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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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309

Bücherschau

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lichkeit, wie plötzlich den Schreiber heftigste Unlust am
Schreiben überkam. Anderes wieder, wie beispielsweise
ein paar Ausstellungsberichte, ist ausserordentlich, geist-
reich im Inhalt, glänzend in der Darstellung.

Dem Neudruck der Humoresken Bayersdorfer's, der
den Schluss bildet, geht eine durch August Pauly ge-
troffene Auswahl von Briefen voran. Sie bereichern und
verschönern das Bild noch, das wir aus dem sonstigen
Inhalte des Bandes gewonnen hatten. In einem Teile der
Briefe, besonders in den an Fachgenossen gerichteten,
zeigt sich reich die hohe Verstandesklarheit des wissen-
schaftlichen Menschen; in anderen, vor allem in den für
ein geliebtes Mädchen bestimmten, offenbart sich aufs
schönste seine zweite Seele, die schwärmende Seele des
Dichters, der in dem giorgionesken Bilde des Buonarroti-
Hauses zu Florenz »den Nachtwandlerblick in eine andere
Welt« entdeckt hat.

Zwei Bildnisse Bayersdorfer's sind dem inhaltsreichen
Bande beigegeben; beide aus dem Jahre 1875, das eine
von Thoma, das andere von Böcklin. Was jeder von ihnen
aus dem Urbilde herausgeholt hat, ist in mehr als einem
Sinne lehrreich. Nur Böcklin's Werk jedoch giebt Bayers-
dorfer so, wie ihn uns sein Nachlass zeigt: als Denker
und Dichter. Ernst Polaczek.

Walter Goetz, Ravenna. Berühmte Kunststätten 10.
Leipzig und Berlin, E. A. Seemann, 1901. 8 u. 136 S.
mit 13g Abbildungen.

Ein Historiker hat es unternommen, Ravenna zu
schildern, eine Stadt »weder des Altertums noch der
Renaissance«, wie es fast jede italienische Stadt ist, son-
dern der Zwischenzeiten der »Völkerwanderung« und
»Dante's«. Er führt uns ihre »geschichtliche Entwicke-
lung« in wenigen grossen, im Detail freilich etwas skizzen-
haften Bildern vor Augen und nimmt im voraus »die Nach-
sicht der Kunstgelehrten« in Anspruch. Durch Benutzung
der vorhergehenden Litteratur war er bemüht, »die allein
mögliche relative Zuverlässigkeit« zu erreichen. Wir wollen
nicht bemäkeln, dass hier und da doch ein Irrtum oder eine
Lücke entstanden ist. Stärkere Einwendungen aber müssen
wir gegen die das Buch beherrschende kunstgeschichtliche
Oesamtanschauung erheben, während wir dem Verfasser
gern in den rein geschichtlichen Ausführungen folgen. Er
weiss es dem Leser anschaulich zu machen, wie Ravenna
erst seit Einrichtung der zweiten Flottenstation (Classis)
unter Augustus, dank der Fürsorge der Kaiser, besonders
Trajan's aufgeblüht ist und wie die zunehmende Schwäche
Roms zur Ursache seiner Erhebung unter Honorius wird.
Dass die Kunstblüte Ravennas aufs engste mit den ge-
schichtlichen Persönlichkeiten der Galla Placidia und
Theodorich's d. Gr. verflochten ist, erscheint als ein voll
berechtigter Leitsatz. Aber obgleich der Verfasser das innige,
immer wieder befestigte Band, das die umsichtige und ent-
schlossene Tochter des Theodosius mit Byzanz verknüpfte,
deutlich sieht, verkennt er in den Kunstdenkmälern dieser
Epoche den Zusammenhang mit der Kunstentwickelung
Ostroms. Der dekorative und monumentale Stil des
Baptisteriums und des Mausoleums der Galla Placidia
verdankt nach ihm seine Entstehung nur der Chri-
stianisierung der antiken Kunst, mit deren Geist ihm
immer mehr entschwindet, »was lebendige Entwickelung
verheisst«. Dass diese gesamte Dekoration, in der »die
Farbe triumphiert«, deren Wirkung er sich selbst nicht zu
entziehen vermag, wie seine hübsche Schilderung des letzt-
genannten Baues beweist, eine eigenartige Neuschöpfung
des griechischen Orients ist, bleibt dem Verfasser ver-
schlossen. So bleibt er beim veralteten Standpunkt stehen,
dass die Ravennatische Kunst im wesentlichen auf Grund-

lage stadtrömischer Kunstübung erwachsen sei. Seine
Unklarheit über das innerste Wesen der Denkmäler tritt
noch deutlicher hervor bei der durch Theodorich d. Gr.
gepflegten Kunst. Dass Theodorich, der sich sogar sein
Standbild aus einer Reiterstatue des Kaisers Zeno her-
richtete, eigne Ideen in die Kunst hineingetragen und vor
allem römische Anregungen aufgenommen habe, kann
höchstens gegenüber der Grabrotunde vertreten werden.
Diese ist in der That ein »spätgeborenes Kind der Antike«
und steht mit ihrem plastisch gegliederten Aussenbau und
bedrückenden Inneren in starkem Gegensatz zum farben-
glänzenden Innenraum vonS. Nazaro e Celso. In eine sonder-
bare Verkennung des wahren Sachverhalts verfällt der Ver-
fasser, obgleich er die von Th. stets bewiesene hohe
Achtung des oströmischen Kaisertums und Wesens aus-
drücklich betont, wenn er bei dessen Kirchenbauten nur
die Möglichkeit eines Nebeneinflusses von Seiten des
Ostens einräumt. Ein aus Rom berufener Architekt und
Bildhauer beweist nichts gegen das Zeugnis der Architektur-
formen selbst (Kämpfer) und des neuen Stils der Mosaiken.
Für diese fehlt aber dem Verfasser durchaus der ästhetische
Massstab, wenn er z. B. in S. Apollinare Nuovo nur Ein-
förmigkeit und Hässlichkeit sieht und fast überall den
Verlust des lebenspendenden Geistes der Antike empfindet.
Der nach dem Prinzip der Reihung komponierte Märtyrer-
zug wirkt vielmehr daselbst mit der Architektur dekorativ
vortrefflich zusammen. Die Anschauung, dass den christ-
lichen Typen in dem Masse ihrer Entfernung von der
Antike die Individualisierung verloren geht, steht vollends
im Widerspruche mit den Thatsachen. Im Herausarbeiten
der porträthaften Charaktere liegt ein gut Teil der künstle-
rischen Arbeit des 5. und 6 Jahrhunderts. Auch die Zeit
vom Tode Theodorich's bis zur Einnahme Ravennas
durch Beiisar (539) will der Verfasser nicht als byzan-
tinische Ära angesehen wissen. Das ist in so weit
richtig, als das Jahr 526 gewiss keinen Einschnitt be-
deutet. Einen rein künstlerischen Einfluss von Byzanz,
worauf es schliesslich doch nur ankommt, leugnet er auch
hier nicht. Im einzelnen bewahrt er jedoch eine mehr
ablehnende Haltung. Bei S. Vitale verweist er selbst auf
den vorhergehenden Aufenthalt des Gründers Erzbischof
Ecclesius in Konstantinopel und giebt so unbewusst die
Erklärung, warum diese 526—34 entstandene, aber erst
im Jahre 549 geweihte Kirche noch das reine Oktagon
darstellt. Die Sophia und A. Sergios und Bakchos waren
eben im Jahre 526 noch nicht da, wohl aber z. B. die
oktagonale Kirche des Täufers im Hebdomon. Auch
S. Apollinare in Classe hat in Wahrheit nichts wesentlich
Abendländisches an sich, abgesehen von der einstöckigen
Anlage der Nebenschiffe, dagegen byzantinische Kapitale,
Kämpfer und Backsteindekor. Die eigentliche Schilderung
der Denkmäler entspricht dank der Verwertung von
Ricci's Forschungen im allgemeinen dem gegenwärtigen
Stande unserer Kenntnis. Besonders fühlbar wird wieder
die Unsicherheit des Verfassers erst da, wo er zusammen-
fassende Überblicke über die Entwickelung des Christus-
typus, die schlechterdings als eine örtliche nicht zu ver-
stehen ist, über die Kapitälformen, Sarkophage u. a. m. zu
geben sucht. Wie die meisten der Forscher übersieht
auch er die Grundthatsache, dass der Marmor mindestens
bei den bedeutenderen Stücken der prokonnesische ist.
Mögen sie auch grösstenteils an Ort und Stelle gearbeitet
sein, so kamen doch zweifellos mit diesem die Bild-
hauer von Byzanz. Von den Kapitälen werden mehrere
charakteristische Typen der altbyzantinischen Architektur,
darunter das mit dem windgeblasenen Akanthus als ver-
gröberte Abarten des korinthischen zusammengefasst und
nur das »tektonische« (Würfel- bezw. Kämpfer-) Kapitäl
 
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