Der Meister Anthoni des Heidelberger Kontrakts von 1558
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Vor allem aber übergeht die Zeichnung den eigent-
lichen Kernpunkt durchaus: es fehlt die Mittelnische
mit der obersten Figur, resp. die obere Lösung
der Mittelaxe, die heute bei allen Rekonstruktionen
den Angelpunkt bildet. (In dem Schäferschen Projekt
zur Verwendung der Wetzlarer Oiebelzeichnung ist
dieser Punkt denn auch ebenso ungelöst geblieben.
Die Mittelaxe ist einfach geknickt, der Doppelpilaster
durch die über der Nische angeordneten Doppel-
konsolen ersetzt.) — Ein Zeichner, der die wirkliche
Lösung vor sich sah, hätte sie nicht in der Weise
der Giebelzeichnung einfach übergehen können. Von
der Art der Ausbildung und Lösung des Zwillings-
giebels ist keine Spur gegeben.
Warum? Weil der Zeichner sie eben nicht mehr
sah, daher flottweg den Giebel so zeichnete, als ob
diese Schwierigkeit gar nicht vorhanden sei.
Insofern wäre die Wetzlarer Giebelzeichnung —
auch wenn sie echt sein könnte — für uns heute
tatsächlich wertlos. Nun besitzen wir aber zwei
authentische Zeichnungen des fraglichen Doppelgiebels;
eine in dem großen Stich bei Merian um 1620, und
die zweite genauere in der farbigen Zeichnung im
Thesaurus picturarum zu Darmstadt, die etwa 1605
gemacht ist. Diese beiden, von denen die erstere mehr
angedeutet ist, die zweite auch einzelnes gibt, stehen,
wenigstens was den Umriß anlangt, durchaus im Ein-
klänge miteinander. Insbesondere ist der oberste Auf-
satz genau identisch. Da nun die Zeichnung des
Thesaurus die Lösung der Mittelaxe mit der Nische,
wie der Giebelverschneidung völlig deutlich zeigt,
letztere auch der Meriansche Stich, da auf beiden
Zeichnungen die Nachbargebäude deutlich zu erkennen
und zu identifizieren sind, so müssen wir die Um-
risse und allgemeinen Angaben dieser beiden echten
Blätter, wie die genaueren der Darmstädter Zeichnung
als unbedingt zuverlässig anerkennen.
Mit diesen beiden authentischen Zeichnungen hat
aber die Wetzlarer absolut nichts gemein, wider-
spricht ihr vielmehr von oben bis unten.
DieDarmstädterZeichnungentsprichtübrigensdurch-
aus dem Stil Kaspar Vischers, des Meisters der Giebel
zu Heidelberg und später der Plassenburg, die Wetz-
larer könnte nie aus seiner Erfindung stammen.
Folglich, da die Wetzlarer Zeichnung mit den
unter sich übereinstimmenden sicher echten Darm-
städter und Merianschen Zeichnungen nicht in Einklang
zu bringen ist; da sie von den Lösungen der wichtig-
sten Fragen, die bis zur Stunde streitig sind, nichts
enthält, aber, wenn sie vor der Natur gezeichnet
wurde, solche enthalten mußte, da ihre Bestandteile
zum Teil in Heidelberg heute noch vorhanden und
viel neuer sind, zum anderen Teil weder der Zeit
noch dem Ort, noch dem Stil, noch dem Gegenstand
entsprechen, vielmehr völlig willkürlich gebildet den
Charakter viel jüngerer Zeit tragen, so ist die Zeichnung
nur als ein späterer Rekonstruktionsversuch unter
Benutzung damals wie heute noch vorhandener Bruch-
stücke, und als ganz ohne Wert für die Bestimmung
des einstigen wirklichen Zustandes zu erklären.
Aus welchem Grunde sie gefertigt sein mag, ent-
zieht sich gänzlich unserer Kenntnis.
Es sei aber noch weiter darauf hingewiesen, daß
alles, was hier noch in Frage kommt, die oben dar-
gelegte Schlußfolgerung bestätigt. So der Umstand, daß
der Giebelzeichnung die so deutliche Beischrift zu-
gegeben ist, die die Absicht erkennen läßt, daß diese
nicht übersehen oder verkannt werden dürfe. Es ist
die einzige ihrer Art im ganzen Buche bei einem
architektonischen Objekt. Wenn die Beischrift fehlte,
so hätte aber kein Mensch die Zeichnung erkannt,
wie es auch bei den übrigen schärfste Kennerschaft
erfordert, die dargestellten Objekte festzustellen. Dann
aber hätte die Arbeit ihren Zweck verfehlt.
Der auffallenden Tatsache, daß mehrere Einzel-
heiten dem Rekonstruktionsentwurfe von Seitz von
1891 entsprechen, der doch die Wetzlarer Zeichnung
nicht gekannt hat, sei nur vorübergehend gedacht.
Vielleicht ist dies zufällig.
Es ist daher, wie oben dargelegt, unumstößlich
sicher folgender Vorgang vorliegend: Irgend ein
Jemand, vielleicht schon im 18. Jahrhundert, hat in
ein altes Buch von 1615—19, Zeichnungen ähnlicher
Art enthaltend, den Giebelentwurf eingezeichnet und
ihn mit der Jahreszahl 1616 und dem Monogramm
der übrigen Blätter, wie der Beischrift, versehen. Der
Entwurf soll einen halben der vorderen Doppelgiebel
des Otto Heinrichsbaues vorstellen. Um ihn wahr-
scheinlich zu machen, sind in diesem Entwürfe alle
verwertbaren auch heute noch vorhandenen Teile,
sowohl die noch stehenden Reste der Giebel von
1669, wie die Figuren aus dem Friedrichsbau, und
die Kupferstiche des J. U. Kraus verarbeitet. Alles
übrige, was der Zeichner zufügte, ist wertloses Zeug
viel jüngeren Charakters, ja öfters fast modern.
Über die tatsächlich einst vorhanden gewesene
Gestalt der Giebel, insbesondere über die infolge der
Eigenart der Aufgabe einst sicher sehr merkwürdig
gelöste obere Mirtelaxe, enthält diese Zeichnung absolut
nichts.
So ist die Skizze unter allen Umständen nicht
mehr wert, als irgend ein beliebiger Rekonstruktions-
versuch älterer oder neuerer Zeit. Überhaupt, da
auch die zuverlässigen und authentischen Zeichnungen
nichts hinreichend Genaues geben, ist es zurzeit noch
unmöglich, mit Sicherheit die alte Gestalt der ersten
Giebel auch nur einigermaßen festzustellen.
Die von mir 1902 gegebene Rekonstruktion dürfte
vermutlich der einstigen Wirklichkeit noch am näch-
sten kommen.
Hannover, Dezember 1904.
A L BRECH T HA UP T.
DER MEISTER ANTHONI DES HEIDELBERGER
KONTRAKTS VON 1558
Von Friedrich H. Hofmann
Kaum ein archivalischer Fund hat in der wissen-
schaftlichen Bearbeitung der deutschen Kunstgeschichte
so verschiedene Auffassung und Auslegung erfahren
und zu so mannigfachen Kontroversen Anlaß gegeben,
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Vor allem aber übergeht die Zeichnung den eigent-
lichen Kernpunkt durchaus: es fehlt die Mittelnische
mit der obersten Figur, resp. die obere Lösung
der Mittelaxe, die heute bei allen Rekonstruktionen
den Angelpunkt bildet. (In dem Schäferschen Projekt
zur Verwendung der Wetzlarer Oiebelzeichnung ist
dieser Punkt denn auch ebenso ungelöst geblieben.
Die Mittelaxe ist einfach geknickt, der Doppelpilaster
durch die über der Nische angeordneten Doppel-
konsolen ersetzt.) — Ein Zeichner, der die wirkliche
Lösung vor sich sah, hätte sie nicht in der Weise
der Giebelzeichnung einfach übergehen können. Von
der Art der Ausbildung und Lösung des Zwillings-
giebels ist keine Spur gegeben.
Warum? Weil der Zeichner sie eben nicht mehr
sah, daher flottweg den Giebel so zeichnete, als ob
diese Schwierigkeit gar nicht vorhanden sei.
Insofern wäre die Wetzlarer Giebelzeichnung —
auch wenn sie echt sein könnte — für uns heute
tatsächlich wertlos. Nun besitzen wir aber zwei
authentische Zeichnungen des fraglichen Doppelgiebels;
eine in dem großen Stich bei Merian um 1620, und
die zweite genauere in der farbigen Zeichnung im
Thesaurus picturarum zu Darmstadt, die etwa 1605
gemacht ist. Diese beiden, von denen die erstere mehr
angedeutet ist, die zweite auch einzelnes gibt, stehen,
wenigstens was den Umriß anlangt, durchaus im Ein-
klänge miteinander. Insbesondere ist der oberste Auf-
satz genau identisch. Da nun die Zeichnung des
Thesaurus die Lösung der Mittelaxe mit der Nische,
wie der Giebelverschneidung völlig deutlich zeigt,
letztere auch der Meriansche Stich, da auf beiden
Zeichnungen die Nachbargebäude deutlich zu erkennen
und zu identifizieren sind, so müssen wir die Um-
risse und allgemeinen Angaben dieser beiden echten
Blätter, wie die genaueren der Darmstädter Zeichnung
als unbedingt zuverlässig anerkennen.
Mit diesen beiden authentischen Zeichnungen hat
aber die Wetzlarer absolut nichts gemein, wider-
spricht ihr vielmehr von oben bis unten.
DieDarmstädterZeichnungentsprichtübrigensdurch-
aus dem Stil Kaspar Vischers, des Meisters der Giebel
zu Heidelberg und später der Plassenburg, die Wetz-
larer könnte nie aus seiner Erfindung stammen.
Folglich, da die Wetzlarer Zeichnung mit den
unter sich übereinstimmenden sicher echten Darm-
städter und Merianschen Zeichnungen nicht in Einklang
zu bringen ist; da sie von den Lösungen der wichtig-
sten Fragen, die bis zur Stunde streitig sind, nichts
enthält, aber, wenn sie vor der Natur gezeichnet
wurde, solche enthalten mußte, da ihre Bestandteile
zum Teil in Heidelberg heute noch vorhanden und
viel neuer sind, zum anderen Teil weder der Zeit
noch dem Ort, noch dem Stil, noch dem Gegenstand
entsprechen, vielmehr völlig willkürlich gebildet den
Charakter viel jüngerer Zeit tragen, so ist die Zeichnung
nur als ein späterer Rekonstruktionsversuch unter
Benutzung damals wie heute noch vorhandener Bruch-
stücke, und als ganz ohne Wert für die Bestimmung
des einstigen wirklichen Zustandes zu erklären.
Aus welchem Grunde sie gefertigt sein mag, ent-
zieht sich gänzlich unserer Kenntnis.
Es sei aber noch weiter darauf hingewiesen, daß
alles, was hier noch in Frage kommt, die oben dar-
gelegte Schlußfolgerung bestätigt. So der Umstand, daß
der Giebelzeichnung die so deutliche Beischrift zu-
gegeben ist, die die Absicht erkennen läßt, daß diese
nicht übersehen oder verkannt werden dürfe. Es ist
die einzige ihrer Art im ganzen Buche bei einem
architektonischen Objekt. Wenn die Beischrift fehlte,
so hätte aber kein Mensch die Zeichnung erkannt,
wie es auch bei den übrigen schärfste Kennerschaft
erfordert, die dargestellten Objekte festzustellen. Dann
aber hätte die Arbeit ihren Zweck verfehlt.
Der auffallenden Tatsache, daß mehrere Einzel-
heiten dem Rekonstruktionsentwurfe von Seitz von
1891 entsprechen, der doch die Wetzlarer Zeichnung
nicht gekannt hat, sei nur vorübergehend gedacht.
Vielleicht ist dies zufällig.
Es ist daher, wie oben dargelegt, unumstößlich
sicher folgender Vorgang vorliegend: Irgend ein
Jemand, vielleicht schon im 18. Jahrhundert, hat in
ein altes Buch von 1615—19, Zeichnungen ähnlicher
Art enthaltend, den Giebelentwurf eingezeichnet und
ihn mit der Jahreszahl 1616 und dem Monogramm
der übrigen Blätter, wie der Beischrift, versehen. Der
Entwurf soll einen halben der vorderen Doppelgiebel
des Otto Heinrichsbaues vorstellen. Um ihn wahr-
scheinlich zu machen, sind in diesem Entwürfe alle
verwertbaren auch heute noch vorhandenen Teile,
sowohl die noch stehenden Reste der Giebel von
1669, wie die Figuren aus dem Friedrichsbau, und
die Kupferstiche des J. U. Kraus verarbeitet. Alles
übrige, was der Zeichner zufügte, ist wertloses Zeug
viel jüngeren Charakters, ja öfters fast modern.
Über die tatsächlich einst vorhanden gewesene
Gestalt der Giebel, insbesondere über die infolge der
Eigenart der Aufgabe einst sicher sehr merkwürdig
gelöste obere Mirtelaxe, enthält diese Zeichnung absolut
nichts.
So ist die Skizze unter allen Umständen nicht
mehr wert, als irgend ein beliebiger Rekonstruktions-
versuch älterer oder neuerer Zeit. Überhaupt, da
auch die zuverlässigen und authentischen Zeichnungen
nichts hinreichend Genaues geben, ist es zurzeit noch
unmöglich, mit Sicherheit die alte Gestalt der ersten
Giebel auch nur einigermaßen festzustellen.
Die von mir 1902 gegebene Rekonstruktion dürfte
vermutlich der einstigen Wirklichkeit noch am näch-
sten kommen.
Hannover, Dezember 1904.
A L BRECH T HA UP T.
DER MEISTER ANTHONI DES HEIDELBERGER
KONTRAKTS VON 1558
Von Friedrich H. Hofmann
Kaum ein archivalischer Fund hat in der wissen-
schaftlichen Bearbeitung der deutschen Kunstgeschichte
so verschiedene Auffassung und Auslegung erfahren
und zu so mannigfachen Kontroversen Anlaß gegeben,