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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Daun, Berthold: Doch Veit Stoss!
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0196

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375

Doch Veit Stoß

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DOCH VEIT STOSS!

Auf die zwar durchaus anerkennende Besprechung
meines Buches »Veit Stoß und seine Schule in Deutsch-
land, Polen und Ungarn«, die Dr. S. Graf Pückler-Limpurg
auf Seite 198 der Kunstchronik beigebracht hat, bin ich
genötigt zu erwidern, weil der Herr Referent eine Reihe
anfechtbarer Ausstellungen aufgeführt hat.

Was die Bemerkungen über die beiden Krakauer
Werke, das Lusiner Triptychon in der Akademie und die
steinerne Ölbergsgruppe in der Barbarakirche, die nach
Referents Behauptung wenig Stoßisches haben sollen, be-
trifft, so konnte derselbe sie nur tun, weil ihm die be-
zeichneten Flügelreliefs am großen Marienaltar nicht vor
Augen gestanden haben. Bei mangelhafter Kenntnis dieser
Schnitzwerke wäre deshalb eine sorgfältigere Nachprüfung
am Platze gewesen. Wenigstens aber hätte Referent, da
er widersprechen zu müssen glaubte, meine Beweisführungen
auch zu widerlegen versuchen müssen und nicht nur im
allgemeinen Zweifel über die Echtheit beider Werke aus-
sprechen dürfen. Da also ein Gegenbeweis aussteht, sei
es mir erlaubt, den Leser auf Seite 26 — 28 und 32—33
meines Buches zu verweisen und an dieser Stelle mich
auf einige Punkte zu beschränken, die die Echtheit beider
Frühwerke Veits schlagend beweisen.

Im Lusiner Schrein zeigt Marias Antlitz mit der hoch-
gewölbten Stirn und der langen geraden und dünnen Nase,
unter der sich die fleischige Unterlippe des kleinen Mundes
etwas nach vorn drängt, den Typus der Stoßischen Frauen-
gestalten aus der Frühzeit, denn Eva auf dem Relief
»Christus in der Vorhölle« am äußersten rechten Außen-
flügel des Marienaltars und Anna auf dem »Tempelgang
Maria* am äußersten linken Außenflügel, lassen in den
länglichen Gesichtern dieselben Formen wiederkehren.
Ferner hat Maria auf der Verkündigung des linken Lusiner
Innenflügels in Mund- und Kinnbildung sprechende Ähn-
lichkeit mit der Maria der Krönungsgruppe auf dem Marien-
altar. Außer unzähligen anderen Merkmalen entspricht auf
dem Lusiner Flügelrelief »Tod der Maria« der vor der hinsin-
kenden Maria stehende Apostel mit dem vorgesetzten Bein
und der einen Locke auf dem kahlen Haupte deutlich der
Figur, die auf den bezeichneten Stichen B. 1 und P. 7
hinter Christus steht. Zwar ist das wiederkehrende Motiv
der strickenden Maria auf dem Stich P. 8 fraglos lebhafter
und geschickter verwendet als auf dem Schreinrelief; dafür
aber ist hier der mit der Axt ausholende Joseph in der
Bewegung weit natürlicher als der auf dem Stich mit einem
großen Bohrer hantierende Joseph, dessen Beinstellungen
trotz nicht zu leugnender Lebendigkeit verunglückt sind.
Die Flügelreliefs »Verkündigung« (Arm und Handstellung
Marias) und »Tod des Theophilus« (Haltung und Be-
wegung der stehenden Madonna) aber erst bringen Motive,
die mit erstaunlicher Frische der Natur entnommen und
nur einer Meisterhand würdig sind, so daß von einem
■»dürftigen Schulwerk«, zu dem Referent diesen Schnitzaltar
herabdrücken will, auch ganz und gar nicht die Rede sein
kann. In den zuletzt genannten Flügelreliefs imponiert der
frische Zug der Lebendigkeit und Bewegung, die sich frei
von den Übertreibungen und gespreizten Stellungen der
spätem Kunstweise des unruhigen Meisters gehalten haben.
Zug für Zug ist Veits Meisterhand zu erkennen, und die
künstlerische Qualität ist keine geringe. Die Schlüsse, die
ich aus diesem echten Früh werk gezogen habe, bleiben
somit bestehen!

Desgleichen ist der Ölberg an der Barbarakirche für
Veits Frühzeit sehr charakteristisch. Die etwas rohere
Arbeit erklärt sich aus dem Steinmaterial und der be-
deutenden Größe. Die langgestreckten flachen Hände mit

den knöchrig geformten Fingern sprechen gerade für Stoß'
die Stellung der rechten Hand des (in Fig. 15 abgebildeten)
schlummernden Apostels, deren muskelloser Arm wie auf
den frühen Kupferstichen in den Ärmel nachträglich hinein-
gesteckt zu sein scheint, kehrt auch auf den Außenflügeln
des großen Altars wieder. Mit spielender Leichtigkeit und
ohne Rücksicht auf das Material hat Veit Stoß die Eigen-
tümlichkeiten seiner Holzschnitztechnik auch auf die rund-
gedrehten Steinfalten mit den weiten Vertiefungen über-
tragen.

Behalten demnach das Lusiner Triptychon und der
Ölberg an der Barbarakirche ihren gebührenden Platz in
der Reihe der echten Stoß werke, so wird man sich auch
der Behauptung nicht entwinden können, in dem »Tod der
Maria« in der Streitschen Sammlung zu Kissingen die An-
fänge des Meisters zu suchen. Gewiß müssen bei der Zu-
weisung bisher unbekannter Werke typische Motive scharf
gesondert werden von individuellen Eigentümlichkeiten,
die im Formalen oder in der Auffassung sich ausprägen.
Allein die letzteren sind gerade hier deutlich erkennbar.
Ein Vergleich mit dem Lusiner Triptychon rechtfertigt die
Echtheit des Kissinger Reliefs. Ich lasse hier noch einmal
den betreffenden Passus folgen: »Auffallend analog kehrt
auf der Lusiner und Kissinger Darstellung das abgehärmte
Antlitz Johannis wieder, und Haltung und Auffassung
gleichen sich bei Christus, der die kleine Maria als Symbol
ihrer in Empfang genommenen Seele im Arme trägt, und
bei Maria, die mit dem Kinde am Sterbebett des Theo-
philus erscheint. Beide Gestalten haben sogar Züge aus-
gesprochener Familienähnlichkeit, in der die deutsche Kunst
die heiligen Figuren gern erscheinen läßt. Auch die Be-
handlungsweise der Gewandung ist auf beiden Reliefs die
ähnliche, und noch nicht herrschen im Faltenwurf jene
kühnen gedrehten Windungen wie in den späteren Werken
vor. Nur bei dem, der das Rauchfaß hochhält, bildet der
Mantel, wie vom Winde hochgenommen, eine große Run-
dung. Was aber am prägnantesten an Stoß' frühe Zeit
erinnert, sind die dünnen knöchrigen Hände, die hier mit
besonderer Sorgfalt wie auf dem steinernen Ölbergrelief
in Krakau der Marienkirche gegenüber und bei den Rund-
figuren des Ölberges an der Barbarakirche daselbst durch-
gebildet sind. Form und Stellung der Füße, die durch
eine hochgenommene Falte sichtbar werden, sind auf dem
Steinrelief ähnlich wiedergegeben, und die schlafenden
Jünger beidemal rechts zeigen untereinander typische Ver-
wandtschaft. Gerade auf diese für Stoß charakteristischen
Kennzeichen hin wird die neue Zuweisung nicht unbe-
gründet erscheinen und gewinnt die Datierung in Veits
frühe Zeit nur an Wahrscheinlichkeit.«

Ist aber dieses Kissinger Relief eine Stoßarbeit, so
muß auch die früher immer als Stoßisch bezeichnete Im-
hoffsche Krönung im Nationalmuseum zu München, die
Referent ohne triftigen Grund Stoß abspricht, auch dafür
gelten, wenngleich der Stil recht altertümlich ist und die
handwerksmäßige Arbeit auf die Mithilfe von Gesellen deutet.
»Das Antlitz Marias ähnelt denen auf dem Mittelschrein
und den Flügelreliefs des Lusiner Triptychons, und Gott-
vaters Gesicht mit den breiten Augen und dicken Lidern
läßt sich mit dem links Knienden auf dem Kissinger Re-
lief des Todes der Maria vergleichen. So würde auch
durch die Imhoffsche Krönung die Zuweisung jener Schnitz-
arbeit noch weitere Gewißheit erhalten.«

Die Zugehörigkeit der Kreuzigung in Münnerstadt als
einer der Außenflügel zu dem von Veit Stoß gelieferten
Altar darf in Anbetracht der fremdländischen Tracht und
slavischen Physiognomien der unter dem Kreuze stehenden
Kriegsknechte und deren Ähnlichkeit mit den Vorbildern
am Marienaltar nicht angezweifelt werden. Der polnische
 
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