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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Bode, Wilhelm von: Gustav Ludwig
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Verschiedenes / Inserate
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213

Bücherschau

214

von aller Geselligkeit, fern von der Welt. Aber in
jedem, der mit ihm in Beziehung gekommen ist, wird
das Bild dieses braven Mannes stets lebendig bleiben.
Von gigantischen Formen, aber schwerfällig durch
sein Leiden, geschickt in allen Sprachen, aber ohne
irgend eine, selbst sein heimisches Deutsch, gut oder
nur ganz richtig zu sprechen, und ebenso gleichgültig
gegen die formale Ausarbeitung seiner schriftlichen
Arbeiten, so durchdacht und logisch sie waren, ein
Mann, frei von allen kleinen menschlichen Schwächen,
von kindlichem Gemüt, von einer Güte und einer
Herzlichkeit und von einem Drang, sie zu betätigen,
die ihm aller Herzen gewann, von einem Gerechtig-
keitssinn, der die kunstfreundlichen Kreise Venedigs
stets an ihn rekurrieren ließ, wenn ein Streit zu
schlichten war, oder wenn es galt, für ideale Interessen
einzutreten: so steht sein Bild in unserer Erinnerung
eingegraben.

Mit Rührung und Dankbarkeit werden wir alle
stets an den Einsiedler im Cappello nero zurückdenken
und an die geweihte Stelle, wo er vom Krankenlager
aus, die Türe nach dem Vorplatz stets gastlich ge-
öffnet, bis zu seinem letzten Atemzuge Kunstfreunde
jeder Art und jedes Landes zuvorkommend em-
pfing, mit Rat und Tat jedem zur Seite stand; wo er
umgeben war von großen Schränken, Koffern und
Kisten, in denen die Abschriften von tausenden von
Urkunden und zahllose Photographien in so muster-
hafter Ordnung aufgestapelt waren, daß sein Diener
jede einzelne sofort herausfinden konnte, wenn Ludwig
selbst an das Bett gefesselt war. Seine Gutherzigkeit,
seine Gefälligkeit kannten keine Grenzen. Auf jede
Frage, die nur entfernt in sein weites Gebiet fiel,
gab er Rede und Antwort, erteilte er in bogenlangen
Briefen, unter reicher Beilage von Urkunden und
Photographien, genaueste Auskunft. Ludwig war ein
begeisterter Verehrer und Anhänger Cavalcaselles, von
dessen Geschichte der italienischen Malerei er zu sagen
pflegte, wenn man einmal einen recht originellen
Fund gemacht zu haben glaube, so könne man sicher
sein, daß man unter drei Malen zweimal schon alles
irgendwo versteckt in Cavalcaselles Buche finde; und
doch, welchen Freund oder Schüler Morellis hätte
er das je nur fühlen lassen! Wie treulich ist er
allen beigesprungen, die ihm bei seinem großen Werke
behilflich waren. Wo er einen Mitarbeiter finden
konnte, stellte er sich in den Hintergrund, ließ er ihm
die Früchte der Arbeit und alle Ehren zuteil werden,
während er die meiste, wenn nicht alle Arbeit tat und
alle Auslagen bestritt. Es war aber auch, als ob seine
Begeisterung alle entflammte, alle zur Mitarbeit fort-
riß. Wie hat er die Kunstforschung in Venedig
gehoben und hat allen Forschern dort zur Seite ge-
standen! Zahlreichen deutschen Kunsthistorikern ist
er behilflich gewesen, war er ein Hauptanziehungs-
punkt bei ihrem Aufenthalt in Venedig; dem jungen
deutschen kunsthistorischen Institut in Florenz ist er,
kaum mit ihm in Beziehung, durch seine Mitarbeit
aufs kräftigste beigesprungen; englische und fran-
zösische Kunstfreunde haben seinen Rat mit gleichem
Erfolg eingeholt.

Dem einfachen Fremden, der nur für Kunst und
Wissenschaft gelebt und für andere sich stets auf-
geopfert hatte, dem bescheidenen Einsiedler, welchem
jede Rücksicht auf seine Person, jede Ehrung zuwider
war, hat Venedig an seiner Bahre eine Huldigung
dargebracht, die den Mann und die Stadt, welche er
über alles liebte, gleich sehr ehrt. In San Marco
wurde ihm das feierliche Totenamt gelesen; der
Sindaco und die höchsten Vertreter von Kunst und
Wissenschaft sprachen warme Worte des Dankes und
der Anerkennung, und schwarze Gondeln geleiteten
den stillen Mann hinaus nach San Michele, dem
»Wallfahrtsort der Venezianer, welche dort die Gräber
ihrer Toten sckmücken und in stiller Abgeschieden-
heit der Rückerinnerung mit ihnen leben,« wie er
selbst die Toteninsel Venedigs genannt hat. Wenige
Deutsche im Auslande haben den Scheidegruß, den
ihm der Direktor des Staatsarchivs in Venedig,
Professor Malagola, nachrief: »O Germania gloriosa
salve!«, so wohl verdient wie Dr. Gustav Ludwig.

W. BODE.

BÜCHERSCHAU
Dürers Dresdener Altar von Ludwig Justi. Mit 7 Ab-
bildungen. Leipzig, Verlag von E. A. Seemann, 1904.

Im Jahrbuch der königlich preußischen Kunstsamm-
lungen (1904, S. 196 ff.) hat Wölfflin einen Angriff gegen
den Dresdener Altar gerichtet. Von Dürer könnte das
Werk nicht herrühren. Die Eigenschaften des Stils wider-
sprächen dieser Zuschreibung. Im besonderen könnte der
Meister das Mittelbild nicht um 1496 (dies die zumeist
angenommene Datierung) gemalt haben, weil er damals
über die Kenntnis der Linearperspektive, mit der der
Innenraum konstruiert wäre, nicht verfügt hätte. Einen
anderen Autor der reichen und charaktervollen Malerei
nannte Wölfflin nicht.

Ludwig Justi weist diesen Angriff mit dankenswerter
Schnelligkeit und Gründlichkeit zurück. Er erreicht seinen
Zweck so gut wie möglich. Daß es in solchen Dingen
eine Widerlegung im eigentlichen Sinne nicht gibt, darüber
macht sich der Verteidiger keine Illusionen. Immerhin
demonstriert er so glücklich die Dürerschen Eigenschaften,
bringt einige Beispiele derselben Oestaltungsart aus un-
zweifelbaren Arbeiten des Meisters herbei, daß er ein
schweres Gegengewicht gegen Wölfflins Einwendungen
liefert — für die Unsicheren. Für die anderen bedarf es
solcher Aufweisung nicht, da ihnen der Dresdener Altar
untrennbar fest mit der Vorstellung von Dürers Schaffen
verbunden ist. Abgesehen von dem — hoffentlich nur
aktuellen — Zweck, enthält das Heft mit seiner Erklärung
und Würdigung des mit Recht hochgestellten Flügelaltares
viel von jener tief eindringenden Interpretationskunst, die
alle Arbeiten des Verfassers auszeichnet.

Ein Hinweis auf gewisse Übermalungen ist bestimmt,
Wölfflins Bedenken gegen die Perspektive zu heben.

Die Stilverschiedenheit zwischen Mittelbild und Flügeln,
die dazu beigetragen hatte, Zweifel hervorzurufen, wird
auch von Justi scharf hervorgehoben. Ansätze zu der
Hypothese, die Flügel seien jünger als das Mittelbild, sind
schon in der älteren Literatur zu finden. Justi setzt die
Flügel in wesentlich spätere Zeit als das Mittelstück.

Mit dieser Hypothese und mit der Konstatierung von
Übermalungen ist eine Brücke zum Rückzug gebaut, die
Wölfflin hoffentlich betritt. Sonst wird trotz Justis promptem
Gegenschlag bei dem großen Ansehen, das Wölfflin sich
 
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