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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Münchner Brief, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0152

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13

Neue Folge. XIV. Jahrgang 1902/1903 Nr. 18. 6. März.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Kunst« und zum >Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Ver-
lagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstrasse 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

MÜNCHNER BRIEF

(Emil Lugo — Alfred Kubin — Karl Bauer — Segantini)

Es sind die Tage der Verkleidung und des Tanzes,
wo der Carrus navalis dem stürmenden feuchten Frühling
entgegenjagt. Lauter als in anderen Städten Deutsch-
lands — vom grauen Köln, vom satten Mainz vielleicht
abgesehen — drängt sich in München der blechern bunte
Lärm an das Ohr. Nun stimmt nichts den Menschen be-
trachtsamer, als dem wirbelnd aufgärenden Feste als
Nichttänzer von einer Saalecke aus zuzusehen. So mögen
die, denen diese Blätter in die Hand kommen, sich damit
abfinden, dass aus dem Werk von vier Künstlern, die
untereinander sehr ungleich in den letzten Wochen hier
die Erörterung reizten, Weltanschauungen mir entgegen
traten.

Ein Pantheist, ein Verehrer des tröstenden Klein-
lebens in der nimmermüden Natur war der vom Bodensee
stammende, nach zweiundsechzigjähriger Erscheinung uns
in München verstorbene Emil Lugo, der einen im ganzen
Leben herangereiften Schatz von Zeichnungen, Aquarellen
und Steindrucken dem Kupferstichkabinett hinterliess.
Der alte Joseph Anton Koch, Preller und Schwind, Neu-
reuther müssen vor seinem Auge gestanden haben. »Der
letzte Romantiker« so rief mir ein Freund. Dem Sechzehn-
jährigen gelang eine eindringende Vorfrühlingsstimmung
auf einem vortrefflich aquarellierten Blatt mit kahlen
windgeschüttelten Bäumen am Wegesrand. Dann sehen
wir sorgliche Blattwerkstudien und erfahren, wie sehr der
Künstler eine vielverästelte Kiefer vom Freiburger Schloss-
berg geliebt hat. Klippen und Felsen herrschten in den sech-
ziger Jahren. Die Landschaft wird heroisiert. Scharf werden
die Umrisse, Stift und Feder die Hilfsmittel. Ein Felsen
von Adlern umschwebt, ein steiniges Flussufer mit dünn-
stämmigen Bäumen, dahinter ein wilder gewaltiger Tanz
der Wolken: das sind zwei Hauptstücke des Jahres 1867.
Selbst in Italien findet der Meister das deutscheste: die
Felsennester des mittelitalischen Gebirges. Olevano vom
Sommer 1872. Frei blicken wir hinein in das wirrevolle
Städtchen mit seinen hohen Mauern, kleinen Fenstern,
Türmen und drohend gereckten Unterbauten, umwallt
vom faltigen Mantel der Berge. — Vier Jahre später zeigt
uns eine aquarellierte Tuschzeichnung drei mächtige Laub-
bäume, deren Art nicht recht klar wird, am Ufer des Sees
in stolzem Qespiegel. Hinter ihnen ein einfacher Brunnen
mit drei glitzernden lebengebenden Strahlen. Ein weiter
runder Hügelrücken schliesst freundlich ab. — Ein Aqua-
rell von duftigster Farbe, bezeichnet »Freiburg 1878«, führt
an den Eingang des Waldesdickichts. Leicht rosa gefärbte
Wölkchen lassen verhüllende Dämmerung ahnen. Die
gleiche tiefe Stille atmet ein in den Mitteln weit mehr

zeichnerisch angelegtes Blatt in Tusche, gelb laviert und
mit Weiss gehöht: eine alte zerklüftete und von lustigem
Ranken werk übersponnene Eiche in einer Lichtung. »Das
ist der alte Märchenwald«. Mit starker Farbe gab Lugo
uns 187g und 1880 die Birkenstämme, die aus steinigem
Hügelland empor sich krümmen, und geköpfte Weiden
am versiegenden Bach. Da leuchtet's von starkem Grün,
kräftigem Braun und schönem Blau des halb nur bedeckten
Himmels. — Die Alpenwelt regte zu dem Blatte der
Ziegen in mit wehend fächerartigem Gestrüppe be-
standenem Gebirgsland an und zu einer bildhauermässig
geformten »Wengen 1881« datierten Bergstudie. Ruisdael's
stille Dramatik lebt in einer Kreidezeichnung auf: ein
Gehöft an beiden Ufern eines Flüsschens mit halb ent-
laubten Bäumen. Das Zarteste gab Lugo wohl in dem
durchsichtigen Blau des schilfbewachsenen Chiemsees, den
er von der Herreninsel aus abschilderte. Nur den schweren
Grundaccord der Natur lässt er in einem ganz breit an-
gelegten Blatte seiner allerletzten Zeit erklingen: eine
Baumgruppe bei Herrenchiemsee. Kohlezeichnung, laviert
und mit Weiss gehöht. Von ernstestem Ergreifen.

Lugo's Lithographien, alle aus seinen letzten Jahren,
sind bisweilen etwas wirr in den Linien und überladen.
Zumal bei den vom Künstler selbst angetuschten Abdrucken
tritt dies ungünstig hervor. Andere ahmen durch Zwei-
und Dreiplattendruck die Clair-obscur-Holzschnitte des
16. Jahrhunderts nach. Aus dem Geiste der Steindruck-
technik sind sie nicht geboren. Sein Bestes in dieser
Kunstart ist wohl »Am Chiemsee«. Drei sehr klar auf-
steigende Baumgruppen öffnen den Blick auf den See
und die Fraueninsel. Von den drei ausgestellten Zuständen
giebt der mit zwei Platten hergestellte in der Behandlung
der Wolken am meisten Handschriftliches. Die reiche
Belebung und Tönung des Abendhimmels zeichnet ähnlich
eines der letzten Blätter aus, wo ein Hirt, in feierlicher
Gebärde einem Wotan-Wanderer gleichend, seine Schafe
zur Tränke führt. In dem »Schwarzwaldmärchen«, wo
wir die Madonna im Freien einem Hirten und einer
Bäuerin erscheinen sehen, weicht die Anlage wenig vom
Hergebrachten ab, vornehme Feinheit ist aber den Zügen
der ersten aller Frauen und des Kindes gegeben. Deut-
scheste Stimmung weht in dem Blatte, das uns ein junges
Mädchen sehen lässt, wie es am Gartenthor lehnend in
den hellen waldigen Grund und in Gebirgsfernen hinaus-
blickt. Den Beschluss mache »Vergänglichkeit«, ein dunkles
wirkungsvolles Stück in Graugrün und Weiss: ein Greis
sitzt unter mächtigen, von Baumwerk und Gesträuch über-
wachsenen Bauten und Denkmalen: die Natur nimmt alles
in sich auf und erneut alles; den rasch sich verzehrenden
Menschenleib und das den Jahrhunderten geweihte Stein-
werk.
 
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