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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Hevesi, Ludwig: Eine Böcklin-Ausstellung in Wien
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Hevesi, Ludwig: Die Ausstellung im Künstlerhause in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0155

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die Leute eindringt (»eine Wildschur um die Lenden, eine
Kiefer in der Faust«, würde Freiligrath sagen), fliegt hinter
ihm der um einen Kopf kürzer gemachte Kerl, den er
eben noch »an einem Beine gefasst, als Keule auf der
übrigen Rücken niedersausen Hess«, alle Viere von sich
gestreckt, in weitem Bogen durch die Luft. Offenbar hat
er ihn weggeworfen, um doch zu einem festeren Prügel
zu greifen. Und das ist nun allerdings ganz urböcklinisch,
wie von graulich hell gemischtem Himmel, den die diagonal
durchgehende Bodenlinie freilässt, sich die Silhouetten
des weit ausschreitenden Riesen und des fliegenden
Bauern abenteuerlich abheben. Dieser Eindruck gehört
mit zur Typik Böcklin's, wie sie wohl in den Gedächtnissen
sich festsetzen wird.

In ein Rekonvaleszentenjahr (1896) gehört die grosse
Landschaft »Jagd der Diana«. Sie hat mit der 1862 ge-
malten, 11 Fuss breiten im Baseler Museum nichts gemein.
Sie ist mehr als Scenerie gefasst, ein hoher diagonaler
Hügelrücken dient den kleinen, hellen Figuren der daher-
springenden Jägerinnen als Hintergrund. Die Farbe geht
ganz in braunen Tuschungstönen, auch die hohen Weiden-
strünke links, doch haben die Grashalden in der Sonne
einen merkwürdig sammtigen grünlichen Schimmer und
im Thale, an den weiss niederperlenden Wasserfäden des
Baches, wühlt der Wind in grossen Beständen von Huf-
lattich, dessen weissliche Unterseiten er aufmischt. Solche
lebendige Züge mischen sich eigentümlich in die erd-
braune Tonart, die an Berchem's Nachfolger erinnern
möchte. Zeitlich nahe (i8g4) steht diesem Bilde das ganz ver-
schiedene, unvollendete Gemälde »St. Paulus«. Der Heilige
steht dunkel in einem dunklen, buntmarmornen Thorbogen,
hinter sich die dreifache Helligkeit von Düne, Meer und
Luft, die auch die Leibungen des schimmernden Thor-
gewändes streift. Wenn je, so steht hier wieder »der
Mensch im Räume«. Florentinisches Quattrocento wirkt
dabei greifbar mit. Ein unvollendetes Bild (Zürich 1888),
für mich von grossem Reiz, ist eine kleine Kalypso mit
rotem Haar und Mantel, auf rötlichem Strande sitzend, die
rechte Hand auf einen krummen Schiffsbalken gestützt.
Die Beine sind übereinander geschlagen, das Haar fliegt
im Seewind zurück, der Blick fliegt weit hinaus. Einer
jener böcklinischen Träume von einer träumenden Kalypso,
nur eben angedeutet, darum doppelt traumhaft. Vom
Meere heranziehend, brodelt graues Gewölk in grossem
Zug unruhig hinan. Der Wind weht landwärts, aber er
bringt Odysseus nimmer zurück. Ein Holzstück von dem
Schiffe, das er sich gebaut, ist sein einziges Andenken.
Aus dieser Zeit ist noch eine »Venus Anadyomene« (Zürich),
vor tiefem Dunkel aus Schaum aufsteigend, die nassen
Falten des meergrünen Schleiers auseinander ziehend, das
Fleisch gipsig wie in den meisten solchen Einzelfiguren,
die mit ihrem schwarzen Grund an pompejanische Wand-
bilder gemahnen. Eine solche Darstellung aus späterer
Zeit ist eine grosse unvollendete Melpomene, die mit ihren
drei Farben ebenso freskenhaft wirkt. Das grünlich-gipsige
Weiss der Figur und der Stele, auf die sie sich stützt,
hebt sich von dicken, dunklen Baumstämmen ab, die schief,
mit hellen Lücken zwischen sich, hinter ihr vorbeistreichen.
Das macht sich ganz phantastisch. Und davon sticht die
grelle Note eines französischroten Mantels schier sonder-
bar ab. Alle diese allegorischen Allotrien haben einen
Stich ins Seltsame. Auch einige Bildnisse waren zu sehen.
Frühe, mit Florentinismen gewürzte, aber auch eines jener
halb auswendig gemalten Bildnisse Gottfried Keller's, die
nie fertig werden wollten. Er sitzt hinter dem Tische, ein
Buch vor sich, daneben ein bläulicher Topf mit Blumen.
»Ja,« wandte Floerke ein, »man sieht nie Blumen bei ihm.«
— »Macht nichts,« entgegnete er, »dann sind das seine

Gedichte.« Der Symboliker, ohne es zu wissen und zu
wollen.

DIE AUSSTELLUNG IM KÜNSTLERHAUSE
IN WIEN

Im Künstlerhause sieht man die VII. Ausstellung
des Aquarellistenklubs der Genossenschaft der bildenden
Künstler Wiens und zwei Sonderausstellungen, von Vaclav
Radimsky (Paris) und Frans Courtens (Brüssel). Der Klub
tritt sehr zahlreich auf, ohne neue Züge zu zeigen. Es
sind wieder die mehr oder weniger hübschen, einheimischen
Landschaften von Darnaut, Zetsche, Bernt, Ribarz, Charle-
mont u. s. f., in denen sich nichts Neues zu ereignen pflegt.
Am liebsten begrüsst man noch die lokale Note, weil die
wenigstens anderswo nicht zu finden ist. So hat jetzt
der frische Vedutist Pippich im Auftrage der Verwaltung
allerlei alte niederösterreichische Narrentürme und Findel-
häuser, auch moderne Kliniken, abgeschildert, und zwar
in einem absichtlich steifleinenen Aktenstil, als sähe man
Blätter vom alten Goebel. Ein wirklicher alter Österreicher,
der 1902 verstorbene Alois Greil (geb. Linz 1841) ist ein-
gestreut, mit zahlreichen Blättern von einer unausrottbaren
Vormärzlichkeit. Sie sind meist sauber gezeichnet und
dünn und bunt mit Wasserfarbe ausgemalt, so recht un-
koloristisch koloriert. An Humor fehlt es diesen »Kirmess-
schlussfreuden«, »Affenhotels«, Musikantenscenen und
Lagern Wallenstein's nicht. Es ist der ältliche Humor
der »grünen Insel«, wo Ritterzeit gespielt, drolliges
Kostüm getragen und »biederdeutsch« gesprochen wird.
So manches Blatt taugt ganz wohl für ein Lokalmuseum.
Mit Interesse sieht man, nach langer Zeit, wieder Aquarell-
scenen von Ludwig Passini, der aus einem Venetianer
ganz Berliner geworden ist. Früher war er einer der
Unfehlbaren und Gefeierten des Künstlerhauses. Man
malte damals Farbe als solche, das Requisit in seiner
materiellen Herrlichkeit. Man nannte das Tiefe, Glut.
Es war eine Art Heldenzeit des Aquarells. In einem der
jetzigen Bilder Passini's (»Madonna dei Partorienti«) sieht
man noch einen Nachklang der kunstvoll ausgewaschenen
Pracht jener alten Marmortöne. Die Scenen im Freien
sind heute nicht mehr haltbar. Die Sammlung Vaclav
Radimsky's (geb. Kolin 1868) besteht aus lauter wirklichen
Freilichtstudien von heute. Er lebt in Giverny (Normandie),
dem nämlichen Dorfe, wo Claude Monet in seinem Garten
jenen Nymphäenteich anlegen Hess, mit einer kleinen Esels-
rückenbrücke darüber, den er schon ungezählte Male in
allen erdenklichen Beleuchtungen der Tages- und Jahres-
zeiten gemalt hat. Auch Radimsky malt einen solchen
Fischteich immer wieder, in allen Sonnenscheinen und
Dämmerungen. Es scheint, dass Monet ihm seinen Teich
als Modell geborgt hat. Und es sind da die feinsten
Lichtspiele und Schattenwirkungen in allen Farben zu
fischen. Radimsky folgt dem Beispiele Monet's und ver-
arbeitet jetzt den inneren Reichtum eines äusserlich engen
Naturkreises. Er ist bereits ein Meister in der Wiedergabe
gewisser Erscheinungen des Lichtes. Wo es am dünnsten,
stillsten und hellsten umherweht, ist es ihm am liebsten,
vollends wenn sich das Ungreifbare auch noch als Spiegel-
bild im Wasser ein zweites Mal verflüchtigt. Eines der
besten Bilder heisst »Nachmittagsschatten«. Eine von ihm
wiederholt gemalte viereckige Waldwiese, in die sich
Schatten unsichtbarer Bäume hineinstrecken und förmlich
immer länger werden. Auch die Courtens'sehe Ausstellung
ist ansehnlich. Man sieht da seine Entwickelung. Zuerst
saftige dunkle Eichen und Gehölze, die noch an Rousseau
erinnern. Dann den eigentlichen Courtens der goldgelben
und goldbraunen Buchenalleen, mit einer zähen Farben-
 
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