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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Schleinitz, Otto von: Londoner Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0201

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379 Londoner Brief 380

»New Gallery« kann schon insofern als ein grosser
Erfolg für die Aussteller bezeichnet werden, als die
meisten dort zur Ansicht gebotenen Gegenstände
verkauft wurden. Walter Crane, der eine Vorrede
zu dem betreffenden Kataloge verfasste, bewährt in
allem, was er unternimmt, eine ungemein glückliche
Hand, ein Umstand, der diesmal besonders dadurch
in Erscheinung trat, dass die von ihm eingeführte
Neuerung: Namhaftmachung des betreffenden Zeichners,
des ausführenden Handwerkers und des Ausstellers,
nebst Angabe des Preises für jedes Katalogobjekt,
ebensoviel Beifall wie Anregung zum Ankauf bot.
Schon William Morris hatte eine derartige Reform
im Prinzip angeregt, die nun durch Walter Crane
in gedachter sozialistischer Tendenz hier zum Aus-
druck kommt. Die besten ausgestellten Erzeugnisse
fallen in die Branche der Bücher, der Buchbinderei,
Schmuckgegenstände und Emails. Würdige Nach-
folger der »Kelmskott Press« sind derselben in der
»Doves-«, »Dali-« und »Essex-Press« erstanden. So-
wohl im Material als auch in der Ausführung und
Dekoration haben Cobden-Sanderson und Douglas
Cockerell Vorzügliches geliefert. In der Möbelabteilung
leistete die Firma Ambrose Hoal Eigenartiges, der an
Originalität vier gestickte Wandpaneele mit Figuren
in der Manier Botticelli's von Mrs. Traquair gleich-
kommen. Beiläufig bemerkt, beziffert sich der Preis
dieser vier Wanddekorationen auf 20000 Mark.

Eine charakteristische Erscheinung bei Crane's
kunstgewerblichen Ausstellungen bleibt nach wie vor
die, dass nicht nur die grossen Meister für viele
Gegenstände der Kleinkunst (ein Wort, das der
erstere kaum gelten lässt) die Entwürfe selbst an-
fertigen, sondern auch unter ihren Augen von den
nächsten Angehörigen ausführen lassen. So hat
Mrs. Crane, die Gattin des Künstlers, eine pracht-
volle heraldische Portiere gestickt, Miss Holman Hunt,
die Tochter des grossen präraffaelitischen Meisters,
einen figurenreichen, vergoldeten, wundervollen Cassone
modelliert, Miss Morris, die Tochter von William
Morris, entwarf die Zeichnung für einen Spiegel, die
Gattin und Tochter von Mr. Lewis F. Day sandten
gemalte Kacheln und Stickereien zur Ausstellung.

Walter Crane, der für alles, was mit der Kunst-
industrie zusammenhängt, die anerkannte Führerrolle
in England übernommen hat, eröffnete ferner am
lt. April eine Kunstgewerbeausstellung in ehester.
Der Genannte hielt zu dieser Feierlichkeit eine seiner
charakteristischen Reden, die schliesslich im Kern
sozialistisch bleibt, aber doch so geschickt gefasst
war, dass sie jedermann aeeeptieren kann. Er sagt
in der Hauptsache: »Die gesamte Bewegung, die
sich auf kunstgewerblichem Gebiet in der modernen
Epoche bisher in England vollzogen hat, bildet
gewissermassen einen Protest seitens der Menschheit
zu Gunsten des Individuums gegen die Herrschaft
der Maschine und die Zwingburg der Fabrik. Die
Maschine und die Dampfkraft sind wichtig, um
Arbeitskraft zu sparen, aber für die Kunst im eigent-
lichen Sinne erscheinen jene glücklicherweise über-
flüssig. Wenn wir Inspiration suchen, müssen wir

trotz aller Abirrungen immer wieder zur Natur zu-
rückkehren. England wird als die Quelle einer
wirklich neuen frischen und originellen Bewegung
betrachtet, so dass wir alles thun müssen, um der
Welt auch ferner ein Beispiel geben zu können.«
Crane ist ein so grosser Patriot, ein so hervorragen-
der Künstler und Organisator, dass auch Anders-
denkende an seinen sozialistischen Ideen, die ausser-
dem in das liebenswürdigste Gewand eingekleidet
sind, gar keinen Anstoss nehmen. Dies beweist am
besten, dass unter seiner Führerschaft auch so hoch-
gestellte Personen wie die Prinzessin Louise und die
Prinzessin Christian von Schleswig - Holstein, die
Ausstellung mit eigenen Arbeiten beschickten.

Eine der gelungensten diesjährigen Ausstellungen
war die der Malerradierer und auch besonders inter-
essant deshalb, weil neue Namen mit vielversprechen-
dem Talent hier zum erstenmal in dieser Kunstbethäti-
gung auftauchen. Zu letzteren gehören David Waterson,
ein begabter Mezzotintstecher, Miss Ethel Martyn,
Miss Sloane und Mr. Alfred East, ein hervorragen-
der Landschaftsmaler, der sein Debüt mit drei Land-
schaften gab. Paul Helleu erfreut uns durch exquisit
fein empfundene Porträts junger Pariser Mädchen,
deren Köpfe ausnehmend zart, graziös und so elegant
wie in den Bildnissen van Dyck's gehalten sind.
Stuck's Kopf eines alten Juden«, eine Arbeit voller
Leben und Charakter, fand allgemeine Anerkennung
auf der Ausstellung. Dasselbe gilt von den land-
schaftlichen Radierungen Mr. Holroyd's, des Direktors
der »Täte Gallery«. Besonders schön gelang dem
erwähnten Radierer der Kopf von John Stevens.

Von dem Schüler zu dem Meister, das heisst
zu Professor Legros übergehend, sollen wenigstens
dessen beide aussergewöhnlich charakteristischen Werke
»Triomphes de la Mort« und »L'Ouragan«, sowie
der prächtig modellierte Kopf eines alten Neapolitaners
vermerkt werden. Pathetische Erfindungsgabe und
Tragik sprechen sich in jener, Kraft und Erhabenheit
der Natur in der zweiten Arbeit aus. In seinem
»L'Ouragan«, einer Vision schrecklicher Naturereig-
nisse, gegen welche die schwache Menschheit ver-
gebens kämpft, ist dieser eigenartige Meister niemals
übertroffen worden. Seit langer Zeit hat kein fremd-
ländisches Buch in England ein derartig hohes Inter-
esse erregt wie Maurice Dreyfous' Biographie des Bild-
hauers Dalou, dessen Porträt von Legros radiert, das
Titelblatt ziert. Aus dem innigen Freundschaftsbund
beider ging Höhenkunst hervor, zugleich aber erkennt
man auch Legros' wahrhaft menschliche Grösse. In
eben demselben Masse wie Watts seiner Zeit dem
jungen Legros bei seiner Ankunft in England hilfreich
die Hand geboten hatte, in gleicher Weise handelte
dieser hinsichtlich seines Studiengenossen Dalou.
Keinen denkbar grösseren Unterschied in der an
Rembrandt erinnernden Manier Legros' vermag man
aufzuweisen, als wenn man seine Arbeiten mit denen
von Frank Short vergleicht. Zufälligerweise sind beide
Künstler Nachbarn in London. Während jener in
wuchtigen und kraftvollen Zügen den Entwurf vor-
trägt, behandelt dieser seine Platte zwar in peinlichster
 
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