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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Bode, Wilhelm von: Mantegna und sein neuester Biograph
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0073

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN" in Leipzig, Querstr. 13

Neue Folge. XV. Jahrgang 1903/1904 Nr. 8. 18. Dezember.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Ver-
lagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von H aasen stein 8t Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

MANTEGNA UND SEIN NEUESTER BIOGRAPH

Bereits vor etwa zwei Jahren ist die englische und
einige Zeit darauf die deutsche Ausgabe von »Kristellers
Mantegna« erschienen1), die schon nach ihrem Titel die
allgemeine Aufmerksamkeit hätte auf sich lenken müssen.
Wenn trotzdem noch wenig davon die Rede gewesen ist,
so liegt dies zum Teil wohl an der modernen Kritik von
Werken über alte Kunst. In unserer Zeit, wo die alten
Zünfte fast nur noch in der Erinnerung leben, sind neue
Zünfte eigener Art entstanden, darunter die zunftmäßige
Kunstkritik. Die Fachzeitschriften wie jede größere Zeitung
haben ihre ständigen Referenten über Kunst; ihnen schicken
die Verleger dienstbeflissen alle neuen Erscheinungen zu,
aber bei der Fülle derselben und häufig auch bei dem
Mangel an Fachkenntnissen bedarf es, falls der Verfasser
sich nicht selbst darum abmüht oder einer Clique angehört,
wiederholter Mahnung, um wenigstens hier und da eine
kurze, oberflächliche Besprechung zu erzielen, mag das
Werk auch noch so gut sein. Doppelt schwierig sind die
Herren Rezensenten, wenn es sich gar um Bücher von so
schwerem Kaliber handelt, wie Kristellers Mantegna. Durch
die prächtige, sehr geschmackvolle Ausstattung: die fünf-
undzwanzig Tafeln und das schwere Papier, ist der große
Band von 600 Seiten gar zu unhandlich geworden und
schreckt dadurch vom Lesen ab. Im Interesse seiner Ver-
breitung hätte man gewünscht, daß die Ausführung etwas
knapper, das Papier etwas dünner gehalten oder daß das
Werk in zwei Teilen ausgegeben wäre; schon dadurch
wäre auch eine gewisse Einförmigkeit und Breite in An-
ordnung und Ausführung weniger fühlbar geworden. Doch
das sind Äußerlichkeiten, die den Inhalt nicht berühren;
nach diesem verdient Kristellers Arbeit als eine der fleißigsten
und sachlichsten Monographien über italienische Kunst
bezeichnet zu werden, die in neuerer Zeit erschienen sind.
Gründliche Kenntnis aller Werke des Künstlers und der
Schulen, mit denen er zusammenhängt, und Benutzung
aller Quellen und eingehende Forschung in den Archiven,
die Auskunft über den Meister geben können, völlige
Vertrautheit mit Kunst und Kultur der Zeit wie mit dem
ganzen Milieu des Künstlers sind die Basis, auf welcher der
Verfasser seine Darstellung aufbaut. Schärfe und Vorsicht
der Deduktion, rein sachliche Kritik, die jeder persönlichen
Auseinandersetzung mit anderen Autoren fast ängstlich aus
dem Wege geht und doch die eigene Persönlichkeit ganz
bescheiden zurücktreten läßt, Klarheit in der Disposition,
fließende Darstellungsweise, Wärme in der Schilderung

1) Paul Kristeller, Andrea Mantegna. 600 S. gr. 8,
mit 25 Heliogravüren und 163 Textabbildungen. Cosmos,
Berlin und Leipzig, 1902.

und Begeisterung für seinen Helden, ohne in Übertreibung
seiner Bedeutung zu fallen, gewiß Eigenschaften, die sich
selten in einem Buche vereinigt finden, zeichnen Kristellers
»Mantegna« fast gleichmäßig aus.

Die Resultate, zu denen Kristeller über den Künstler,
seine Ausbildung, seine Entwickelung und Bedeutung ge-
langt, sind zum Teil so neu und so bedeutungsvoll, weichen
vielfach so stark von den Ansichten älterer Schriftsteller
ab, namentlich in bezug auf die Datierung der Werke, und
sind zumeist so überzeugend klar gelegt, daß es angezeigt
erscheint, eine kurze Übersicht darüber zu geben, soweit
es in dem Rahmen dieser Zeitschrift möglich ist.

In dem einleitenden Kapitel führt uns der Verfasser in
das Milieu, in dem Mantegna aufwuchs. Er schildert uns
die Bedeutung von Padua und Venedig — denn für die
venezianische Kunst im weiteren Sinne reklamiert er seinen
Künstler — für die Ausbildung und Entwickelung der
Renaissance; er weist nach, daß Venedig, der Mittelpunkt für
die Beziehungen zwischen Italien mit dem Osten, und Padua,
seine offizielle wissenschaftliche Bildungsanstalt, für die
Pflege der klassischen Wissenschaft, namentlich des Griechi-
schen, ebenso wie für die exakte Naturforschung, für den
Humanismus im weitesten Sinne, eine weit größere Bedeutung
gehabt haben, als man allgemein annimmt. Weiter wird
uns die Entwickelung der Kunst vor Mantegna vorgeführt,
der Einfluß der Veroneser, dann der Florentiner und schließ-
lich der Venezianer, namentlich des Antonio Vivarini und
Jacopo Bellini. Kristeller weist nach, daß Mantegnas Stief-
vater, Francesco Squarcione, von Haus aus Schneider,
ricamatoze, erst spät Maler wurde und als solcher wesent-
lich Unternehmer war, so daß ihn Mich. Savonarola in
seiner Geschichte Paduas nicht einmal unter den Malern
nennt; Mantegnas eigentliche Lehrer waren Donatello
und daneben Jacopo Bellini. Auf beide Künstler geht
Kristeller näher ein und charakterisiert Mantegnas Ver-
hältnisse zu ihnen1). Daß der junge Andrea 1454 Jacopos
Tochter Nicolosia heiratet und dadurch in die auch für
seine künstlerische Entwickelung nicht unwesentliche Be-
ziehung mit den Brüdern Gentile und Giovanni tritt,
war bereits früher bekannt. In der ganzen sogenannten
Squarcione-Schule, die der Verfasser eingehend bespricht,
zeigt sich eine Mischung von Elementen Donatellos
und Jacopo Bellinis, meist auch schon mit Einwirkung
des jungen Andrea Mantegna. Dieser selbst, »seinem
künstlerischen Wesen nach Venezianer, erhält auch die
Grundlage seiner künstlerischen Bildung durch die vene-
zianische Schule, wie sie in Antonio Vivarini uns entgegen-

1) Jacopos Malerwerk ist, wie ich nebenbei bemerken
will, gerade in letzter Zeit wesentlich bereichert worden
(vergl. Corr. Ricci in der Rassegna d'arte, 1903. XI).
 
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