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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Widmer, Karl: Karlsruher Kunst
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0251

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479

Bücherschau

480

Kunstsinn der Einwohnerschaft, dass gerade aus den
Kreisen privater Bauherren die einheimische Kunstentwicke-
lung, die architektonische und die damit zusammen-
hängende kunstgewerbliche, eine so nachdrückliche Förde-
rung empfangen hat. Der Sinn für künstlerischen Komfort
der häuslichen Umgebung ist hier weit verbreitet. Unter
dem Einfluss dieser Bestrebungen beginnt sich auch das
Strassenbild sichtlich zu seinem Vorteil umzugestalten.
An Stelle der akademischen Renaissanceschablone schafft
sich die malerisch gruppierende, aus den Bedürfnissen
des Wohnens herausgewachsene Bauweise des national-
deutschen Bürgerhauses besonders energisch Bahn. Unter
den Architekten, deren Thätigkeit in diesem Sinn am
erfolgreichsten auf die Entwickelung der Stadt eingewirkt
hat, stehen Curjel & Moser und Professor Billing in erster
Linie. In strenger historischen Bahnen bewegen sich
Oberbaurat Schäfer, Professor Ratzel und Walder-Rauschen-
berg. K. WIDMER.

BÜCHERSCHAU

Meisterwerke der niederländischen Malerei des XV.
und XVI. Jahrhunderts auf der Ausstellung zu Brügge.
Herausgegeben von Max J. Friedländer. München, Ver-
lagsanstalt F. Bruckmann A.-O., 1903.

Die Brügger Leihausstellung von 1902 von Max J.

Friedländer. Berlin, Georg Reimer, 1903.

Ein grosses weit aufgeschlagenes Buch von blenden-
der Weisse der Ränder, innen ganz mit merkwürdigen
Bildern angefüllt, umgafft von zehn oder zwölf eifrig ver-
zerrten Köpfen, von den Köpfen einige mit seltsamen
retortenhaft gebildeten Spürnasen, die Schädel sämtlich
gläsern durchsichtig und verratend, dass auch sie mit
übereinander getürmten alten Bilderhaufen angefüllt sind —
so etwa würde unser lieber Meister HeilignamWaldgenand von
Aachen (sei mir gestattet den Hieronymus Bosch so zu
verdeutschen) in einem Gemälde, das am besten in einem
abgelegenen, nur auf Maultierpfaden erreichbaren Kloster
Portugals bewahrt werden und von Altmeister Karl Justi
entdeckt sein müsste, den Eindruck schildern, den das
jetzt in stolzer Schöne erscheinende Werk des Bruckmann-
schen Verlages über die mit tausend Zungen beredete
Brügger Primitivenschau des vergangenen Jahres hervor-
ruft. Max J. Friedländer, einem der beweglichsten und
eifrigsten Helfer Wilhelm Bode's bei dessen Herkulesthat
der Kunstverstaatlichung, war es beschieden, Auswahl, An-
ordnung, Bestimmungen und erklärende Worte jenem eigent-
lich ersten Atlas nordischen Quattrocentos zu geben, der auf
Jahre hinaus für das Schauen der Kunstfreunde, das Forschen
der Fachgezwungenen, das Vergleichen der Händler Mittel-
punkt bleiben wird. Die Verlagsfirma thäte gut, dieses Buch
als herrischen Gesandten den Amerikanern im nächsten
Jahre nach St. Louis zu senden. Man kann wohl sagen,
dass die Tafeln in der Wiedergabe der oft mit hunderten
geliebter kleiner Dinge angefüllten Bilder das äusserste
leisten, was — wenn man überhaupt einen bestimmten
Verkaufspreis als Grenze anerkennen will — bis zum
heutigen Tage möglich wurde. Erleichtert war die Auf-
gabe natürlich dadurch, dass alle die — jetzt längst wieder
nach allen Ecken Europas zurückgewanderten — Kostbar-
keiten an einem und demselben Orte und unter verhältnis-
mässig günstigen Beleuchtungsumständen (im Hofe des
Gouvernementsgebäudes) aufgenommen werden konnten.
An der immer noch verbleibenden Wertverschiedenheit
der einzelnen Abbilder sind die Originale schuld. Es
wird niemand verwundern, dass die in braunem Firnis
verborgenen Meisterwerke des grossen Nervösen »Herri
de Bles«, die Erwählung Joseph's und das erstaunliche

Nachtstück der Heilandsgeburt (Tafeln 75 und 76) nicht mit
gleich schöner Klarheit herausgekommen sind wie das
fast jungfräulich erhaltene Bildnis des Mannes mit der
eingedrückten Nase von Memling im Mauritshuis (Tafel
35), wo Photograph und Drucker uns jede Bartstoppel,
jeden Sprung der Farbschicht aufbewahren konnten. Ein
Einwand wäre vielleicht gegen die durchgehende Ver-
wendung eines hellbraunen, nicht mehr recht neutral
wirkenden Farbtones zu erheben. So fordert doch das
mit raffinierter Abmessung geschaffene Verkündigungsbild
Gerard David's (Tafeln 47 und 48) gebieterisch blauen
Ton; übrigens hätte man, um den Eindruck nicht zu zer-
reissen, Engel und Jungfrau auf einem Blatte vereinigen
müssen. Die Judith des Jan Massys (Tafel 68), dieses
siegende Werk einer in die feinsten Gefühlsverästelungen
hineindringenden künstlichen Sinnlichkeit, verlangt für
die Reproduktion das satteste Schwarz des Ebenholzes;
den die Gruppen revolutionär durcheinander werfenden
holländischen Kalvarienberg der Sammlung Glitza (Tafel 83)
sehe ich in Rot. Der weisse, starke und doch bieg-
same Karton der Tafeln ist vortrefflich, der Druck des
Textes in guter Antiqua in Versalien und zwei Schrift-
grössen verständig angeordnet. Das Papier der Textseiten
würde ich stärker und etwas gelblicher wünschen, ähnlich
wie bei dem im G. Grote'schen Verlage erschienenen
Werke über die 1898er Berliner Renaissanceausstellung.
Diesem typographisch mustergültigen Stücke ist doch wohl
auch der Einband des Bruckmann'schen Buches — ein-
facher braungrauer Karton, als einzige Verzierung block-
mässig angeordneter Titeldruck auf Deckel und Rücken —
nachgebildet; halten wird er freilich nur bei mässiger Benut-
zung. Störend wirkt das blaugrau gefaserte Vorsatzpapier.

Bei der Auswahl der Tafeln — es ist leichter zehn
oder zweihundert als neunzig unter vierhundert Gegen-
ständen herauszuheben — war das Bestreben leitend,
die geschichtliche Entwickelung der niederländischen
Malerei sichtbar zu machen, soweit möglich, durch Haupt-
werke. Ein schweres Hindernis ist zu erkennen: die Mehr-
zahl der Bilder, auf die es eigentlich ankommt, befinden
sich in grossen Museen, in Kirchen und Privatsammlungen,
die nichts hergeben; man denke nur an den Genter Altar,
an die Hauptwerke Roger's de la Pasture in Berlin und
Madrid, an das grosse Dreikönigsbild des jungen Mabuse
beim Earl of Carlisle. Innerhalb dessen, was die Aus-
stellung bot, ist im allgemeinen ohne Kuriositätensucht
und mit künstlerisch wertendem Geschmacke gewählt
worden. Da die zum Teil sehr hervorragenden französi-
schen Bilder — die als Nutzniesser der Eyckischen Er-
oberung doch hätten mitgezählt werden können — und
ebenso die wenigen, aber interessanten westfälischen und
kölnischen mit Absicht fortgelassen wurden, die holländi-
schen Werke aber ihren Platz ausserhalb der Entwickelungs-
reihe in einer Art Anhang am Schluss bekamen, so bringt
der Band in der Hauptsache nur die Kunstthätigkeit in
Flandern zur Anschauung. Bei dem wenigen, was von
Roger vorgeführt werden konnte, hätte ich an Stelle der
recht schwachen, im Gesichtsausdruck unbelebten, in der
Haltung des Kindes übertrieben harten Madonna (Tafel 13)
lieber das, wenn auch beschädigte, so doch ausserordent-
lich vornehme und gewinnende Jünglingsporträt der
Sammlung Cardon (im Dezemberheft dieser Zeitschrift
reproduziert) gesehen. Glänzend ist für Bouts gesorgt,
das Lukasbild aus der Sammlung des Lord Penrhyn
(Tafel 21) wird mir freilich in der Reproduktion noch
immer zweifelhafter. Unter den Memlings würde ich dem
geheimnisvoll seelenkünderischen frühen Bilde des betenden
Knaben aus der Sammlung Salting lieber den Platz ge-
geben haben, den der ja hinreichend bekannte Martin van
 
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