpert worden; in der Idee
ist diese Schöpfung ein Meisterwerk, wie es nur die
Grossen in der Kunst geschaffen haben. Schade, dass
man sich die Gelegenheit entgehen Hess, diesen unver-
gleichlichen Piglhein für Deutschland zu erwerben, er ging
durch Schenkung eines Anonymus in den Besitz der
Zürcher Kunstsammlung über, zugleich mit Stuck's »Wein«.

Ein entzückendes Knabenköpfchen von sinnigem Aus-
druck, ebenfalls ein Pastell, hebe ich besonders hervor;
an malerischen Feinheiten, an technischem Können
schlägt es alle »Marion's« und »Margott's« um vieles, denn
Piglhein wiederholt sich nie. Nicht ein einziges Mal sucht
er eine virtuos ausgebildete Seite seines Könnens auf
Kosten einer ehrlichen künstlerischen Absicht an den Mann
zu bringen. Frei von jeglichem Manierismus, von ge-
wollter Effekthascherei, offenbart er immer wieder neue
Seiten seiner Künstlernatur. Er ist malerisch im Sinne der
Modernen, ohne ein Moderner sein zu wollen, er ist ein
intimer Beobachter der Natur, ohne darum ein Naturalist
zu sein, er vermag zu erzählen, ohne genrehaft zu werden,
er braucht nur zu wollen und sein künstlerisches Gefühl
folgt ihm. Seine Nubierbilder, eine Palastwache, ein Neger
in Waffen, ein anderer harfenspielend am Meeresstrand
kauernd, eine Nubierin im Spiele mit ihrem Affen, sie sind
teilweise im Gröbsten stecken geblieben, teils nahezu fertig
gestellt, aber immer finden wir ein anziehendes Element,
sei es in der kompositionellen Anlage des einen, in dem
glänzenden Schwarz und dem leuchtenden Gelb des an-
deren, in der flotten, lebensprühenden Bewegung der
Natursöhne, oder in der Innerlichkeit der Auffassung.
Piglhein kennt auch das Pleinair. Man sehe die luftdurch-
zitterte Studie »Idyll«, einen nackten Jungen fischend am
Bachesrand liegend, umgeben von grünen Wiesen, Natur
in Natur. Noch manches wäre zu erwähnen, ich habe nur
das Augenfälligste vom Guten herausgegriffen, um des
Künstlers Nachlass mit einigen Strichen zu charakterisieren.
Henneberg erwarb die Kollektion nach dem Tode des
Künstlers (f 1894) von seiner Witwe. Es war meines
Wissens sonst an keiner Stelle Gelegenheit, Piglhein's
Lebenswerk so trefflich zu überblicken, seiner künstlerischen
Individualität so nahe zu treten, wie in der Galerie
Henneberg. (Fortsetzung folgt.)

NEUES AUS VENEDIG
Ich komme soeben aus dem Dogenpalast, wo Tag
und Nacht gearbeitet wird. Die durch die Wegräumung
der Büchermassen freiwerdenden Wände zeigen jetzt ersi,
welche Sündenschuld auch nach dieser Richtung der erste
Napoleon auf sich geladen hat, indem er Sansovino's
Bibliothek als Palast für sich in Anspruch nahm und die
Bücher in den Dogenpalast verwies, wo sie, stets sich ver-
mehrend, unsägliches Unheil angerichtet haben. Der an
sich schon kühne Bau war nicht bestimmt, solch unge-
heuere Lasten zu tragen, wie sie die Bibliothek und das
Archäologische Museum ihm zumuteten, und obendrein
 
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