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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Schmidt, Wilhelm: Zur Holbeinfrage
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Cohn, Jonas: Originalität Eine Betrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0259

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495

Originalität

496

Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch auf eine
Thatsache aufmerksam machen, die, wie ich aus
Äusserungen von Fachgenossen entnehmen konnte,
jetzt fast unbekannt ist, dass nämlich die Teile des
Sebastianaltares eine Zeitlang getrennt waren, indem
bei Errichtung der Pinakothek die Flügel in diese,
das Mittelbild aber in die Augsburger Galerie ver-
setzt wurden. Erst um 1864 überbrachte man auch
das letztere nach München. Nun hatte aber Eigner
in Augsburg das Mittelbild in seiner Weise restauriert,
indem er es austupfte, überging und mit seinem
Wachsfirnisse versah, so dass es den stumpfen, bräun-
lichen Ton annahm, an dem der Kundige die
Eigner'schen »Wiederherstellungen« erkennt. Würde
man sämtliche Tafeln neu restaurieren, den etwas
fleckigen, gelblich gewordenen Firnis der Flügel be-
seitigen und Eigner's Übermalungen der Mitteltafel
herunternehmen, so sähe die letztere koloristisch und
formal genau so aus wie die Flügel. Das muss mit
aller Entschiedenheit hier festgestellt werden!

W. SCHMIDT.

ORIGINALITÄT

Eine Betrachtung von Jonas Cohn
Der Beruf eines Kunstkritikers bringt die Notwendig-
keit mit sich, grosse Massen von Bildern zu sehen und
zu beurteilen. Wer es sich leicht machen will, der ge-
wöhnt sich dabei eine Anzahl feststehender Urteile und
Prädikate an, er lässt seine Auffassung der Kunst zu einem
Schema erstarren und ordnet diesem Schema jedes neu
gesehene Werk einfach ein. Diese Art von Kritik ist mit
Recht in Verruf gekommen, weil sie gerade dem Be-
deutenden und Neuen gegenüber jämmerlich versagen
muss. Diejenigen Beurteiler, die heute noch ernst ge-
nommen zu werden verdienen, helfen sich im Kampfe mit
der verwirrenden Menge von Eindrücken, die die immer
wachsende Zahl von Ausstellungen ihnen aufnötigt, meist
durch ein ganz entgegengesetztes Mittel. Sie stellen sich
auf den Standpunkt eines vergleichenden Historikers und
fragen: was giebt dieser Künstler für die Entwickelung
der Kunst, dieses Werk für die Entwickelung seines
Schöpfers Neues? Sie halten sich durch diese Betrachtungs-
weise den Sinn offen und schützen sich durch kurze, halb
unwillige Erwähnung der blossen Abwandlungen alter
Auffassungen vor dem Überdruss und vor der Überlastung
des Gedächtnisses.

Aber ein Kunstwerk wird doch nicht geschaffen, um
einen Platz in der Kunstgeschichte einzunehmen, es geht
aus dem Ausdrucks- und Gestaltungsbedürfnis seines
Schöpfers hervor, gerade bei echten Künstlern ohne Neben-
gedanken an das sonst schon Geschaffene. Es will in
dem empfänglichen Beschauer einen starken Eindruck er-
zeugen ; sein höchstes Ziel ist, dass ein Begeisterter vor
ihm sich und die Welt, um wieviel mehr also die Kon-
struktionen der Kunstgeschichte vergisst. Es scheint also,
dass die oben gekennzeichnete Betrachtungsart, so ver-
ständlich sie gerade bei ernstmeinenden Kritikern ist, doch
nicht dem eigentlichen Kerne des Künstlerischen gerecht
wird.

Aber, so werden die Angegriffenen hier leicht ein-
wenden: »Ist nicht eigenes Schauen, eigenes Fühlen, selb-
ständiges Gestalten das Kennzeichen des echten Künstlers,
und zeigen nicht die Grossen im Reiche der Kunst ihre
Grösse in der Eroberung neuer Welten für die Dar-
stellung, im Erleben neuer Gefühle gegenüber der Welt,

im Entdecken neuer Darstellungsmittel?« Es ist leider
nicht zu vermeiden, gegen solche Einwürfe das unmoderne,
aber unentbehrliche Rüstzeug einer begrifflichen Unter-
scheidung hervorzuholen. Selbständig erlebt, geschaut
muss jedes Werk sein, das als Kunstwerk wirken soll.
Sogar der nachschaffende Stecher oder Radierer, dessen künst-
lerische Ehre, wie die ritterliche eines mittelalterlichen
Lehnsmannes, in der Treue gegen einen Grösseren besteht,
muss das nachzubildende Werk ganz selbständig erfasst
haben, um es in der veränderten Technik wiedergeben zu
können. Diese Selbständigkeit bedeutet aber keine Er-
weiterung des Kunstbereiches überhaupt, wiewohl sie
natürlich die sklavische Kopie des Dagewesenen aus-
schliesst. Denn so wenig zwei Blätter eines Baumes
ununterscheidbar gleich sind, ebensowenig existiert ein
Geist, der der gespenstige Doppelgänger eines anderen
wäre. Man wird also das Eigene im Sinne des Selbst-
gefühlten scharf zu scheiden haben vom Eigenartigen im
Sinne des Neuen. Ob eine Zeichnung in jedem Striche
Leben atmet, oder ob ihre Linien tote Kopien einer über-
kommenen Darstellungsart sind, das erkennt man aus der
Betrachtung der Arbeit allein, ohne dass man nötig hätte,
sie mit anderen Werken zu vergleichen; dagegen vermag
nur der Kenner der Geschichte aus seiner Kenntnis heraus
darüber zu urteilen, ob Darstellungsmittel und Darstellungs-
möglichkeit eine Erweiterung erhalten haben. Auch die
Behauptung, dass wenigstens alle Grossen Pfadfinder im
Reiche der Kunst waren, bedarf der Berichtigung. Ein
Domenico Ghirlandajo, Memling, Raffael, Tizian, Van Dyck
zeichnen sich nicht in erster Linie durch Originalität aus;
jedenfalls ist der Grad der Neuheit auch für den rück-
blickenden Historiker nicht das Mass, nach dem er die
Bedeutung eines Künstlers "schätzt.

Diese Betrachtungen klingen etwas akademisch, aber
es ergeben sich aus ihnen Folgerungen, die für das prak-
tische Kunstleben unserer Tage von Bedeutung sind. Das
Urteil des Kritikers wirkt direkt auf das Publikum, indirekt
auch auf die Künstler, da diese für ihren materiellen und
zum Teil auch ideellen Erfolg auf die öffentlichen Urteile
angewiesen sind. Sehr leicht kommt die grössere Menge
dazu, in Vergröberung des kritischen Begriffes Originalität
nun einfach nach der »Neuheit« zu fragen, und, da eine
Einsicht in die feineren künstlerischen Probleme fehlt,
diese Neuheit in der jeweils neuesten Mode der Farben-
gebung oder Stoffwahl zu suchen. Es wird dann guter
Ton, in einem Jahre symbolistischen Tiefsinn, im nächsten
zerfliessende Stimmung, im dritten treue Naturwiedergabe
zu verlangen. Unter den Künstlern werden die einen von
den Schlagworten mitgerissen, die anderen von der Not
gezwungen, der Mode zu folgen. Es gehört eine besondere
Stärke der Begabnng oder des Charakters dazu, sich dem
gegenüber nur von den sachlich begründeten Forderungen
leiten zu lassen. So geht unter dem Rufe nach Neuheit
und Eigenart vermöge einer seltsamen Dialektik gerade
die wahre Selbständigkeit des Künstlers verloren; denn
diese besteht darin, dass er unbeirrt dem Antriebe seiner
Natur folgt und in der Art der Darstellung sich alle Er-
rungenschaften der künstlerischen Technik aneignet, die
dieser Natur gemäss sind. Wahrhaftigkeit ist seine Ehre,
künstlerische Vollendung, die natürlich mit äusserlichem
Fertigmachen nichts zu thun hat, das Ziel seiner Arbeit.
Ob er Eigenart hat, das zu beurteilen, überlasse er anderen.
Jede Sorge, die er darauf verschwendet, bringt ihn nur
auf Abwege. Nach Vollendung kann man streben, Origi-
nalität muss man haben.

Gelten diese allgemeinen Erwägungen für jede Kunst,
so kommen bei den bildenden Künsten im Gegensatz zur
Poesie noch neue Umstände hinzu, die ein Beurteilen der
 
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