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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [4]
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Warncke, Paul: Berliner Brief, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0146

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26g

Berliner Brief

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vertreten, die nicht eigentlich hierher gehören: Delacroix
mit einem halben Dutzend kleiner Skizzen, darunter
Hamlet auf dem Friedhof, Ophelia im Flusse, Roger
befreit Angelika, die Braut von Abydos, vier Tier-
bilder mit Löwen und Löwinnen, und zwei grösseren
Gemälden, Medea und die Entführung Rebekka's; in
diesem letzteren knallen und schmettern die leuchten-
den Farbenfanfaren des grossen Koloristen in gleicher
Pracht wie auf den Kreuzfahrern und auf dem Barri-
kadenbilde; Meissonier hat ein ungemein hartes und
chromoähnliches Bild hier, Les Ordonnances, und
ausserdem einige seiner ausgezeichneten Miniatur-
bildchen, wahre Kabinettstückchen wie der Leser, die
drei Raucher, der Flötenspieler, der Dichter; Isabey
endlich nimmt mit zehn oder zwölf grossen Kostüm-
bildern, Prozessionen, Hoffesten u. s. w. vielleicht
mehr Raum ein, als ihm trotz seiner unleugbaren
koloristischen Begabung gebührt.

Ein letztes Bild endlich führt uns zu einem
weiteren Glanzpunkt der Sammlung. Das Bild ist
von Barye und stellt ein Löwenpaar vor der Höhle
dar. Merkwürdig ist daran die an Daumier erinnernde
plastische Malweise. Der weitere Glanzpunkt dieser
Sammlung aber ist eine fast vollständige Kollektion
der kleinen Tierbronzen von Barye. Hier kann man
sehen, dass wir trotz Mene, Cain, Fremiet, Gardet,
Peter und wie die neueren Tierbildner alle heissen,
seit Barye keinen bemerkenswerten Fortschritt auf
diesem Gebiete der Kunst gemacht haben: Barye ist
noch immer der erste Tierbildhauer der Neuzeit,
und es hat ganz den Anschein, als sollte er es bleiben.
Auch in dieser Hinsicht hat die Sammlung Thomy-
Thiery eine sehr fühlbare Lücke gefüllt, und alles in
allem werden wir selten Gelegenheit haben, einem
Museum zu einer neuen Erwerbung so rückhaltlos
Glück zu wünschen wie in diesem Falle.

Die Sammlung ist ganz oben unter dem Dache
und hinter den Sälen des Marinemuseums unterge-
bracht. Das Licht ist hier ausgezeichnet, aber es ist
sehr zu befürchten, dass im Sommer die hier herrschende
grosse Hitze den Gemälden schaden wird. Hoffent-
lich wird in diesem Falle sofort eingeschritten werden,
denn eine Beschädigung dieser Bilder wäre ein un-
ersetzlicher Verlust für die französische und somit
für die gesamte Kunst der Welt. Der Sammlung
Thomy-Thiery hat man etwa hundert Bilder aus der
nämlichen Zeit beigesellt, die sich bisher in den ver-
schiedenen Sälen des Louvre und des Luxembourg
verstreut befanden. Besonders zu loben ist diese
Veränderung mit Bezug auf die beiden herrlichen
Chintreuils, die Ankunft des Postwagens von de la
Berge, das Tepidarium von Chasseriau, die Doggen
von Decamps, den Grenadier von Raffet, die Land-
schaften von Cabat, Flers und Michel, die bisher in
dem vollständig finsteren Louvresaale hingen, wo
sich das Begräbnis von Omans Courbets immer noch
befindet. Auch mehrere Courbets sind in den neuen
Sälen untergebracht worden: das jugendliche Selbst-
bildnis, der Verwundete, die Rehe im Walde und
das Bildnis Champfleury's; von Delacroix sind jetzt
die türkischen Frauen in ihrem Gemache und das

vorzügliche Selbstbildnis hier; von Fromentin die
algerische Falkenjagd und die ägyptischen Frauen am
Nil; von dem Soldatenmaler Bellange die Revue unter
dem Kaiserreich; von Meissonier eines seiner bekann-
testen und besten, bisher im Luxembourg befindlichen
Bilder »Solferino«, sodann das ausgezeichnete Bildnis
von Frau Gerriot, eine gute patriotische Skizze, die
Apotheose der Verteidigung von Paris 1870—71,
ein Selbstbildnis, das Porträt des jüngeren Dumas
und einige ebenfalls aus dem Luxembourg stammende
Skizzen; von Chintreuil ausser den beiden erwähnten
grossen Bildern drei ganz entzückende kleine Bildchen
voll weltferner stiller Poesie; von Millet die Kirche
von Greville; von Ricard das bekannte Selbstbildnis
und ein weibliches Porträt; von Rousseau der schon
früher im Louvre befindliche Waldessaum; von Henri
Regnault das an Goya erinnernde kleine Bildnis der
Gräfin von Barck in spanischem Kostüm; von Daumier
das kleine Porträt Rousseau's und die balgenden Bauern
mit dem Eseldieb; von Robert-Fleury das Colloquium
von Poissy; von Gigoux zwei Porträts; die zwei
italienischen Veduten von Corot, die schon seit vielen
\ Jahren im Louvre sind; der schöne Daubigny mit dem
[ Teiche am Hügel; die zwei grossen Dupres »Morgen«
j und »Abend« aus dem Luxembourg; die grosse
j holländische Marine von Isabey, ebenfalls aus dem
Luxembourg, eines der farbenfrohesten Gemälde dieses
Ziem vorausahnenden Künstlers; ferner noch Arbeiten
von Paul Huet, den Orientmalern Tournemine und
Belly, der weibliche Akt aus der Centenale der letzten
Weltausstellung von Trutat und ein sehr hüsches
Interieur von Adolf Felix Cals, worin dieser nicht
nach Gebühr bekannte Maler den ganzen Israels vor-
ausnimmt. K.ARL EUGEN SCHMIDT.

BERLINER BRIEF

Der Name Arthur Johnson wird sicher einmal zu den
besten gezählt werden, die unsere Kunstgeschichte nennt,
wenn sein noch nicht dreissigjähriger Träger die glänzen-
den Erwartungen auch ferner rechtfertigt, die des Künstlers
erste Sonderausstellung — bei Keller & Reiner — erweckt
hat. Johnson ist von Geburt Amerikaner, doch hat er
seine künstlerische Ausbildung von seinem achtzehnten
Lebensjahre an in Deutschland, und zwar, von Reisen und
selbständigen Studien abgesehen, an der hiesigen Kunst-
akademie genossen.

Seine Ausstellung beweist, dass er ein ebenso emi-
nenter Zeichner, wie bedeutender Maler ist. Die Zeich-
nungen, Studienköpfe, Hände, Landschaften'und von frischem
sprudelnden Humor erfüllten figürlichen Darstellungen
zeigen ein geradezu erstaunliches Können, eine Fähigkeit,
ohne Missachtung des Kleinen immer den grossen Eindruck
zu geben, die man nur bei unseren besten Meistern an-
zutreffen pflegt. — Die grossen Gemälde aber, die Johnson
ausgestellt hat, sind von so wunderbarer Glut und dennoch
so prächtiger Abgeklärtheit der Farbe, von einer solchen
Tiefe der Empfindung und von einem solchen Schönheits-
gefühl beseelt, sie geben die Pracht der Farben in der
Natur unter der Wirkung des Sonnenlichtes so kraftvoll
wieder, dass man sich mit reinster Freude und echtem
Genuss in ihren Anblick versenken kann.

Nicht wie so viele der Unseren malt er Landschaften
und fügt, berühmten Mustern nacheifernd, mehr oder minder
 
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