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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

DOI Artikel:
Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0273

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVII. Jahrgang 1905/1906 Nr. 33. 21. September

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an e. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

PARISER BRIEF
Von Karl Euoen Schmidt

Die beiden großen Salons genügen dem Tatendurst
der Pariser Künstler und Kunstfreunde nicht: zugleich
schießen an allen Ecken und Enden kleinere Spezialaus-
stellungen aus diesem für die bildende Kunst so frucht-
baren Boden. Eine der wichtigsten dieser Ausstellungen
ist die posthume Ehrung für Henri Fantin-Latour, den vor
zwei Jahren gestorbenen Meister, der wirklich ein Meister
war. Es gibt keine härtere Probe für einen bildenden
Künstler, als wenn man hundert und mehr Werke von
ihm in einen einzigen Raum zusammenbringt. Die aller-
wenigsten halten das aus. Henner, der seinen eigenen
Saal im Petit Palais hat, besteht die Probe nur recht müh-
sam. Ziem, ebendaselbst, fällt kläglich durch, der Bild-
hauer und Kunsttöpfer Carries am gleichen Ort hat auch
alle Mühe, und nur der Bildhauer Jules Dalou geht größer
und stärker aus ihr hervor.

Fantins Sieg ist nicht ganz so entschieden wie der
Dalous: auf einem Gebiete seiner Wirksamkeit wenigstens
schadet ihm das Nebeneinanderhängen so vieler Bilder.
Seine musikalischen Phantasien, in welchen er gewöhnlich
ideale Frauengestalten in idealer Waldlandschaft zeigt, ver-
lieren in dieser Menge sehr viel von ihrem poetischen Reiz:
man merkt ihnen beinahe so etwas wie Fabnkstempel an,
und denkt an die hundert- und tausendmal wiederholten
Waldnymphen Henners. Aber ein Fabrikant wie Henner
und wie Ziem ist Fantin doch nie gewesen, und wenn
sich alle diese Bilder so ähnlich sehen, ist daran nicht die
Lust am Verkauf und am Erwerb schuld, sondern die
Tatsache, daß Fantin sein ganzes Leben lang derselbe in
seinen Anschauungen und Neigungen geblieben ist. Ich
kenne kein Beispiel eines Künstlers, der so ganz ohne
äußere Einflüsse, so ganz ohne Entwickelung und Ände-
rung gewesen wäre wie Fantin. Technisch war er mit
siebzehn Jahren schon ganz vollendet. Da ist ein Selbst-
bildnis aus dem Jahre 1854 — Fantin ist im Jahre 1836
geboren — genau ebenso gemalt, mit der nämlichen Be-
herrschung der Technik, der gleichen »Verschleierung« der
Töne, der gleichen stillen Farbenpoesie wie alle späteren
Arbeiten.

Nicht nur seine Technik, auch seine Themen sind sein
Leben lang die gleichen geblieben. Auf den beiden andern
Gebieten, die er bebaute: im Bildnis und im Stilleben war
er, das zeigt diese Ausstellung, ein echter Meister, nicht
nur ein Meister des Tages, sondern ein Meister schlechthin,
der unter den vier oder fünf Malern des 19. Jahrhunderts,
die bei unseren Enkeln Bewunderung finden werden, seinen
Platz behaupten wird. Ganz köstliche Kleinodien sind
seine Stilleben. Da ist ein kleines Blatt von ihm, nur eine
weiße Tasse auf einer weißen Untertasse, darauf ein Kaffee-

löffelchen. An dem Bildchen kann man sich nicht sattsehen.
Es ist eine Perle, ein liebes duftiges Gedicht wie Heines
kleines Frühlingslied und wie Goethes Heidenröslein. Ein
ganz unsagbarer, unbeschreiblicher Reiz geht, wie von diesem
einfachsten seiner Bilder, von allen den Stilleben aus, wo
er Früchte, Blumen, Gläser usw. zusammgestellt hat.

Stilleben sind eigentlich auch seine Bildnisse. Er haßt
alles Laute und Unruhige. Seine Modelle müssen still und
lautlos sitzen oder stehen, sie dürfen nur träumen, höch-
stens denken, und auch ihre Gedanken müssen sanft und
leise dahinschweben. Dieser stillen Ruhe entspricht die
sanft abgetönte Harmonie seiner Farben, und wen immer
er malt, mag es seine Frau, seine Schwester, er selbst,
Whistler, Pelletan, Vincent d'Indy, Zola, Verlaine sein,
immer malt er eigentlich sonst nichts als die Beschaulich-
keit, das Traumleben, die poetische Stille der Häuslichkeit.
Von dem Charakter seiner Modelle erfahren wir nur sehr
wenig: Baudelaire, Pelletan, Whistler, Zola, so verschieden
sie in Wirklichkeit waren, sind auf diesen Bildern alle
Brüder gleichen Empfindens und gleicher Träume, und
ihnen reihen sich als gleichbesaitete Schwestern die sanften
Frauen und Mädchen an, die Fantin uns vor der Staffelei,
am Stickrahmen, am Nähtisch usw. zeigt.

Nein, im Grunde war Fantin kein großer Figurenmaler,
im Grunde war er überhaupt kein Portiätist, er war am
Ende weiter nichts als Stillebenmaler, nicht mehr als Char-
din, das heißt einer der größten Meister der Malerei aller
Zeiten.

Bei dem Händler Hebrard stellt der Prager Bildhauer
Bohumil Kafka aus, der wie die meisten seiner Landsleute,
die in Paris ihre Werke zeigen, die Kunst nur als Träge-
rin seiner Gedanken zu benutzen scheint und dabei mög-
lichst phantastischen und ungewöhnlichen Gedanken nach-
eilt. Selbst wenn er einmal ein alltägliches Thema von
der Straße aufliest und einen Kärrner samt Karren und
Gaul modelliert, ein Dromedar oder eine Hirschkuh, eine
badende Gesellschaft am Strande oder einfach ein nacktes
Weib darstellt, gibt er diesen Dingen eine seltsame, uner-
hörte, auffallende und geheimnisvolle Tournüre, also daß
so ein Kärrner geradezu phantastisch erscheint wie die
beisammensitzenden und sich unterhaltenden Mumien. In
der Technik lehnt sich Kafka stark an Rodin und Trubetz-
koi an, ohne daß man doch behaupten könnte, er hätte
seine Eigenart unter diesen starken Einflüssen eingebüßt.
Jedenfalls ein interessanter Künstler, dessen Jugend — er
ist erst 28 Jahre alt — Großes erwarten läßt.

Ein Ereignis in dem Wirrwarr all der Kunstausstel-
lungen ist das Zusammenbringen von mehreren hundert
Ölgemälden, Aquarellen, Radierungen und Skulpturen von
Anders Zorn in den Ausstellungssälen Durand-Ruels. Zorn
hat wie Sargent eine Weile in Paris bei Carolus-Duran
gearbeitet, und daraus nehmen die Pariser Veranlassung,
 
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