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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Hevesi, Ludwig: Neuere Wiener Plastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0176

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13

Neue Folge. XIV. Jahrgang 1902/1903 Nr. 21. 3. April.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Kunst< und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Ver-
lagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstrasse 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

NEUERE WIENER PLASTIK
Von Ludwig Hevesi

Mildere Lüfte wehen und die Ringstrasse hat wieder
ihren Korso. Das ist die Zeit, wo man wieder Augen
hat für öffentliche Plastik. Mit einiger Spannung
gingen die Leute dieser Tage nach dem Burgring,
um zu sehen, ob sie sich etwa doch schon an
Kandmann's Minervabrunnen vor dem Parlaments-
hause gewöhnt haben würden. Ach, dieses Brunnen-
werk wird ewig ungewohnt bleiben. Eine kolossale
Pyramide von menschlichen Qliedmassen, nicht weniger
als 347000 Kilogramm »kolossaler Weiblichkeit«, wie
Heine sagt, im Werte von 500000 Kronen, sind hier
vor der Rampe des Hansen'schen Parlaments-Doppel-
tempels aufgetürmt. Das blendende Weiss des Laaser
Marmors hat den Winterstürmen siegreich getrotzt
und beherrscht ebenso gellend als im Herbst den
ganzen Prospekt, gerade den schönsten Teil der Ring-
strasse. Unmöglich, daran vorüberzusehen, und
vollends darüber hinwegzuschauen. Hansen hat sich
ja an jener Stelle ein hohes, steiles Etwas gedacht —
in einer seiner frühesten Zeichnungen der Fassade
sehe ich ein unbestimmt obeliskartiges Gebilde einge-
fügt —, aber schwerlich hätte es ihm gepasst, auch
noch diese vier österreichischen Flüsse, ein »Oesetz«
und eine »Gerechtigkeit« (jede 25000 Kilo schwer)
und unterschiedliche Delphine um die Säule her-
zulagern, auf der die 6 Meter hohe Minerva steht.
Ursprünglich sollte es übrigens ein Austriabrunnen
werden, worauf auch Moldau, Elbe, Donau und Inn
schliessen lassen; diese wollte man doch nicht in
irgendwelche Iiissos, Kephisos, Alpheios und Sper-
cheios hellenisieren. In unserer raschlebenden, Stil
um Stil fressenden Zeit ist es überhaupt misslich,
mit einem Bau nicht fertig zu werden, so lange die
Idee noch warm ist. Vor mehr als einem Menschen-
alter, unter Hansen's sehenden Augen, wäre dieser
Brunnen etwas anders ausgefallen und auch anders
begrüsst worden. Heute kommt er verspätet, nie-
mand glaubt mehr an diese Götter der Akademie.
Und die Sache wird nicht besser durch das an sich
löbliche Bestreben, bei einem solchen Staatsauftrage,
wie er doch bei uns selten wiederkehrt, so vielen
vaterländischen Bildhauern als möglich etwas Arbeit
zukommen zu lassen. So sind Haerdtt und Tauten-

hayn der Jüngere für die Allegorik mobilisiert worden,
was den Geist des Ganzen noch bunter macht. Ein
alter Fehler bei uns, eng zusammengehörige Statuen
in verschiedene Hände zu geben, bloss weil man
gern jedem einen Brocken zukommen lassen will.
Die vier Herkulesse am neuen Burgthor (Michaeler-
platz) führen diese Verteilungs- oder besser Beteilungs-
politik förmlich ad absurdum. Die vier Riesen sehen
aus, als wären sie um Jahrhunderte und Erdzonen von-
einander getrennt, während ihre Pendants, im Burghofe,
vom alten Mattielli, wie aus einem Gusse hingestellt und
förmlich mitgebaut erscheinen. Und dann ist Kund-
mann wohl ein vornehmer Künstler, aber ein realisti-
scher. Wenn ein solcher einmal idealisieren soll,
thut er, um nicht zu wenig zu thun, unwillkürlich
zu viel. Seine Minerva ist hyperidealisiert. Eine
aufs Zierlichste durchgemodelte Riesin, eine filigranierte
Bavaria. Für einen Innenraum würde sie gewiss
besser taugen, in dieser freien Ringstrassenluft, bei
allerlei Witterungen, sieht sie aus, als ginge eine hohe
Dame in Hoftoilette zu Fuss auf den Hofball. Die
öffentliche Meinung ist denn auch selten so einig
gewesen, als in ihrer Verurteilung dieses unange-
brachten Prachtwerkes.

Schade, dass die Luftspiegelung, die uns einen
Augenblick ein Wiener Brahmsdenkmal von Max
Klinger zeigte, so rasch verflogen ist. Man schob
die Schuld auf den Geldpunkt; Klinger's Brahms-
tempelchen hätte 140000 Kronen gekostet und man
hat nur 70000 auszugeben. Aber im Grunde ging
doch das Werk selbst den Verfügenden wider den
Strich ihres Konservatismus. Es war zu neu, zu
eigen, zu sehr »Brahmsphantasie«. Auf rundem
Unterbau ein Tempelchen von fünf Säulen, darüber
ein rundes Gebälk und jenes ganz flache Kegeldach
aus roten italienischen Dachziegeln, mit dem das
antike Tempelchen am Tiberufer bei Ponte Rotto ge-
deckt ist. Die Not eines Notdaches als Tugend.
Seitwärts vorgelegt ein Segment Wendeltreppe von
neun Stufen. Diesem gegenüber auf der innen um-
laufenden Bank die sitzende Brahmsfigur. Die Grund-
formel also antik, jedem Romfahrer zeitlebens lieb,
dabei aber ganz deutsch, neudeutsch wiedergeboren.
Es ist wohlige Barbarenfrische in der Durchbildung
dieser jonischen Säulen. Die dünnen Schäfte sind so
frei, mit dorischer Unmittelbarkeit gleich aus dem
 
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