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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Boehn, Max von: Goya
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https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0041

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13

_NeuLFo,ge. XVI. Jahrgang

1904/1905

Nr. 5. 18. November

monaten Juli bis Se t erscl,eint als Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Künste und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
Kunst« erhalten die K mber m°natlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
'agshandlung keine QUns^hronil< kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Ver-
die dreispaltige Petitz mW A,le Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
e' nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

GOYA

Die Wiege der modernen Kunst stand in Spanien,
Velasquez und Goya heißen ihre Paten. Velasquez
malte zuerst Luft, Goya zuerst Bewegung. Die
Schwierigkeit, das Werk beider kennen zu lernen
(man muß dazu mindestens die Galerie des Prado
gesehen haben), hat es verschuldet, daß man in
Deutschland erst so spät begonnen, sich mit ihnen
zu beschäftigen. Nun besitzen wir aber jetzt über
beide Biographien, die für absehbare Zeit die Stan-
dardworks auf diesem Gebiete bleiben werden: Justis
glänzendem Velasquez ist neuerdings Loga mit seinem
grundlegenden Werk über Goya gefolgt. Es war
nötig, daß diesem Künstler endlich mit der Grund-

•ichkeit
Leibe

und der Wahrheitsliebe eines Gelehrten zu
gegangen wurde, denn die zwar blendend
und geistreich, aber ohne jede Rücksicht auf die
Tatsachen geschriebenen Bücher der Matheron, Ynarte,
Muther unter anderen brachten es auch in Deutsch-
land zustande, daß über dem schillernden Phantasie-
mld der Persönlichkeit seine Kunst völlig in den
Hintergrund trat. Indem Loga den Nebel von Mythen,
der sich um Goya gelagert hatte, zerstört, nimmt er
uns zwar etwas von dem Interesse am Menschen,

aber er bringt uns dafür seiner Kunst naher

Geboren 1746, gestorben 1828 steht der Künstler
an der Wende zweier Zeitalter; ein doppe kopfiger
lanus sieht er auf der einen Seite den Untergang
einer aristokratischen, schönheitsfrohen, ja schonneits-
trunkenen Welt und auf der anderen das Werden
einer neuen: demokratisch und materiell, von Schön-
heit, wie Freude und Frohsinn gleich weit entfernt.
E/ sieht Spanien im hoffnungsstolzen Aufschwung
Karls III. und erlebt wenige Jahrzehnte später, wie ein
unwürdiger Günstling, Großadmiral, Premiermunster
und Generalissimus in einer Person, das mächtige
Reich ehrlos und wehrlos dem Erbfeind zu Fußen
legt; in seiner Jugend erbaut man in Madrid das
letzte jener gigantischen Klöster, welche die Halbinsel
erfüllen, und als er ein Greis ist, da rast der Kloster-
sturm durch das Land und zertrümmert, was lange
Jahrhunderte hindurch ehrwürdig war; er sah König-
tum und Inquisition im Vollbesitz ihrer Macht, er hat
ln seiner Jugend Autos da fe sehen können und er-
'ebte im Alter liberale Verfassungen, er erhofft von
üem intruso« Bonaparte die Herbeiführung de

Ordnung und wenige Jahre darauf beginnt der Hexen-
sabbath der Reaktion. In den 82 Jahren seines langen
Lebens ist auf der Bühne der Welt eine Tragikomödie
vor ihm aufgeführt worden, überreich an Peripetieen,
ein echtes Volksstück aus Lachen und Weinen ge-
mischt. Er war nicht Akteur, aber als Zuschauer nicht
müßig, er hat uns alles gemalt.

Als Goya seine künstlerische Laufbahn begann,
war die Glanzzeit der spanischen Kunst seit zwei
Menschenaltern vorüber, mit den Ribera, Zurbaran,
Velasquez, Murillo, Cano schien die spanische Kunst
selbst zu Grabe getragen. Aber es schien nur so,
des großen Velasquez größester Schüler sollte ihm
erst ein Jahrhundert nach seinem Tode erstehen, um
da weiter zu schreiten, wo jener stehen geblieben.
Man kann Goya im Wortsinn einen Velasquezschüler
nennen, die, von denen er persönlich gelernt, haben
ihm, außer Tiepolo, nichts lehren können; wer war der
gute Luzan in Zaragoza, und nun erst der sächsische
Schulmeister, der Raffael aller Zuspätgeborenen? Mengs
hat ihm nicht schaden können, so wenig wie ein Auf-
enthalt in Rom, er blieb, der er war: ein Rassemensch,
in der blühenden Ausländerei der Spanier Katexochen.
Unter all seinen Zeitgenossen, die malen konnten,
von all den Bayeu, Calleja, Castillo, Ferro, Maella
und anderen war er der einzige Künstler, weil er
allein eine Persönlichkeit war; eine starke Individua-
lität von leidenschaftlichem Temperament, das stellt
ihn hoch über diese mittelmäßigen Kümmerlinge.
Der akademische Klassizismus, der die Kunst seiner-
zeit versteinte, hatte über ihn allein keine Macht, un-
beirrt vom Zeitgeschmack sieht er nur in der Natur
sein Vorbild, kämpft und ringt er mit dem Leben,
um seine wesentlichen Äußerungen: Licht, Luft, Be-
wegung in Farben auf die Leinwand zu bannen. Das
ist es, was diesen Spanier des 18. Jahrhunderts so
eminent modern macht.

Goya ist Realist, schon weil er Spanier ist, aber
in seinem Streben, der Natur nahe zu kommen, sie
so einfach und so unmittelbar wie möglich zu inter-
pretieren, offenbart sich sein Genie neu und über-
raschend. Er scheint auf der Jagd nach Schwierig-
keiten, er stellt sich immer neue Probleme und in
ihrer Besiegung bildet sich sein Stil. Mit wunder-
barer Schärfe versteht er das Vorübergehende eines
Zustandes, die Flüchtigkeit des Moments, den Über-
gang einer Bewegung in die andere festzuhalten und
 
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