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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Vierter Tag für die Denkmalpflege in Erfurt: Fortsetzung
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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13

Neue Folge. XV. Jahrgang

1903/1904

Nr. 3. 30. Oktober.

. Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Künste und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
K°naten JuIi bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
I nj| "halten die Kunstchronik kostenfrei. Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Ver-
gshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
le ""'spaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

WERTER TAG FÜR DENKMALPFLEGE IN
ERFURT

(Fortsetzung.)

Die Bedeutung neuer Straßenfluchtlinien in alten Städten
vom Standpunkte der Denkmalpflege.

Zu diesem wichtigen Gegenstand hielt zuerst Geh.
Baurat Stübben-Köln einen glänzenden einleitenden
Vortrag. Mannigfache Fehler, so führte er aus, werden
begangen bei der Feststellung neuer Baufluchtlinien
in alten Städten, obwohl die Stadtverwaltungen durch-
aus guten Willen haben und mit ihren technischen
Beamten durchaus der Erhaltung und Schonung der
durch geschichtlichen Wert oder künstlerische Form
ausgezeichneten alten Baulichkeiten zugetan sind. Die
mittelalterlichen Stadtgrundrisse sind freilich auf große
Verkehrsanforderungen nicht eingerichtet, entsprechen
auch manchmal nicht der öffentlichen Gesundheits-
pflege. Verkehr und Hygiene sind neue, dem Mittel-
alter wenig bekannte Begriffe. Die fortschreitende
Entwicklung alter Städte erfordert daher manche
Eingriffe, besonders Verbreiterungen und Richtungs-
verbesserungen. Mit diesen Forderungen, die wir als
modern denkende Menschen für berechtigt anerkennen
•aussen, wollen wir den Schutz des Alten, die Denk-
malpflege in Einklang bringen. Dazu hat Stübben
sechs Leitsätze aufgestellt. Der erste, der überaus be-
scheiden ist und doch außerordentlich wichtig und
wirksam sein wird, lautet:

Alte Baulichkeiten von künstlerischer und geschicht-
licher Bedeutung, wozu namentlich auch charakte-
ristische Privathäuser gehören, sind in den Flucht-
linienplänen als solche kenntlich zu machen.

Geschieht dies, so wird die Schädigung solcher
nauser in sehr vielen Fällen von vornherein leicht
vermieden werden. Der die neue Fluchtlinie ent-
werfende oder zeichende Techniker wird den durch
esondere Färbung hervorgehobenen Baulichkeiten
gewissermaßen von selbst aus dem Wege zu gehen
ucnen; er wird sich erst zu einem Angriff auf sie
schließen, wenn er wirklich nicht anders zu können

erk Der Pru^en<^e aDer wird sofort den Angriff
m ■.nen und aufs neue prüfen, ob er nicht zu ver-
ua, " War- Damit fallen unbeabsichtigte und un-
bewußte Schädigungen weg.

2. Eine vor die Flucht der genannten Baulichkeiten
vortretende oder dahinter zurücktretende neue Bau-
fluchtlinie ist nur dann festzustellen, wenn unum-
gängliche Rücksichten des Verkehrs und der Gesund-
heit es erheischen. Dabei ist zugleich zu prüfen,
ob und wie die in Mitleidenschaft gezogenen Bauten
der neuen Fluchtlinie bei Ausführung derselben an-
gepaßt, nötigenfalls umgebaut werden können. Be-
sonders kommt hierbei die Überbauung von Fuß-
wegen in Frage.
Ein erhaltungswürdiges altes Bauwerk wird durch
eine neue Fluchtlinie geschädigt oder gefährdet, mag
diese vortreten oder zurücktreten.

Tritt die neue Linie vor die alte, so wird das
Bauwerk nach einiger Zeit in einer Zahnlücke zwischen
zwei vorspringenden Neubauten stehen, was erstens
häßlich und zweitens lästig ist. Unschön sind die
toten Seitenflächen der die alte Haushöhe gewöhnlich
überragenden Brandmauern der neuen Nachbargebäude
— auch wenn sie mit Reklamen beklebt sind; lästig
ist, daß der Rücksprung Verunreinigungen aller Art
veranlaßt und den Ausblick hemmt. So ist über
das alte Haus ein gewisser Belagerungszustand ver-
hängt, dem es früher oder später unterliegt. Der
Eigentümer verliert die Freude an seinem Besitz, die
wirtschaftlichen Mängel desselben erscheinen ihm
größer als vorher; er bedenkt, daß er durch Zukauf
des in der Straßenlücke liegenden Straßenteiles eine
ausgedehntere Fläche für einen modernen Neubau
gewinnen kann; und die Möglichkeit dieses Zukaufs
bildet oft für einen Dritten den Anreiz, das Haus
dem mürbe gewordenen Besitzer behufs Niederlegung
abzukaufen.

Tritt die neue Fluchtlinie hinter die alte zurück,
durchschneidet sie also ein erhaltungswürdiges altes
Bauwerk, so wird dessen Lage noch mißlicher. Nach
einigen Jahren, wenn die Nachbargrundstücke in der
neuen Fluchtlinie mit Neubauten besetzt sein werden,
steht das alte Haus als wirkliches Verkehrshindernis
in die Straße vor: seine Tage sind gezählt. Ja oft
genug sieht die Gemeinde sich genötigt, dem seine
Lage ausnutzenden Eigentümer noch eine besondere
Entschädigung für den Abbruch zu zahlen, während
sie bei anders gezogener Fluchtlinie mit demselben
Zuschuß vielleicht eine würdige und dauernde Wieder-
herstellung und Erhaltung des Gebäudes als Schmuck
der Stadt hätte erreichen können.
 
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