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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Daun, Berthold: Wittenberg die Geburtsstätte der deutschen Renaissance?, [2]
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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0098

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Pariser Brief

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Variation erscheinenden Renaissancespuren machen
den Eindruck, als ob Vischer nur durch Stiche mit
der Renaissanceornamentik bekannt geworden ist.
Ohne selbst Italien gesehen zu haben, hat er in Nürn-
berg, was er als Vorlage bekommen konnte, verarbeitet.
Gerade weil er nicht aus der Fülle schöpfen konnte, sind
die Anfänge noch primitiv. Meist ist das Kompositions-
gerüst gotisch, nur die Dekorationsfüllung italienisch.
Manche Anregung bekam auch Vischer durch Barbari,
dessen Stiche in der Gießhütte bekannt waren und
auch vorbildlich wurden. Zu einem tieferen Erfassen
des Wesens der italienischen Kunst aber gelangte der
Altmeister erst durch Vermittlung seiner Söhne Peter und
Hermann, deren Skizzenbücher gemeinschaftlich benutzt
wurden. Das gemeinschaftliche Entwerfen und Model-
lieren aber ist es, was der stilkritischen Untersuchung
unmöglich macht, den Arbeitsanteil zwischen Vater
und Söhnen zu trennen. Das Renaissancemäßige am
Sebaldusgrab auf Peter den jüngeren zurückzuführen, ist
deshalb ein mißglückter Versuch Seegers, der lediglich
auf Hypothesen basiert. Das Sebaldusgrab ist die
natürliche Frucht der stetig fortschreitenden künst-
lerischen Entwickelung des Altmeisters, deren Anfänge
in den Krakauer Erztafeln sichtbar sind.

In Nürnberg also schlug zuerst von allen deut-
schen Städten die Renaissance Wurzel. Das im Ver-
hältnis zu Nürnberg damals noch unbedeutende Witten-
berg darf nicht aus Freude, in Kurfürst Friedrich dem
Weisen, der Dürer, Barbari und Cranach berief, einen
eifrigen Pfleger der Künste erkannt zu haben, zur
Geburtsstätte der deutschen Renaissance gemacht
werden. Schon die geographische Lage mußte Nürn-
berg dieses Vorrecht einräumen. Als erste deutsche
Reichsstadt war Nürnberg — Luther nennt es das
Auge und Ohr Deutschlands — der geistige Mittel-
punkt in Deutschland, wo die meisten und tüchtigsten
Künstlerkräfte sich rührten. Zwar mag auch von der
Pegnitzstadt unsere durch die romantische Schwär-
merei gestärkte Phantasie ein zu prachtvolles Bild von
der alten Herrlichkeit entwerfen; im Vergleich zu dem
spießbürgerlichen Wittenberg, das nicht viel besser
als die übrigen deutschen Städte war, muß Nürnberg
als Luxusstadt gelten, die selbst auf einen klassisch
gebildeten Italiener einen Eindruck machte. Die
Wohnungen der Bürger seien für Prinzen gebaut,
und gern hätten die Könige von Schottland so luxu-
riös gewohnt, wie der einfachste Bürger zu Nürnberg,
so schrieb begeistert Äneas Sylvius. Wenn freilich
dieses hohe Lob des römischen Kardinals nicht mit
modernem Maßstab gemessen werden darf, so war
damals Nürnberg ohne Frage die glänzendste Stadt
Deutschlands. Was Florenz im Quattrocento für
Italien bedeutet, das gilt Nürnberg für Deutschland
bis über das ausgehende Mittelalter hinaus. Auch
zur Zeit der Renaissance blieb es das erste Kunst-
zentrum in Deutschland.

PARISER BRIEF
Die Direktorfrage für die französische Akademie
in Rom ist jetzt entschieden: da alle anderen von der
Akademie vorgeschlagenen Kandidaten ablehnten, blieb

nur noch der Maler Carolus Duran übrig, und seine
Ernennung ist also vom Minister unterzeichnet worden.
Das ist sehr erfreulich. Wenn Besnard, der ebenfalls
seine Kandidatur angemeldet hatte, ernannt worden
wäre, so hätte man das bedauern müssen, denn Bes-
nard steht nocli in der besten Schaffenskraft, und von
ihm dürfen wir noch manches starke und schöne
Werk erwarten. Duran degegen hat seit zehn Jahren
von Jahr zu Jahr deutlicher gezeigt, daß es vorbei
ist mit seiner Spannkraft. Sein Flug ist lahmer und
lahmer geworden, und jetzt fliegt er nicht mehr,
sondern kriecht mühsam am Boden hin. Und als
Präsident der Societe nationale ist der einstige Stürmer
und Dränger zum Vertreter aller reaktionären, be-
schränkten und engen Anschauungen geworden, zum
Gegner aller neuen, vorwärtsdrängenden Bestrebungen,
zum akademischen Schullehrer trotz Gerome und
Bouguereau, denen er an Korrektheit der Zeichnung
weit nachsteht. Nun wird er in der Villa Medici
seinen Lebensabend prächtig und friedlich beschließen,
den Gesandten der französischen Kunst spielen, wo-
zu ihn sein Gefallen an allen Präsentationsrollen be-
sonders befähigt, wird Empfänge geben und Besuche
machen, in der Staatskarosse herumfahren, schöne
Reden halten und, was die Hauptsache ist, Palette und
Pinsel so selten wie möglich angreifen. Das aber
wird der französischen Kunst und dem Rufe Durans
nur zum Heile gereichen, denn Duran gehört nicht
zu dem Geschlechte der Tizian, Menzel, Hebert, die
mit neunzig Jahren noch arbeiten, wie sie es mit vier-
zig taten, er ist müde und ausgeschöpft, und somit
der rechte Mann für diesen Posten, dessen Inhaber
in der Kunst gar nichts zu sagen hat, nichts zu tun
hat, gut bezahlt wird und sich mit Glanz zu Tod
füttern läßt.

Carolus Duran ist jetzt siebenundsechzig Jahre alt.
Als Junge hieß er nur Charles Durand, da aber der
Name Durand in Frankreich beinahe so häufig ist
wie der Name Schmidt in Deutschland, und da der
Vorname gleichfalls sehr alltäglich war, veränderte der
Maler seinen Namen, um sofort etwas zu haben, wo-
durch er sich vor seinen Kollegen auszeichnete. Er
war nicht der Ansicht Shakespeares, daß eine Rose
unter irgend einem anderen Namen gleich lieblich
duften würde, und vielleicht hatte er Recht. Viel-
leicht wäre Charles Durand nicht so bekannt ge-
worden wie Carolus Duran. Vor vierzig und vor
dreißig Jahren hat Duran einige ausgezeichnete Werke
geschaffen, und besonders in seinen Bildnissen kam
er den größten Vorbildern nahe. Der oft gemachte
Vergleich mit Velasquez ist ihm denn auch dermaßen
in den Kopf gestiegen, daß er, wenn von großen
Meistern die Rede ist, immer nur von »ich und
Velasquez« zu sprechen pflegt. Ein paarmal hat er
sich sogar dagegen aufgelehnt, immer mit dem Spanier
verglichen zu werden, der sich doch »mitunter ver-
rechnet« habe. Die besten Arbeiten Durans sind das
weibliche Bildnis im Luxembourg, das Bildnis einer
Dame zu Pferd, das vor zwei Jahren in einer Sonder-
ausstellung wieder erschien, die Dame mit dem Hund
im Museum zu Lille, der Mord, eine Szene aus dem
 
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