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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Biermann, Georg: Die beiden Carotos in der Veroneser Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0065

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

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Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13

Neue Folge. XV. Jahrgang 1903/1904 Nr. 7. 4. Dezember.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Kunst« und zum >KunslgewerbebIatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Ver-
lagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haas enstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

DIE BEIDEN CAROTOS IN DER VERONESER
MALEREI

Es |sind zwei Brüder, von denen der eine Gio-
vanni, der andere Giov. Francesco heißt. Das Alter
beider ist uns durch keinerlei Dokument erhalten.
Ob Giovanni der jüngere, Francesco der ältere ge-
wesen, ist durchaus zweifelhaft. Die kunstgeschicht-
liche Forschung hat, bisher auf Crowe und Caval-
caselle fußend, die beiden Maler dermaßen plaziert —
Burkhardt spricht in seinem Cicerone überhaupt nur
von einem Giov. Francesco Caroto — daß sie Fran-
cesco zu dem älteren der Brüder, Giovanni zu dem
jüngeren und durchaus unselbständigen Schüler eines
so überaus bedeutenden Bruders gemacht hat. In
Wirklichkeit aber liegt die Sache, wie unsere Unter-
suchungen dartun werden, gerade urngekehrt. Wir
werden in jenem Johannes den älteren und bedeuten-
deren, leider aber früh verstorbenen Bruder, in Fran-
cesco den jüngeren Schüler zu erkennen haben.

Unsere Untersuchungen müssen naturgemäß an
Hand der gezeichneten Werke beginnen. Wir erkennen
dabei zwei verschiedene Unterschriften, die eine lautet
»Johannes«, die andere meistenteils »Franciscus Caro-
tus« oder nur »F. Carotus«; auf einem Bilde, jener
Madonna in der Glorie in S. Fermo, ein Werk, das
schon ganz raffaelesk anmutet, befindet sich die Zeich-
nung »F. Krotus«, was auf den ersten Blick stutzig
machen könnte, wären uns nicht andere Analogien
aus derselben Zeit überliefert, die gerne an Stelle des
»Ca« das deutsche »K« anwenden. Dagegen soll
nach Crowe und Cavalcaselle auf einem Madonnen-
bilde der Galerie von Modena die Unterschrift »J.
Franciscus Charotus« (diesmal »Ch« geschrieben) be-
finden. Dieselbe Zeichnung, jedoch ohne »/.« (Jo-
hannes?) befindet sich auf einem der Marienbilder
des Städelschen Instituts. Von vornherein sei betont,
daß auf den den Carotos zugeschriebenen Veroneser
Werken niemals eine Zeichnung »Giov. Franciscus«
oder »J. Franciscus« vorkommt, sondern es sich ent-
weder nur um einen einfachen »Johannes« oder um
(F.) Franciscus Carotus (Charotus — Krotus) handelt.
Gleichbedeutend mit den letzten Firmen ist dann noch

die Zeichnung »P ^« auf dem Lazanisbilde des
»Vescovado« zu Verona. Da es uns nicht bewußt

ist, ob in ausländischen Galerien noch Carotos mit
den Zeichnungen des »J. Franciscus« vorhanden sind,
wollen wir vorsichtshalber jene Unterschrift auf dem
Bilde der Galerie von Modena zu" Recht bestehen
lassen, um für die eigenartige Erscheinung, die die
beiden Brüder scheinbar zusammenwirft, im letzten
Abschnitt unserer Untersuchung eine Erklärung zu
finden.

Von jenem bisher verkannten Johannes bestehen
zwei gezeichnete Bilder. Das eine ist eine Madonna
mit zwei Heiligen und dem Stifter im Baptisterium
von Verona. Die abschließende Landschaft ist über-
aus stimmungsvoll behandelt, die Färbung hat warme,
beinahe glühende Töne gefunden. Der Ausdruck der
Madonna, deren Gestalt von einem weiten knitterigen
Seidenmantel umhüllt ist, ist ernst, religiös und nicht
ohne jenen Liebreiz, den Raffaels Madonnen haben.
Das Bambino schaut zwar ein wenig altklug drein,
benimmt sich aber recht artig. Es scheint das echte
Kind der frommen Mutter. Nur die beiden Heiligen,
Stephanus und Augustin, haben einen Zug von
künstlerischer Affektiertheit; dagegen ist der kahlköpfige
Stifter wiederum mit Ausdruck und Empfindung ge-
geben. Was dieses zart empfundene Madonnenbild
zu einem der schönsten der gesamten Veroneser
Malerei macht, ist vor allem die feine Koloristik, die
den tief religiösen Inhalt seelisch vertieft und auch in
der Landschaft wundervoll wiederklingt. Auf einein
Blatte des hinter der Madonna emporwachsenden Ge-
sträuches befindet sich die Zeichnung
»JOANNES«
MDXIIII.

Ein zweites Madonnenbild mit der folgenden
Zeichnung »1513. JOANNES« befindet sich als Altar-
bild in der Kirche von S. Paolo zu Verona. Die
Gottesmutter sitzt unter einem teppichartigen Baldachin
das Christkind stehend auf ihren Knieen unter einer
reich kassettierten, tonnenförmig gewölbten Bogenhalle,
hinter der eine bescheidene Landschaft unter leuch-
tendem Himmel sichtbar ist. In den gewaltsam dem
Beschauer zugekehrten Köpfen spricht noch stärkere
Geziertheit, die auch in der Stellung des Christkinds
wiederkehrt. Die Madonna dagegen, eine mächtige,
voll ausgereifte Frauengestalt, ist imponierend und
nicht ohne seelischen Ausdruck gegeben. Was auch
schon dieses Bild gleichmäßig wie das vorerst ge-
 
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