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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Seemann, Artur: Ein Anti-Böcklin
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Rooses, Max: Ein neuer Rubens
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https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0269

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Ein neuer Rubens

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berechnet wie viele seiner späteren Werke. Der Ton,
den der unheimliche Gast auf der letzten unzer-
sprungenen Saite vorgeigt, ist derselbe, den Robert
Schumann voll Entsetzen hörte, als sich sein Wahn-
sinn ankündigte; es ist derselbe Ton, den Smetana
am Schlüsse seines einzigen Streichquartetts erklingen
läßt. Und mit solchen »Argumenten«, wie sie Herr
Meier-Graefe hier gegen Böcklin braucht, kann ein
federflinker Mann alle Jahre einen Todschlag verüben,
ohne mehr Ruhm bei der besonnenen Nachwelt zu
ernten, als das tapfere Schneiderlein.

Nichts ist natürlicher, als daß auf die Überschätzung
Böcklins eine Reaktion, ein Wellental der Unter-
schätzung, eintreten muß, die Meier-Graefe, wenn auch
nicht sehr glücklich, eingeleitet hat; der wahre advo-
catus diaboli Böcklins muß erst noch kommen. Dann
wird man aus Berg und Tal die Mitte ziehen dürfen,
um ungefähr den Punkt zu finden, auf dem spätere,
leidenschaftslose Historiker die Werthöhe der Böck-
linschen Kunst einstellen werden.

ARTUR SEEMANN.

EIN NEUER RUBENS.

Von Max Rooses.

Von Zeit zu Zeit verkünden uns die Tagesblätter,
daß ein noch unbekanntes Werk eines großen Meisters
entdeckt wurde. Eine derartige Nachricht verfehlt
niemals ein lebhaftes Interesse hervorzurufen und
wird sofort von Land zu Land weitergetragen. Schein-
bar sind es die »R« - Meister, die das Vorrecht
haben, derartige Sensation zu bewirken: Raffael,
Rembrandt und Rubens. Gewöhnlich handelt es sich
um ein durch Zufall entdecktes Gemälde: Ein ver-
dunkeltes, in irgend einem armseligen und düsteren
Raum verstecktes Meisterwerk wird ans Licht gezogen
und enthüllt einem Kenner seine hervorragende
Qualität, oder besser ein bescheidener Amateur hat
in einer unbedeutenden Auktion ein unbeachtetes
Bild entdeckt; er läßt es reinigen und die Perle ist
zum Vorschein gekommen. Neun- von zehnmal kann
man sagen, enthüllt sich diese so überraschende, so
einleuchtende Nachricht als eine schlechte Sensation,
wenn ein geübtes Auge den wunderbaren Fund
prüft. Aber niemand, wenn nicht etwa der miß-
brauchte Besitzer, macht sich Sorge darüber, der Lärm
ist einmal entstanden, das Gerede ist im Gange und
die Zeitungen haben eine günstig aufgenommene
Reportertätigkeit entwickelt.

Etwas ähnliches ist soeben geschehen. In Eng-
land hat man einen neuen Rubens entdeckt. Die
Nachricht hat die Runde durch die europäischen
und amerikanischen Zeitungen gemacht, und nach dem
gewaltigen Echo zu urteilen, das davon zu mir ge-
drungen ist, hat sie einen ungewöhnlich großen Ein-
druck gemacht. Wir wollen sogleich bemerken, daß
dieser Eindruck gerechtfertigt war, daß das entdeckte
Werk seinem künstlerischen Werte nach sehr be-
trächtlich die meisten, um nicht zu sagen alle, unter
ähnlichen Verhältnissen wiedergefundenen Gemälde
übertrifft.

Es ist keineswegs gesagt worden, daß das Ge-
mälde zufällig entdeckt wurde, indes können wir hin-
zufügen, daß sein Wert von einem in Kunstsachen
erfahrenen Mann erkannt worden ist. Es ist mir im
Dezember 1904 von seinem Besitzer, Herrn M. W.
Brockwell in London, gezeigt worden, der gewissen-
haft alle Nachrichten durchforscht hat, um sich über
die Geschichte und den Wert des Werkes klar zu
werden. Er hat kürzlich selbst im »Athenaeum« vom
29. Juli das Ergebnis seiner Untersuchungen publi-
ziert. Den dort mitgeteilten Einzelheiten im beson-
deren über die Geschichte des Modells und die alten
Maler, die es porträtiert haben, will ich einige Be-
merkungen über die Geschichte des Werkes und
seinen künstlerischen Wert hinzufügen.

Das fragliche Bild ist ein Porträt Karls des Kühnen,
Herzogs von Burgund. Der Fürst ist unbedeckten
Hauptes in dreiviertel Front, mit langen Haaren,
kurzem Schnurrbart dargestellt. Der Gesichtsausdruck
ist energisch und hart. Der Körper ist mit einem
Stahlküraß bedeckt, über den ein reicher Mantel mit
Hermelinkragen fällt. Die linke Hand ruht auf der
Hüfte, die rechte, vom Körper abgespreizt, stützt sich
mit einer Geste stolzer Entschlossenheit auf den
Kommandostab.

Es ist meiner Ansicht nach eines der beiden
Porträts des unglücklichen Burgunders, die sich in
dem Nachlaß von Rubens befanden. Die »Speci-
fication« der vom Meister hinterlassenen Werke
verzeichnet unter der Nr. 96 ein »Pourtrait de
Charles le Hardy, Duc de Bourgogne sur fond de
toile« und unter der Nr. 107 »un Pourtrait de
Charles le Hardy sur fond de bois«, alle beide von
Rubens. Das Porträt auf Holz ist ohne jeden Zweifel
das im Besitze des kaiserlichen Museums in Wien;
dagegen habe ich die Überzeugung, daß das wieder-
aufgefundene Gemälde das bewußte Bild auf Lein-
wand ist, das bisher unbekannt geblieben war.

Die »Specification« bezeugt, daß das Werk von der
Hand Rubens ist und wir können dem unbesorgt
zustimmen. Indessen muß man zwischen den beiden
Porträts einen Unterschied machen. Das Bild aus
dem Wiener Museum ist eines der großartigen und
hervorragenden Werke von der Hand des Meisters
aus seiner letzten Zeit; das Bild des Herrn Brockwell
besitzt nicht die gleichen Qualitäten. Es ist von ver-
schiedenen Händen gemalt. Unzweifelhaft hat ein
Gehilfe das Werk begonnen und der Meister hat es
vollendet. Die Gehilfenhand tritt in einer ungewöhn-
lichen Art zutage. Gewöhnlich legte der Schüler die
Untermalung an nach einer Skizze oder nach einem
fertigen Werke des Meisters. Dieser selbst vollendete
das Bild und setzte auf die Fleischteile und die
wesentlichsten Nebendinge den Glanz der Lichter
und die Pracht der Farben. Hier ist der Kopf nach
Rubens durch einen sehr geschickten Schüler gemalt
worden, aber er ist nicht vom Meister vollendet
worden. Dieser dagegen hat selbst die Hand skizziert,
die den Kommandostab hält, ohne sie jedoch zu
vollenden. Er hat im Gegenteil wundervoll die
weniger wesentlichen Dinge gemalt. Auf dem Metall
 
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