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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Baer, Leo: Die Eva des Veit Stoss
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0138

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259

Bücherschau

260

handlung der Hände ist bei beiden entsprechend.
Noch schlagender scheint mir die Verwandtschaft des
Gesichtstypus mit der »Madonna« der »Anbetung
des Kindes« auf dem bezeichneten Altare von 1523
in der Bamberger Oberen Pfarrkirche1). Hier wie
dort finden wir denselben kurzen Hals, das breite fast
viereckige Gesichtsoval, einen in die Länge gezogenen
Mund, eine ähnliche Bildung der Nase, der etwas ge-
kniffenen Augen und der fast geraden, nur an den
Enden abgebogenen, Augenbrauen. Die langen Haare,
die, wieder geteilt, vor und hinter derSchulter herab wallen,
sind in der gleichen Weise korkzieherartig gewunden2).
Die »Maria« auf einer »Verkündigung« im Kestner-
Museum in Hannover3) zeigt ebenfalls ähnliche Ge-
sichtszüge. Noch näher steht unserer »Eva« der be-
zeichnete Kupferstich der »Madonna mit dem Apfel«
(B. 3, P. 6), der, wie auch der neuste Biograph des
Veit Stoß, Berthold Daun anzunehmen scheint4), wohl
der Spätzeit unseres Meisters angehören dürfte.

Bei aller Verwandtschaft mit diesen beglaubigten
Arbeiten des Veit Stoß müssen wir gestehen, daß sich
in der Eva des Louvre eine gewisse Selbständigkeit
der Ausdrucksgestaltung offenbart, die sich freilich
bei der Vielseitigkeit des Nürnberger Bildschnitzers
wohl erklären läßt. Ist sie ein Werk des Veit Stoß,
so müssen wir annehmen, daß es sein Hauptwerk
war, eine Arbeit, die er, vielleicht mit Rücksicht auf
den Auftraggeber, mit besonderer Sorgfalt und Liebe
ausführte. Wenn wir auch, wie bei allen Werken des Veit
Stoß bis an sein Lebensende, bei unserer »Eva« noch
in der etwas gezwungenen Körperhaltung ein Nach-
klingen der Gotik empfinden, so ist sie doch für
unseren Meister ein ungewöhnlich großes und freies
Werk. Vieles erinnert an die Art, wie Dürer in seinen
zahlreichen Entwürfen die »Eva« aufgefaßt hat; es ist
nicht ausgeschlossen, daß der Verfertiger unserer Holz-
statue von dem größeren Zeitgenossen beeinflußt
worden ist.

Die stilistische Verwandtschaft unserer »Eva« mit
den Werken des Veit Stoß gewinnt eine desto größere
Bedeutung, wenn wir uns an eine Stelle in Neudörfers
»Nachrichten von Künstlern und Werkleuten in Nürn-
berg« (Quellenschriften für Kunstgeschichte X, S. 84)
erinnern. Johann Neudörfer, der Veit Stoß persön-
lich gekannt hat;'), erwähnt bei Aufzählung der Werke
des Veit Stoß an erster Stelle: »Er machte dem König

1) Daun a. a. O. S. 87.

2) Auf einer, im archäologischen Institut der Krakauer
Universität aufbewahrten, Skizze zum Bamberger Altar be-
findet sich auch eine Darstellung der »Erschaffung Evas«
und der »Vertreibung«, die nicht zur Ausführung kam. Es
wäre interessant, diese wohl gleichzeitigen Evadarstellungen
des Veit Stoß mit der Statue des Louvre zu vergleichen.
Leider existiert keine Photographie der Krakauer Skizze.
Vergl. Daun a. a. O. S. 89, Anm. 146 und 147.

3) Daun a. a. O. S. 90.

4) Daun a. a. O. S. 18.

5) Er schreibt (Quellenschriften für Kunstgeschichte X

S. 84): »Er (Veit Stoß) hat auch selbsten mich eine ganze
Mappan sehen lassen die er von erhöhten Bergen und ge-
niedcrten Wasser/liisscn, sammt der Städte und Wälder
Erhöhungen gemacht hat.*

in Portugal Adam und Eva lebensgroß von Holz und
Farben, solcher Gestalt und Aussehens, daß sich einer,
als wären sie lebendig, davor entsetzt«. Ein Haupt-
werk des Veit Stoß, das Neudörfer an erster Stelle
anführt, ist also schon im Anfange des 16. Jahrhunderts
in den Besitz des Königs von Portugal übergegangen.
Sollte dieses Werk vollständig verloren gegangen sein?
Auf meine Nachforschungen, die ich vor einigen Jahren
bei der Verwaltung des »Museu Nacional das Bellas
Artes« in Lissabon anstellte, erhielt ich den Bescheid,
daß ein solches Werk nicht mehr in Portugal vor-
handen sei. An die Beschreibung Neudörfers wurde
ich erst wieder erinnert, als ich die im Kunsthandel
erworbene1) Eva des Louvre sah: Eine lebensgroße,
polychrome Holzstatue von fast erschreckender Natur-
wahrheit, ganz genau wie sie Neudörfer beschreibt!
Eine zweite lebensgroße »Eva« aus dieser Zeit, die der
Beschreibung Neudörfers entspricht, ist, soviel ich weiß,
überhaupt nicht bekannt, wenigstens keine deutsche. Be-
rücksichtigt man die Stilverwandschaft mit beglaubigten
Werken des Veit Stoß, so liegt die Vermutung nahe,
daß die Eva des Louvre ursprünglich zu jener Gruppe
von »Adam und Eva« gehört hat, die Veit Stoß für
den König von Portugal2) geschnitzt hat. Vielleicht
taucht auch einmal der dazu gehörige »Adam« im
Kunsthandel auf; und man kann nur die Hoffnung
aussprechen, daß es dann einem deutschen Museum
gelingen wird, dieses Hauptwerk deutscher Renaissance-
kunst zu erwerben.

BÜCHERSCHAU

J. A. Endres, Das St. Jakobsportal in Regensburg und
Honorius Augustodunensis. Beitrag zur Ikonographie und
Literaturgeschichte des 12. Jahrhunderts. Kempten, Ver-
lag der Jos. Köselschen Buchhandlung, 1903.
Lange Zeit interessierte man sich für die mittelalter-
liche Kunst nur vom antiquarischen Standpunkt, und erst
die letzte Entwickelung der Kunstwissenschaft führte zu
einer ernsthaften Inangriffnahme der Formengeschichte auch
für diese Epoche. Trotzdem wird auch heute niemand,
der für diese Kunst sich interessiert, es umgehen können,
sich mit der rein gegenständlichen, inhaltlichen Seite ihrer
Schöpfungen auseinanderzusetzen. Denn ein l'art pour
l'art im modernen Sinne gibt es hier nicht, und wer auch
nur einmal einen Eindruck von der Gestaltenwelt des Mittel-
alters empfangen hat, wird sich immer wieder fragen: was
sollen diese krausen Gestalten? Woher kommen sie und
was ist mit ihnen gemeint? Warum überhaupt diese Fülle
und dieser Wirrsal? Deshalb wird man im Grunde ge-

1) Die Statue wurde vom Louvre durch Vermittlung
des Kunsthändlers Brauer für 20000 Francs erworben. Vor
ihm besaß sie der Kunsthändler Rosenbaum in Frankfurt
a. M. Weiter ließ sich die Provenienz leider nicht zurück-
verfolgen. Doch soll sie noch durch die Hände mehrerer
Kunsthändler gegangen sein.

2) Es ist anzunehmen, daß es der kunstsinnige Nach-
folger Manuels I., Joao III. (1521—54), war, der auch
wahrscheinlich den jetzt im königlichen Schloß in Lissabon
aufbewahrten »Brunnen des Lebens« von Holbein erwarb
(vergl. »Zeitschrift für bildende Kunst*, N. F. XIV, S. ig7ff.).
Unter seiner Regierung kam auch Dürers »Hieronymus«
von 1521 (»Zeitschrift für bildende Kunst«, N. F. XII, S. I7ff.)
nach Lissabon.
 
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