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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Becker, F.: Die kunstgeschichtliche Ausstellung in Erfurt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0276

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

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Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13

Neue Folge. XIV. Jahrgang 1902/1903 Nr. 33. 18. September.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Kunst« und zum >Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Ver-
lagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstrasse 13. Anzeigen 10 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasens t ei n 81 Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

DIE KUNSTGESCHICHTLICHE AUSSTELLUNG
IN ERFURT

Die von der Denkmälerkommission der Provinz
Sachsen im Kreuzganggebäude des Erfurter Doms
veranstaltete Ausstellung alter Kunstwerke aus der
Provinz Sachsen und den thüringischen Staaten und
Anhalt wurde, obwohl sie noch nicht ganz fertig
war, und sicTi noch täglich vermehrt, am 31. August
feierlich eröffnet. Man darf wohl sagen, dass der
Plan, die Entwickelung der thüringisch-sächsischen
Malerei des Mittelalters und der Renaissance in Ver-
bindung mit Werken der Skulptur und des Kunst-
gewerbes und mit Abbildungen der wesentlichsten
Bau- und Kunstdenkmäler darzustellen, eine auch
wissenschaftlich interessante Lösung gefunden hat.
Wer die Vorläufer dieser Ausstellung, nämlich die
retrospektive Kunstausstellung aus sächsisch-thüringi-
schem Privatbesitz im Leipziger Kunstgewerbemuseum
1897 und die Dresdener Cranachausstellung 1899
besucht hat, wird jetzt in Erfurt viele alte Bekannte
unter den Goldschmiedearbeiten und den Gemälden
wiederfinden, aber auch wichtigen Neuerscheinungen
besonders unter den Miniaturen und Schnitzaltären
begegnen. Ein ganz einzigartiger Reiz der Aus-
stellung liegt in der Poesie und Stimmung der Ört-
lichkeit. Wenn man die kirchenreiche alte Metropole
Thüringens betritt, die im 14. Jahrhundert als die
volkreichste Stadt Deutschlands galt und die sich
1372 zuerst in Europa den Luxus einer Universität
mit 4 Fakultäten gestatten konnte, in deren Mauern
die Kunst der Giesser und Steinmetzen, der Glas-
maler und Architekten im 14. und bis zum letzten
Viertel des 15. Jahrhunderts blühte; wenn man dann
die 78 breiten Stufen zu dem auf gewaltigen Sub-
struktionen gelegenen, höchst malerischen Dome
emporsteigt und über die stadtbeherrschende Platt-
form in den Kreuzgang tritt, dann ist man in der
That in der richtigen retrospektiven Stimmung.
Nur die reichen Blumenarrangements erinnern an
Ausstellung, im übrigen fügen sich die meist kirch-
lichen Kunstwerke so einheitlich in die altersgrauen
gotischen Gänge und Räume ein, schliessen sich an
einige schon vorhandene so selbstverständlich an,
dass sie nicht weit hergeholt, sondern im ursprüng-
lichen Heim zu sein scheinen. Freilich erlaubten

die kleinen, ungleichartigen, durch vier Etagen ver-
teilten Räume keine übersichtliche Gruppierung und
zwangen zu vielen Mängeln und Kompromissen der
Verteilung. Die Lichtverhältnisse sind gut, aber nur
an sonnigen Tagen wird man die Schätze recht in
Müsse gemessen können; wenn erst der Herbstwind
durch die unheizbaren Gänge fährt, wird der Auf-
enthalt nicht unbedenklich sein. Der mit fünfzig
Abbildungen versehene, von Dr. Döring verfasste
Katalog gruppiert die ca. 480 Nummern nicht chro-
nologisch sondern nach Kunstgattungen und Her-
kunftsorten in fünf Abteilungen. Wesentliche Nach-
träge werden noch in den nächsten Tagen erscheinen.
In der ersten Gruppe der Gemälde, mit den Nach-
trägen ca. 200 Nummern, dominieren die Cranachs.
Auch Hans Cranach fehlt nicht mit seinem Skizzen-
buche und mehreren von Flechsig ihm zugeschrie-
benen Gemälden, ferner findet man zahlreiche
Werkstattarbeiten, darunter den bekanntesten Schüler
Wolfgang Krodel und sogar Cranach's trügerischen
Nachahmer Rohrich. Die Cranachausstellung in
Dresden war entschieden systematischer ausgewählt
und aufgestellt, aber auch hier in Erfurt ist wieder
Gelegenheit geboten, einen lehrreichen Überblick
über die Cranachgruppe zu gewinnen und einige
wichtige bisher noch nicht ausgestellte und publi-
zierte Stücke zu sehen. Ein solches ist Nr. 131,
das Frauenporträt im Besitze des Fürsten von Schwarz-
burg-Rudolstadt, äusserst kraftvoll in Charakteristik,
Farbe und Landschaft und zwar von derselben Hand
wie der Schleissheimer Christus am Kreuz von 1503
und das Porträt des Rektors Reuss von 1503. Eine
Überraschung ist ferner das imponierende überlebens-
grosse Brustbild Joachim's II. von Brandenburg (aus
dem Besitze des Kaisers) von der Hand des älteren
Cranach und eine erst nachträglich angekommene,
etwa 30 cm breite und 60 cm hohe, oben halbrund
geschlossene Trinität, auch ohne Bezeichnung ein
unzweifelhaftes Meisterwerk Cranach's aus seiner
mittleren Zeit. Die Dreieinigkeitsfiguren, ganz in
der Art wie auf dem Bilde des Sterbenden im Leip-
ziger Museum, sind umgeben von einem zweireihigen
Kranze reizender Putten und unten ist eine See-
landschaft in der Mitte, mit Felsen links und Bäumen
rechts. Einer der Bäume schneidet keck in die
Engelglorie ein und verbindet das irdische Idyll
 
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