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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Kesser, Hermann: Die Galerie Henneberg in Zürich
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0171

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319

Bücherschau

320

den an der Sonne ruhenden Alten, im Hintergrunde der
schlichte weisse Bau. Durch die Zweige hindurch bricht das
Sonnenlicht und wirft seine hellen Flecken auf den kies-
bestreuten Weg. Der Naturalismus feiert in diesem ein-
fachen Motive Triumphe. Wenn je ein Künstler die durch-
dringende, hell leuchtende Sonne darzustellen verstand,
so ist es Liebermann hier gelungen, das scheinbar Zu-
fällige einer Naturbeobachtung, die tausend Kleinigkeiten,
in einer Weise zu summieren, dass eine getreuere Nach-
ahmung der Natur kaum mehr möglich scheint. Der Ob-
jektivismus der Kunst hat hier seinen Höhepunkt erreicht.
Die Skala der braunen und grünen Töne ist in einer
Reichhaltigkeit erweitert, die ans Unglaubliche grenzt, die
perspektivische Kunst, in die Tiefe zu gehen, wirkt Wunder.
Das Auge vermag es nicht zu fassen, dass es nur eine
bemalte Leinwand vor sich hat, das Sonnenlicht auf den
Boden scheint wirklich zu flimmern, die Blätter scheinen
sich im Winde zu bewegen. Solchen Impressionismus,
wie ihn Liebermann hier treibt, kann man sich ruhig ge-
fallen lassen. Bildmässig wirkt die Darstellung, weil sie,
so unvereinbar es mit den künstlerischen Absichten Lieber-
mann's scheint, doch eine gewisse Stimmung hat; etwas
Ruhiges, Beschauliches — die Eigenschaften der »Alt-
männerhäusler« ! — spricht aus dem Werke. Es gehört
zu Liebermann's reifsten Schöpfungen, denn hier pflegt
er nicht ein Sondergebiet der Kunst, er giebt nicht einen
einzelnen Faktor, sondern ganze Kunst.

Bei den »Schnittern« war es ihm hauptsächlich darum
zu thun, die Bewegung der mähenden Bauern mit dem
Pinsel festzuhalten. Das Koloristische tritt mehr zurück;
er giebt hier ein künstlerisches Stenogramm von unzähligen
Bewegungen, die das betrachtende Auge durch Summation
in feste Formen kleidet, in Umrisse und Linien.

Zierden der Galerie waren zwei Gemälde von Giovanni
Segantini »An der Tränke« und »Frühlingsweide«. »Klänge
von Farben, Formen und Linien« benannte Segantini
seine Schaffensprodukte. In der That klingt aus diesen
seinen beiden Bildern das ewige Lied von der Erhabenheit
und Grossartigkeit der Hochgebirgswelt, von der gewaltigen
Majestät der Alpen, verständlich für jeden Beschauer, wie
von überirdischen Tönen getragen.

Auf blumigen Matten weiden die Rinder, froh der
wiedererwachten Natur. Neues Grün sprosst aus dem
Boden, auf Gräsern und Halmen blinkt der Tau. Zackige
Felsen und weisse Schneefelder liegen im Sonnenglanze
in ewigem ernsten Schweigen. Die »Tränke«J) zeigt ein
idyllisches Hochthal im Gebirge. An einem jener primi-
tiven Brunnen, wie sie in Graubünden so häufig sind,
hat eben eine Magd ihr Gespann, zwei rassenschöne,
kräftige Ochsen, getränkt; zufrieden sind die Tiere von
dem erquickenden Born zurückgetreten. Die Bäuerin beugt
sich nun selbst über das kleinere Rohr, um ihren brennen-
den Durst zu stillen. Wir können es fassen, dass Tier
und Mensch nach dem labenden Wasser verlangen. Denn
in schwüler Sonne liegt die Wiese, kein Wölkchen trübt
das tiefe Blau des südlichen Himmels. Im Hintergrund
sehen wir ein friedliches Dörfchen, noch weiter zurück
eine hochalpine Landschaft. Die sengende Frühsonne lässt
die Bergriesen lange Schatten werfen. Die stille, natür-
liche Grossartigkeit dieses Bildes ist von überwältigender
Wirkung. Jenes helle, im Sonnenlicht glitzernde Grün der
Wiesen, die sonnenbeschienenen Schneefelder des Gebirgs-
stocks, die Lebewesen, die sich mit Natur verbrüdern, die
pulsierende atmende Welt der Berge, das alles hat Segantini,

1) Das Bild ist in den Besitz der Basler Galerie
übergegangen, während die Frühlingsweide kürzlich von
Herrn Em. Meiner in Leipzig erworben wurde.

selbst mit der Natur eins geworden, in seiner individuellen
Auffassung, mit seiner eigenartigen Technik, in einer
Weise zur Anschauung gebracht, wie es nur ein Künstler
kann, der in inniger Liebe zur Natur ihre intimsten Re-
gungen zu beobachten, ihr Leben und Treiben kennen zu
lernen, zu einer Lebensaufgabe macht.

Nur er, der in vollständiger Abgeschlossenheit auf
seinen Engadiner-Bergen lebte, vermochte das. Die beiden
Bilder der Henneberggalerie »Tränke« und »Frühlings-
weide«, sie reihen sich dem Lebenswerk Segantini's als
hervorragende Schöpfungen ein.

Von dem Künstler besass die Galerie noch zwei Hand-
zeichnungen »Beim Brunnen« und »Die beiden Waisen«,
letzteres ein technisches Meisterwerk. Segantini hat hier
in einer Art pointillistischer Technik mit Kreide auf blauen
Karton gezeichnet, und so das schwach erhellte Dunkel
einer rauchigen Bauernstube, deren glimmendes Kessel-
feuer die Umrisse der einsamen Lebewesen nur schwach
erscheinen lässt, vorzüglich wiedergegeben. —

Während, wie schon eingangs gesagt wurde, eine
grosse Anzahl von Gemälden in Privatbesitz übergegangen
ist, warten noch viele Stucks, Menzels, Piglheins und die
beiden Böcklins der Käufer.

BÜCHERSCHAU

Friedrich Sarre. Denkmäler persischer Baukunst.
Unter diesem Titel erscheint seit zwei Jahren im Verlag
von Ernst Wasmuth ein bisher in vier Lieferungen vor-
liegendes grosses Prachtwerk, das dieser durch die reiche
künstlerische Ausstattung ihrer grossen architektonischen
und kunstgewerblichen Publikation ausgezeichneten Ber-
liner Firma zu besonderer Ehre gereicht. Die grossen
Lichtdrucke wie die farbigen Blätter sind weitaus das beste,
was wir an Reproduktionen der reizvollen Kunst des
persischen Orientes bisher gesehen haben. Sie sind von
einer Schärfe und Klarheit, die Farben von einer Schönheit
und Reinheit, dass sie neben dem künstlerischen Genuss
und der wissenschaftlichen Belehrung zugleich ein treff-
liches Material für alle Bauschulen, kunstgewerbliche und
technische Anstalten bilden, deren Bibliotheken nur zu sehr
belastet sind mit zahllosen Publikationen von unzuverlässigen
oder geringwertigen Nachbildungen. Das Werk wird noch
im Laufe dieses Jahres mit einer fünften und sechsten
Lieferung und dem Textband, der gleichfalls reich illustriert
sein soll, abgeschlossen werden. Es ist nicht wie so viele
ähnliche Werke über die Kunst des Ostens zu Hause in
der warmen Stube durch Kompilation älterer Arbeiten und
Ausnutzung von Photographien entstanden, sondern es ist
die Frucht langjähriger Forschungen, die Dr. Friedrich Sarre
seit fast zehn Jahren auf Reisen in Vorderasien und
Persien gemacht hat, zum Teil in Begleitung seiner Mit-
arbeiter, der Architekten Bruno Schulz und Georg Krecker.
Die vorzüglichen Aufnahmen sind von ihm selbst an
Ort und Stelle gemacht worden. Sarre hat schon 1896
ein erstes Werk aus dem gleichen Gebiete veröffentlicht,
seine »Reise nach Kleinasien«, das wichtige Resultate über
die seldschukische Kunst gebracht hat. In diesem neuen
Werke hat der Verfasser, der seither über die vorder-
asiatische Kunst die gründlichsten Forschungen gemacht
hat, die Veröffentlichung der klassisch-persischen Bau-
denkmale des 13. bis 15. Jahrhunderts sich zur Aufgabe
gemacht. Gleichzeitig hat er auch die Mutter dieser Kunst,
die sassanidische Kunst, in ihren Monumenten studiert,
und wir dürfen auch über sie ein grundlegendes Pracht-
werk in kurzer Zeit erwarten, als neues Zeichen des
Fleisses und der Opfer, die der Verfasser allen seinen
Publikationen widmet. Als guter Berliner hat sich Dr. Sarre
 
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