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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Münchner Brief, [1]
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Hevesi, Ludwig: Eine Böcklin-Ausstellung in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0154

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286

Mit dem Hochmut der Ewigen wirft die Gottheit den Kopf
in den Nacken. »Ägypten« wird man sagen, aber hier ist
das Fiinftausendjahralte neublütig geworden.

Fasse ich nach dieser langen Durchschau der in mehr als
einer Hinsicht aufregenden schwarzen Symphonie meine Ein-
drücke zusammen, so sage ich: zweifellos einige starke und
unmittelbar wiedergegebene Visionen. Dann ein natürlicher
und sicherer Sinn für Raumverteilung und Tonwirkung.
In Gestaltung und Belebung der Einzelformen muss
Kubin aber noch fast alles lernen. Da kann ihm jeder
der namenreichen und die meisten der namenlosen
Künstler des 16. Jahrhunderts, weil Mehrleister, auch Lehr-
meister sein. Also viel treues Akt- und Kostümstudium,
im Sommer langes Weilen in sonnendurchglänzten Wäldern
und reichen tragenden Feldern, im Winter viel, sehr viel
Beethoven, und der Gedankenzeichner wird, reicher ge-
worden an Leben und Kunst, auch die Welt gerechter
werten. Das Königsrecht sei dem Künstler gewahrt, das
Heer der Schauenden durch lange Reihen angstverzerrter
Mienen hindurchzuführen, aber auch der Königspflicht sei
er erinnert, die Fahne vorzuhalten, auf der in leuchtenden
Krystallen die Worte gestickt sind: Und doch! Das letzte
Wort einer jeden grossen Kunst ist: Ja! »Dem Tüchtigen
ist diese Welt nicht stumm«. (Fortsetzung folgt.)

EINE BÖCKLIN-AUSSTELLUNG IN WIEN
Von Ludwig Hevesi

Im Januar hat der Hagenbund eine interessante Aus-
stellung von weniger bekannten Böckliniana veranstaltet.
Einiges davon, aus der Frühzeit, sah man schon an der
Böcklinwand der letzten Internationalen zu Venedig hängen.
Darunter das kleine Weimarer Selbstbildnis (1861), auf
einer Säulenterrasse sitzend, den Blick hinausgewandt ins
Ferne und Fernere, gleich Feuerbach's Iphigenia. Und
frühe Landschaften, noch ganz Schirmerifch, wie die so
ernsthaft grünen, Blatt für Blatt greifbaren Ahornbestände
(»Kentaur und Nymphe«, 1855), bei denen man an das
Bekenntnis denkt: »Ja, ich war lange Schüler von Schirmer,
aber ich habe auch lange gebraucht, um mich von ihm
loszumachen, in der ganzen Weltanschauung«. Eine
»Schlucht mit Wasserfall« (Basel 1848) ist noch ganz
historisch-romantisch, bloss in zwei Tönen, einem bleichen
Grau und einem schwarz gegebenen Grün, wie bei Voll-
mond. Eine schöne kleine Waldstudie zur neueren »Jagd
der Diana«, wo Ölbäume und Rotbuchen zweifarbig in-
einander greifen und hinten das Erdreich in blauen Duft
versinkt, hing schon in Venedig. Desgleichen diese und
jene kleine Einzelfigur: Melpomene, Hoffnung u. s. f.
Es waren aber auch einige Hauptbilder des Meisters in
Wien noch unbekannt. So »Dichtung und Malerei« (1881
bis 1882). Henri Mendelsohn erzählt in seinem neuen
Böcklinbuche (Berlin 1901), dass damals die Böcklingruppe
in Florenz, der auch Hans v. Marees und Adolf Hilde-
brand angehörten, sich die Losung gegeben hatte: »Der
Mensch im Räume«. Die Impressionisten riefen bekannt-
lich: »Der Mensch in Luft und Licht«. Auch Puvis in
Paris trachtete zum Monumentaleren zurück, indem er das
Verhältnis zwischen Mensch und Raum gesetzmässiger,
organischer formulierte. Böcklin und seine Leute bauten
ihr Schema damals nicht pyramidal, sondern fügten es aus
wagrechten und senkrechten Elementen. Zu ihrer strengen
Rhythmik gehörte es, die Mittellinie scharf hinzusetzen.
So im Tanz um die Bacchussäule«, wo die Säule das
weithin sichtbare Rückgrat der Komposition bildet. In
»Dichtung und Malerei« dient der blitzende Strahl des
Springbrunnens als solche Mittellinie. Er steigt aus einem

Amethystbecken in der Mitte einer Halle von edlem Ge-
stein. Smaragden und Rubinen schmücken den Bau, der
über florentinischer Landschaft mit villengesprenkelten
Cypressenhügeln hoch im Räume steht. Rechts und
links von der »flüssigen Säule« stehen zwei Böcklin'sche
Frauen, die füglich unter denen im Baseler Museum
hängen könnten. Es ist das Bild, dass Hans Sandreuter
auf dem Revers seiner Böcklinmedaille wiedergegeben
hat. Auch eine »Nacht«, die in violenfarbenen Däm-
merschleiern durch goldigen Dunsthimmel schwebt, hat
in Basel eine nahe Verwandte. Und aus dem Jahre des
herrlichen Baseler Bildes: »Vita somnium breve« und der
grotesken »Susanna im Bade« (1888) stammt das Brustbild
einer »Judith», die auf den gespreizten Fingern beider
Hände die Tasse mit der Flasche Rotwein und Gläsern
darbringt. Nach dem »felinen« Ausdruck der halbgeschlos-
senen Augen und des nervös lüsternen Mundes, und den
roten Schatten in Haar, Fleisch und den beiden dunklen,
aber ganz durchscheinenden Händen könnte sie wohl zu
der Rasse der modernen Salomen und Herodiaden
Regnault - Klinger - Beardsley'scher Observanz zählen, ist
aber doch nur die harmlosere wälsche Judith aus Keller's
»grünem Heinrich«, die dem germanischen Wesen ent-
gegengesetzt wird.

Besonderes Interesse erregten einige unvollendete
Bilder der kranken Zeit. Am 18. Mai 1892 wurde Böcklin
vom Schlage gerührt. Damals standen, wie Mendelsohn
mitteilt, drei Bilder auf seinen Staffeleien: die »Venus
genetrix« (1895 vollendet und zwar, wie mir erinnerlich,
mit äusserster Sorgfalt), ein »Nessus und Dejanira« und
eine »Scene aus Ariost«. Diese ist augenscheinlich der
»rasende Roland«, der nun auch hierher gelangte. Ario-
stische Motive kommen bei Böcklin immer wieder vor;
man erinnere sich nur an die nackte Angelika vor dem
roten Mantel des dunkel geharnischten Ruggiero, der ihren
Drachen erlegt hat. Übrigens war er nichts weniger als
Illustrator und wusste, wie Floerke erzählt, oft gar nicht
genau, wie die romantischen Herrschaften, die er malte,
eigentlich hiessen. Die Raserei Roland's hat er sich aus
mehreren Stanzen der Gesänge 23 und 24 zusammen-
gestellt. E cominciö la gran follia, ... er hat durch An-
gelika's Treulosigkeit den Verstand verloren, den später
Astolf im Monde finden wird, in einer Vase verwahrt,
aus der er sie schliesslich den mit Stricken gefesselten
Tollhäusler aufschnupfen lässt. (»Messer Lodovico, wo
| habt ihr nur all das tolle Zeug her?«) Im Gedicht sind
es drei Scenen, wie der Rasende un alto pino aus der
Erde reisst und Hirten und Bauern durchwalkt, wobei er
einem den Kopf »abpflückt«, wie einen Apfel oder eine
Pflaume, und dann »per una gamba il grave tronco prese
e quello usö per mazza addosso al resto«. Die Bauern
räumen das Feld, gli altri sgombraro subito il paese.
Aus allen diesen Momenten hat sich Böcklin einen einzigen
zusammengestellt, der physisch gar nicht durchführbar
wäre, aber eben darum die possanza estrema des Helden
in ein märchenhaftes Licht rückt. Der nackte Riese (nur
untermalt) stürmt mit ungeheuren Schritten in einen hoch
gelegenen Weiler und schwingt einen mitten abgebrochenen
dürren Baumstamm gegen die Überfallenen. Einige setzen
sich mit Heugabeln und Spaten zur Wehre, andere fliehen
Hals über Kopf den Abhang herab, übereinander purzelnd,
ein Gestürzter noch bäuchlings weiter gleitend. Ihr
panischer Schreck wirkt ebenso grotesk als ihr förmlich
faschingsmässiges Kostüm. Man erinnert sich unwillkürlich
an die kannibalische Laune früherer Böcklin'scher Germanen,
die, das lange Messer quer zwischen den Zähnen, mit
langen Gabillonschritten durch Flüsse waten, um römische
Gurgeln abzuschneiden. Während aber Orlando so auf
 
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