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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Gensel, Julius: Zwei Briefe Moriz Schwinds und einer von W. Lubke an Friedrich Preller
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Meyer, Alfred Gotthold: Zur Donatello-Kritik
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0188

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Zur Donatello-Kritik

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hervorragend, aber wie mächtig an Freiheit, Gewalt und
Größe übertroffen durch das Wandbild!

Weiterhin sahen wir zusammen, uns nördlich rück-
wärts wendend, Mantua, wo wieder die energische be-
wegliche Persönlichkeit des Giulio das Hauptinteresse in
Anspruch nahm; sodann das köstliche Verona, unter allen
italienischen Städten vielleicht die reizvollste, anmuthigste,
wenn man die größten Hauptstädte ausnimmt. In Brescia
lernten wir die liebenswürdige, milde Erscheinung des
Moretto so recht schätzen und sahen in dem ausgegrabenen
herrlichen Tempel eine antike Bronze-Victoria, lebensgroße
Statue, von schönster Arbeit. Von hier eilten wir, im
Fluge Mailand abermals berührend, nach Genua, dessen
entzückende Lage und stolze Paläste uns beim sonnigsten
Wetter mehrere Tage erfreuten.

Von Genua fuhren wir in einer wundervollen Nacht,
die noch durch den Glanz des Kometen verherrlicht
wurde, nach dem gesegneten Toskana, wo uns zunächst
Pisa mit seinem Dom und dem unvergleichlichen Campo
Santo fesselte. Hier zum ersten Male trat in großartigster
Weise die florentinische Malerei mit ihren riesigen Fresken
mir entgegen, und neben der erschütternden Größe des
Orcagna behielt auch die unerschöpfliche Anmuth des
Benozzo, des liebenswürdigsten unter den Florentinern,
ihr Recht.

Sodann kam Florenz, und hier ging nun der Kunst-
himmel recht strahlend auf, und neben Giotto und Fiesole,
Sandro und Filippo, Orcagna, Masaccio und Ghirlandajo
stellte sich Ghiberti, Rafael und Michelangelo, so vieler
Anderen, die dazwischen lustig funkeln und glitzern, nicht
zu gedenken. Mit täglich größerem Erstaunen nahm ich
die Festigkeit und Consequenz wahr, mit welcher sich
hier, in der Wiege der modernen Kunst, Glied an Glied
in der Kette zusammenschließt, so daß von Cimabue an
bis auf die letzten und höchsten Spitzen ein nirgend unter-
brochener, stetiger Zusammenhang waltet. Da mußte sich
die Kunst wohl zu so staunenswürdiger Höhe entwickeln!

Ende October wandten wir uns von Florenz südwärts.
In Siena lernten wir neben den trefflichen Architekturen
den edlen, schönheiterfüllten Sodoma kennen; in Orvieto
sodann war nicht bloß der Dom mit seiner in ihrer Art
unerreicht dastehenden Fagade, sondern auch seine Marien-
kapelle mit den herrlichen Fresken des Fiesole, der
nirgends feierlicher und schöner, und des Signorelli, der
nirgends titanenhafter und überwältigender ist, für uns vom
tiefsten Eindruck.

Und endlich, am 5. November war's, und nie werd'
ich den Tag vergessen, that Rom sich vor uns auf, und als
im klarsten Sonnenlicht Sankt Peter's Kuppel majestätisch
über dem Janiculus vortrat, da empfanden wir ein Ent-
zücken, ein Gefühl frommer Seligkeit wie Pilger, die am
ersehnten Ziel endlich angelangt. Ueber Rom hinaus,
meinte meine Frau, brauche es eigentlich nichts mehr zu
geben, und Neapel und was sonst noch komme, sei
eigentlich überflüssig. Es ist wahr, daß wir schon mit
Schrecken an den Tag der künftigen Abreise denken, ja
als wir zur Porta del Popolo einzogen, fühlte ich vor-
ahnend schon den Schmerz der einstigen Trennung. So
lange aber das gütige Geschick mich hier läßt, will ich
mich dieses einzigen Lebens freuen und nicht müde
werden, täglich das Herrlichste anzuschauen, was der
Menschengeist ersonnen. Als ich Rafael's Stanzen zum
ersten Male sah, glaubte ich Größeres nie wieder zu
finden; aber als ich in die Sixtina kam, wußte ich, daß
Michelangelo's Decke doch das erhabenste Werk der
Malerei ist, nach welchem man für die ersten Momente
selbst Rafaels Stanzen vergißt. Nur mit seinem Moses
kann ich mich gar nicht zurechtfinden; seine Medicäer-

gräber in S. Lorenzo zu Florenz sind mir das Höchste,
aber der Moses hat etwas äußerlich Gewaltsames1), was
ich nur dann mächtig berechtigt finden würde, wenn die
Bildung des Kopfes neben der titanenhaften Energie auch
noch eine höhere Intelligenz verriethe. So aber scheint
mir der Ausdruck geistig etwas zu niedrig gegriffen.
Allerdings eine ganz subjektive Empfindung. Was nun
vollends das Alterthum betrifft, sowohl die trotz aller Ver-
stümmlung noch in jedem Rest grandiosen Bauten, als
auch die zahlreichen Sculpturen, welche der Vatican ent-
hält sammt all' den übrigen Sammlungen, so weiß man
wirklich kaum, wo anfangen und wo aufhören. Aber
lernen kann man hier, wenn man Zeit hat, wie nirgend
sonst, und wem hier die Augen nicht aufgehen, der hat
gar keine. Ich hoffe, daß ich als ein Sehender von Rom
zurückkehre.

Von modernen Künstlern habe ich nur Cornelius auf-
gesucht, bei dem wir öfter den Abend zubringen, und
dessen unversiegbare Lebenskraft und Geistesfrische un-
endlich erquickend sind. Er arbeitet unverdrossen an
seinen Predellen für die erste Wand des Campo Santo,
und Alles, was er macht, ist unverwelklich und jugend-
frisch. Von Ihnen sprach er mit großem Respekt, und
wenn er das thut, so ist auch immer Etwas dahinter.
Er scheint mir durchaus wahr, scharf und gerade. So
freute er sich denn auch sehr über das, was ich ihm über
Ihre neuen Odyssee-Compositionen erzählte.

Hoffentlich lassen Sie, verehrter Freund, mir nächstens
nun auch ein Blättchen über die Alpen flattern, das mir
Kunde gebe von Ihrem Leben und Schaffen. Es würde
mir die größte Freude sein, Gutes von Ihnen zu hören.
Für heut aber sei's genug, und ich will Ihnen nur noch
zum schönen Weihnachtsfeste und zum Antritt des neuen
Jahres die herzlichsten Wünsche und Grüße für mich und
meine Frau an Sie und Ihre verehrte Frau hinzufügen, so-
wie die Versicherung der treuen Gesinnung, mit der ich
bleibe

Ihr

aufrichtig ergebener
W. Lübke.

ZUR DONATELLO-KRITIK

In O. Swarzenskis Besprechung meiner kleinen Dona-
tello-Monographie («•Kunstchronik«. Nr. 12; 15. Januar)
finden sich einige Stellen, die nicht mehr lediglich als Be-
urteilung des gegebenen Einzelfalles anzusehen sind,
sondern allgemeine Grundsätze aller kunsthistorischen
Arbeit berühren, und gerade sie werden in dieser Kritik
mit einer überraschenden Sicherheit als etwas »Natürliches«
und »Selbstverständliches« verkündet.

Dagegen möchte ich Einspruch erheben: sachlichen,
nicht persönlichen!

Die erste Bemerkung dieser Art betrifft die St. Georg-
Statue. Über ihren Kunstwert besteht kein Zweifel: seit
fünf Jahrhunderten ist er lebendige Wahrheit. Auch
Swarzenski nennt den »Georg« eine »prachtvolle Figur«,
ein »ungemein glückliches Werk«. Aber er meint dann,
eben deshalb hätte es sehr lehrreich sein müssen, zu
zeigen, »wie unendlich viel hier noch zu wünschen übrig
blieb«, und »gerade auch angesichts eines breiteren
Publikums«. —

Ich könnte hierauf mit einer bekannten Warnung

1) Preller weist in seinem Reisetagebuch (1859/61)
darauf hin, wie ganz anders der Moses wirken würde,
wenn er höher und in eine weniger kleinliche Umgebung
gestellt wäre.
 
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