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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Zeller, Adolf: Das Stuttgarter Lusthaus
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0226

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435

Das Stuttgarter Lusthaus

436

man zu beeden Seiten durch eine doppelte Stiegen, so mit
eisernem Oegitter beschlossen, und von zweyen also zu-
sammen acht Kayser oder König, auf Romanische Art
gekleideten Lebens-Qrossen-Statuen geziehret hinauf geht,
ist ein künstlich gehencktes Dachwerk gesetzt. An der
Gänge der 4 Ecken stehen runde Thürme, von gleich-
mäßigen Quadern biß ans Dach aufgeführt, mit 2. Ge-
mächern versehen, in
deren unteren vor die-
sem die alten Heyd-
nische Stein1) gestan-
den und eingemauert
gewesen. Der obere
Saal ist 80 (?) Schritt
lang und 30 breit oder
201 Schuh lang, 71
breit, 51 hoch, dessen
Bühn oder Gewölb
(die Holzdecke) ohne
eintzige Säule in einen
sonderbaren (künst-
lichen) Artificio ge-
henckt.«

Die »doppelten
Stiegen« waren jene
beiden reizenden Dop-
peltreppen2), die auf
die Höhe des Fuß-
bodens des oberen
Umganges führten
und hier in einen
kleinen, auf fünf Säu-
len stehenden Quer-
bau mündeten, dessen

Obergeschoß mit
äußerem Schnecken-
giebel, sich zum Saal
als Loge öffnete. Klei-
ne, in der Mauerdicke
ausgesparte Wendel-
treppen vermittelten
die Zugänglichkeit
vom Saal zur Loge.
In ihr standen Musik-
automaten, Orgeln,
deren eine »mit einem
Werk versehen war,
welches ohne Organi-
sten herrliche Stücke
mit 4, 5, 6, 8 und 12
Stimmen spielte«3).

Die runden Tür-
me standen isoliert,
nur durch den äuße-
ren Umgang verbun-
den in den vier
Ecken. »Im vorderen

Thurm gegen Abend (Westen) ist ein tieffer Brunnen ge-
wesen, den man durch Kunstwerk gesucht hat bis unter
das Dach zu treiben, dahero man nach außerhalb einen
ausgehauenen Kanal inerckt, in große Kessel und das

1) Römische Altertümer, die seinerzeit bei Cannstadt,
Marbach und anderen Orten gefunden worden waren; sie
stehen jetzt im Kgl. Lapidarium.

2) Abbildungen des Baues bei Lübke, S. 377, 78, 7g;
Bäumer, Tafel I—IV.

3) Pfaff I, S. 50.

Stuttgarter Lusthaus. Reste der Halle unter der Freitreppe

Stuttgarter Lusthaus. Reste der Treppe und des unteren Uniganges

Gen. I.

Wasser sowohl auf die Grott1) als in den Garten hin und
wider zu leiten.« Anscheinend hatte man auch das Dach
wasser des gewaltigen Daches mit steinernen Rinnen im
Kranzgesimse nach diesem Reservoir im Turme leiten
können, um von diesem aus die laufenden Brunnen im
Erdgeschosse zu speisen2).

Die kühne Konstruktion des mit der gebogenen Holz-
decke vereinigten
Daches bestand nach
den sehr eingehenden
Aufnahmen Beis-
barths3) aus einem
dreifachenHängewerk
mit Streben und so-
genannten liegenden
Dachstühlen, deren
gewaltige Schubkraft
durch die über zwei
Meter starken Längs-
wände des Saales auf-
genommen wurde.

Sechszehn zierlich
noch mit Rundstreben
und Hohlkehlen ge-
gliederte Fenster er-
hellten den gewaltigen
Raum, dessen Innen-
dekoration die »Be-
schreibung« gleich-
falls sehr anschaulich
schildert. »In der
Mitte (das heißt an
der Saaldecke ist er)
mit den Historien und
Werken der heil, drey-
faltigkeit über alle
maß herrlich und
künstlich gemahlt, da-
bey diese Schriften
mit güldenen Buch-
staben geschrieben:

Indicium Reprobi Me-
tuant Pietate La-
rentis

Quos Deus Abjiciet
Suscipietque Suos.
(Matth. XXV.)
Dabei das jüngste
Gericht mit Himmel
und Holl gemahlt.
Agoc. 4. Ecce Re-
demptovi laudes
Ecclesia Christo
Concinit ut cujus
sanguine salva
manet.

Gott auf dem Stuhl (Tron) mit allen Heiligen.
Emicat et Bonitas Domini cum cunkta creata
Usibus atque hominis tradidit imperio
Erschaffung der Welt.

1) Gemeint ist die berühmte Lustgrotte, zwischen
1613 und 20 ausgeführt.

2) Bei Pfaff, I. O. 48 fälschlich umgekehrt dargestellt.

3) Das Lusthaus wurde 1846, kurz vor dem Abbruch
von dem Architekten in ausgezeichnetster Weise auf-
genommen. Die Originalzeichnungen sind im Besitze der
technischen Hochschule zu Stuttgart.
 
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