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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Wustmann, Rudolf: Als Dürer's Mutter starb
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0224

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13

Neue Folge. XIV. Jahrgang 1902/1903 Nr. 27. 29. Mai.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur «Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Ver-
lagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstrasse 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

ALS DÜRER'S MUTTER STARB
Von Rudolf Wustmann

1502 war Dürer's Vater gestorben, 1504 nahm
der seit zehn Jahren verheiratete, kinderlos gebliebene
Sohn die Mutter zu sich ins Haus, da sie nichts mehr
hatte; zehn Jahre hat sie noch bei ihm gelebt: sie
starb 1514 am 17. Mai, nachdem sie genau ein Jahr
bettlägerig gewesen war.

Die fromme alte Frau, die achtzehnmal geboren
hatte und an die Heiligen und den Teufel glaubte,
hat keinen leichten Lebensabend gehabt. Von den
bittern Seelenkämpfen ihrer letzten Zeit zeugt ihre
ergreifende Kohlenporträtskizze von der Hand des
Sohnes (datiert Oculi 1514, im Berliner Kupferstich-
kabinett) und seine Notiz »in ihrem Tod sach sie viel
lieblicher, dann do sie noch das Leben hätt« —
Nerven- und Seelenspannungen hatten das Gesicht
vorher im Leben qualvoll entstellt.

Dürer berichtet, dass er der Sterbenden selbst
vorgebetet habe. Sie hiess Barbara; das kleine Vers-
gebet

Barbara, du reine Maid,

Komm mir zu Hilf in grösstem Leid.
Ich bitt, du wollest mir erwerben,

Auf dass ich nimmermehr mag sterben,
Ich werd dann sacramentlich berichtt,

Und hab mein Sünd gegen Gott geschlichtt

wird er schon früher für die Mutter zur Anrufung
ihrer Namensheiligen zusammengestellt haben. Noch
zwei andre Gebete, von ganz derselben Form, mag
er der Mutter zum Trost gegeben haben, vielleicht
zusammen mit kleinen Bildern seiner Hand. Das
Gebet

Mutter Gottes, du reine Maid,

Ich bitt dich durch grosses Leid,
Das du hättest mit grosser Klag,

Do dein todts Kind vor dir lag,
Komm mir zu Hülf in meiner Not

Durch Jesu deines Sohns bittern Tod

darf man zu den wiederholt von ihm dargestellten
klagenden Frauen bei der Kreuzabnahme halten,
wenn es auch zeitlich nicht unmittelbar neben dem
einen oder dem andern dieser Blätter — am ehesten
dem der Kupferstichpassion — entstanden zu sein

braucht; den eindrucksvollsten Christuskopf, den viel-
leicht je ein Künstler geschaffen hat, auf dem 1513
herausgegebenen Blatt »Engel mit dem Schweisstuch«1),
dürfen wir als eine vorläufige Antwort auffassen auf
das Gebet

O, o Gottes Gebärerin,

Der höchsten Thron Himmelkönigin,
Aller Sünder grösste Hoffnung,

Ich bitt dich durch dein Kindlein jung,
Jesum, der dich erschaffen hat:

Mach mich sehen sein Trawthat2).

»S. (d. i. [anno] Salutis?) 1513«, wie das Täfelchen
links unten besagt, ist nun auch Ritter, Tod und
Teufel entstanden. Auch wenn es damals der miles
christianus des Erasmus nicht eben an die Hand
gegeben hätte, lag es für Dürer nahe genug, seine
tapfre alte Mutter, die dem baldigen Tode entgegen
ging und dabei von Anfechtungen geplagt war,
einem alten Ritter zu vergleichen, der seines Weges
reitet, des heimischen Zieles gewiss, des himmlischen
Jerusalems, das dort, nicht mehr zu fern, als hoch-
gebaute Stadt winkt, von Bäumen und Büschen
umgrünt, während es im Vordergrund, in des Alters-
lebens Gegenwart, Herbst geworden ist. Der Tod,
der den Ritter nicht schaurig, sondern menschlich
anblickt, ist sein Begleiter: ein auf der Reiterstudie
von 1498, die Dürer benutzte, frei herunterhängendes
Zügelende des Ritterpferdes ist auf dem Bilde an die
Schnur geknüpft worden, an der des Kleppers Sterbe-
glöcklein hängt. Auch der Teufel begleitet, ja er
hebt die Kralle zum Fassen, aber doch nicht er-
schreckend, den hässlichen Spiess hat er ruhig im
Arme, und so reitet der Alte innerlich getrost: dem
Teufel ist der Eintritt in die Burgheimat ja doch
verwehrt. Wohl aber wird die Treue, der Hund,
bis dorthinein geleiten3). Wichtig ist endlich der

1) Auf ihn geht zurück der von Schülerhand undürerisch
ausgeführte und dabei höchst entsetzensvoll ausgefallene
grosse Christuskopf, den man unbegreiflicherweise das
christliche Gegenstück des olympischen Zeus genannt hat.

2) d. i. Trautheit.

3) Klinger's Amor, Tod und Jenseits fällt uns hier ein,
schon der Rhythmus der Benennung des Blattes fordert
übrigens zu dem Vergleich mit Ritter, Tod und Teufel
auf. Bei Klinger galoppiert der Tod als Herr des Leich-
nams — diese Herrschaft drückt Dürer durch die Krone
 
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