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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Bode, Wilhelm von: Italienische Kunstpflege
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Zum Hunderdsten Geburtstage Gottfried Sempers am 29. November
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0060

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Zum hundertsten Geburtstage Gottfried Sempers

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die Galerien Italiens lebhaft bewegt: die Art der Auf-
stellung der Gemälde. Mailand hat seit langer Zeit das
rührigste Kunstleben in Italien, und daran nehmen auch
seine Kunstsammlungen in vorteilhaftester Weise teil. Nach
einem der feinsinnigsten Kunstkenner, den Italien gehabt
hat, nach dem Maler Giuseppe Bertini, dem recht eigent-
lich die Zusammenbringung der prächtigen Sammlung
Poldi-Pezzoli zu danken ist, hat die Brera in Corrado Ricci
einen der rührigsten Kunsthistoriker zu ihrem Direktor
bekommen. Er hat in Jahresfrist zur Ausführung gebracht,
was in anderen Sammlungen Italiens durch Jahrzehnte
ventiliert und schließlich doch nicht ausgeführt wird. Eine
Anzahl interessanter Gemälde, die aus napoleonischer und
österreichischer Zeit leihweise an entlegene Dorfkirchen
abgegeben waren, hat er wieder aufgefunden und zurück-
gebracht, und neuerdings hat er die ganze Galerie völlig
umgestellt. Im allgemeinen hat sie dadurch sehr ge-
wonnen. Herrliche Gemälde, wie Carpaccios und Gentile
Bellinis große Malereien sind jetzt überhaupt erst zu
sehen, und der Ehrensaal mit den Bildern von A. Mantegna,
Signorelli, Giov. Bellini und Crivelli ist von äußerst har-
monischer Wirkung. Dabei ist die historische Anordnung
ganz streng innegehalten; die störende Wirkung durch Un-
gleichheit einzelner Bilder in Größe, Farbe, Erhaltung und
sofort ist allmählich in geschicktester Weise ausgeglichen
worden. Es kann daher nur aufs wärmste begrüßt werden,
daß Corrado Ricci zum Generaldirektor der Museen in
Florenz berufen worden ist. Hier gibt's besonders viel zu
tun. Man hat durch Jahrzehnte sich mit kleinen Mittelchen
zu helfen gesucht. Seit Jahren ist ein Umbau der Uffizien
im Gange, einige neue Säle sind sogar schon eröffnet.
Aber diese sind zum Teil gar nicht günstig, wenigstens
nicht für so kolossale Bilder wie die beiden unfertigen
Rubens und das Triptychon von Hugo van der Goes.
Neugierig sind wir, was Ricci mit der Tribuna machen
wird. Dieser berühmte Saal, dessen Anordnung als sacro-
sanct gilt, ist offen gesagt abscheulich! Weder die Statuen
noch die Bilder haben nur leidliches Licht; sie schaden
sich gegenseitig, und der Mischmasch von Meisterwerken
aller Schulen und Zeiten wirkt höchst unerfreulich. Oben-
drein war die Tribuna ursprünglich gar nicht dafür bestimmt.

In der Kunstwelt Italiens spielt der Bureaukratismus,
von dem ja alle alten Kulturländer ein Lied singen können,
eine vielfach verhängnisvolle Rolle. Da wird alles von
oben regiert, der Minister und seine Räte bestimmen
alles! Die Hunderttausende, die Florenz und Venedig an
Eintrittsgeldern in die Sammlungen und an Gebühren für
die Ausfuhr von Kunstwerken jährlich einnehmen, werden
vom Ministerium einkassiert und dort ganz nach eigenem
Ermessen verwendet, vor allem für Ausgrabungen, für die
Restauration von öffentlichen Gebäuden, für Monumente
und so fort; die Galerien in Florenz, in Venedig und so
fort, die jene Summen eingebracht haben, können froh
sein, wenn ihnen gnädigst der zehnte Teil davon für diese
oder jene Erwerbung zugewiesen wird. Aber auch diese
Erwerbungen werden meist von oben kommandiert; ob
dieses oder jenes Bild oder sonstige Kunstwerk, das bei
der Ausfuhr angehalten oder sonst erworben worden ist,
in der Brera, in den Uffizien oder in der Galerie von
Turin oder Neapel aufzustellen ist, bestimmen wieder
ausschließlich der Minister und seine Räte, und auf die
Entscheidungen von dort muß oft Jahr und Tag gewartet
werden. Das verstimmt natürlich die Beamten der Samm-
lungen, es lähmt ihre Tätigkeit und macht sie ängstlich
oder gleichgültig. Wo daher in besonders rührigen
Gemeinwesen städtische Kunstsammlungen entstehen
konnten, finden wir meist ein regeres Leben, eine
freudigere Tätigkeit. Möge man den Grundsatz »Italia

farä da se« innerhalb der Verwaltungen Italiens doch mehr
zur Geltung bringen; der Kunstpflege würde dies sicher-
lich nur zum Nutzen gereichen! w. BODE.

ZUM HUNDERTSTEN GEBURTSTAGE GOTTFRIED
SEMPERS AM 29. NOVEMBER
Einen ergreifenden Einblick in die Seelenstimmung,
in die Sorgen, Arbeiten und weitfliegenden Pläne Sempers
zur Zeit seines Exils 1850 in Paris gewährt ein inhalts-
reicher Brief von ihm an seinen früheren Vorgesetzten und
Freund in Dresden, den kunstbegeisterten sächsischen
Minister Baron Bernhard von Lindenau. Dieser Brief
wurde vor einigen Jahren von Dr. F. Becker unter der
lange verborgen gebliebenen Künstlerkorrespondenz des
Barons von Lindenau aufgefunden und von Schulrat Procksch
in einem Altenburger Gymnasialprogramm publiziert, ver-
dient es aber sehr, als Beitrag zur Lebensgeschichte des
großen Architekten und Gelehrten auch weiteren Kreisen
bekannt gegeben zu werden. Der Brief lautet:

Ew. Excellenz
waren mir stets freundlich gesinnt, weshalb ich es wage,
mich Ihnen in diesen Zeilen vertrauensvoll und ehr-
erbietigst zu nahen. Sie sind geschrieben an der Grenze
eines verhängnisvollen Entschlusses, da mein Fuß noch
zaudert, die Bretter zu betreten, die mich in den neuen
Weltteil hinüberführen sollen.

Seitdem ich Dresden verließ, lebe ich in Paris, be-
schäftigt mit einer literarischen Arbeit, die ich schon vor
mehreren Jahren im Auftrage Viewegs aus Braunschweig
übernommen hatte. Ich wollte für die Bauwissenschaften
einen Weg versuchen, der durch Cuvier und andere in den
Naturwissenschaften zuerst gezeigt wurde und dem Studium
derselben erst Richtung und Halt gab, und stellte mir die
Aufgabe, eine vergleichende Baulehre zu schreiben.

Obgleich ich nun zu dieser Arbeit durch meine Vor-
träge vorbereitet war, fühlte ich dennoch erst den ganzen
Ernst der Aufgabe, als es sich darum handelte, damit vor
das große Publikum zu treten. Der reiche Stoff, mancherlei
aus Not oder in der Aussicht auf Erlangung von Auf-
trägen übernommene Zwischenarbeiten, Reisen, Krankheit,
kurz Störungen aller Art machten, daß sie nicht schnell
vorrücken konnten.

Sei es nun, daß Vieweg, der mir anfangs freundlich
entgegenkam, die Geduld verloren hat, sei es, daß die
schlechten Zeiten ihn bedenklich machen, sei es endlich
Furcht, durch Geschäftsberührungen mit mir sich zu kom-
promittieren, seit der gegen alle an der Bewegung von
Dresden beteiligte bewiesenen Strenge, kurz, ich erhalte
keine Antwort auf meine Bitten um Vorschuß.

Somit bin ich genötigt, eine mir nur für den Fall
einer Auswanderung nach Amerika zur Disposition stehende
Geldsumme anzunehmen und das schon vorgeschrittene
Werk, von dem ich mir viel versprach, aufzugeben. Denn
dort wird es schwer sein, die dazu nötigen artistischen
und wissenschaftlichen Hilfsmittel zu finden. Wie schmerz-
lich mir dieses ist, können Ew. Excellenz ermessen.

Zugleich ergreift mich das Gefühl der Anhänglichkeit
an die alte Welt mit ihrer Kunst und Wissenschaft, und
die Bangigkeit, dem ungewissen Lose einer Übersiedelung
das Glück einer zahlreichen Familie anzuvertrauen, um so
lebhafter, je näher die Entscheidung heranrückt.

Da kommt mir der Gedanke, Ew. Excellenz um Rat
und Beistand zu bitten, ehe unwiderrufliche Schritte ge-
schehen sind.

Mir ist ein Gespräch mit Ew. Excellenz in lebhaftem
Andenken, in welchem die Rede davon war, mich in einer
artistisch-wissenschaftlichen Mission nach Asien zu schicken.
 
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