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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Strzygowski, Josef: Die Kanzel von Kairuan: eine Bitte an die französische Regierung
DOI Artikel:
Koegler, Hans: Eine zeitgenössische Notiz über Dürer
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0204

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389 Eine zeitgenössisch

Grund und Muster, von Rahmen und Füllung, in der
Größe und Klarheit der Einheit des Musters ohne
Ende, und dergleichen mehr vor, das der altmesopo-
tamischen Kunst eigen ist und im späteren Islam einer
sinnverwirrend mathematischen, für uns geradezu un-
verständlichen Spekulation Platz gemacht hat.

Und dieses Minbar, ein Markstein der Kunst-
entwickelung ersten Ranges, ist im Augenblick den
verständnislos barbarischen Händen eines tunesischen
Eingeborenen zur »Restauration« überliefert! Dr. Ernst
Kühnel, der sich auf meine Bitte nach Kairuan be-
geben hat, um das Minbar im Detail aufzunehmen
und zu bearbeiten, sendet mir diese Hiobspost. In
einem Briefe vom 12. April 1. J. schreibt er: »Die
Kanzel steht nicht mehr im Gotteshause, sondern be-
findet sich, in ihre Bestandteile zerlegt, im Magazin,
wo sie der von der Habuverwaltung beschlossenen
»Restaurierung« harrt. Ich weiß nicht, bis zu welchem
Grade sie bereits baufällig war: das, was mit ihr
vorgehen soll, ist aber, meine ich, unter allen Um-
ständen zu bedauern. Denn weder gibt es in Tunis
— wohin man die Arbeit vergeben hat — einen
tüchtigen arabischen Menuisier, noch hat man vonseiten
des Habus die wünschenswerte Nachsicht auf das
Kunstwerk zu erwarten. Indessen, die Arbeit ist be-
reits im Gange und daran läßt sich wohl nichts
mehr ändern.«

Vielleicht ist es doch nicht zu spät. Die fran-
zösische Regierung kann bei dem Schneckengang,
den die Dinge im Orient zu gehen pflegen, immer
noch eingreifen, sie kann H. Sabatier oder Dr. Kühnel
mit der Überwachung der Restauration beauftragen
und vor allem: sie kann vielleicht durchsetzen, daß
das Minbar im Original in ein verläßliches Museum
kommt, in der Moschee aber durch eine Kopie er-
setzt wird. Wenn alle Stricke reißen, wird die Re-
gierung doch zum mindesten veranlassen können,
daß gelegentlich der Restauration der wissenschaft-
lichen Forschung freie Hand gelassen wird, das
heißt Dr. Kühnel nach Herzenslust messen, zeichnen
und photographieren darf. Der alte Bestand scheint
ohnehin schon angetastet; Dr. Kühnel schreibt, er sei
auf die Anordnung angewiesen, die der Restaurator für
sich getroffen habe und könne sich den ursprüng-
lichen Aufbau nur mit Hilfe älterer Aufnahmen rekon-
struieren. Es ist daher keine Zeit zu verlieren.

EINE ZEITGENÖSSISCHE NOTIZ ÜBER DÜRER

Die folgende Nachricht über Dürer stammt von
dem Nürnberger Humanisten, Theologen und Mathe-
matiker Thomas Venatorius, von dem man bereits
die »Monodia de morte Alb. Dureri« von 1528 kennt.
(Hans Wolfgang Singer, Dürerbibliographie Nr. 669.)
Die Notiz scheint mir bisher unbekannt geblieben zu
sein'), sie findet' sich in der Vor- bezw. Nachrede
der Ausgabe von Leon Battista Alberti, welche 1540
in Basel unter folgendem Titel gedruckt wurde: »|De

1) Herr Professor Hans Wolfgang Singer hatte die
Freundlichkeit, mir mitzuteilen, daß ihm die Stelle in der
Dürer-Literatur auch noch nicht begegnet sei.

e Notiz über Dürer

pictura prae | stantissimae artis et | nunquam satis
laudatae, libri tres ab- | solutissimi, Leonis Baptistae
de | Albertis viri in omni gene- | re scientiarum . . . |
Jam primum in lucem editi. | Basileae. | Anno M ■ D ■ XL.
Mense j Augusto. |« 8°, mit Signet der Offizin des
Bartholomaeus Westhemer (Exemplar Zürich, Stadt-
bibliothek). In dieser Vorrede, die aus Nürnberg
vom Juni 1540 datiert ist, widmet Venatorius die
Ausgabe dem Mathematiker und Freund der Malerei
Jacobus Milichius. Er hebt den praktischen Wert
einer neuen Albertiausgabe hervor und fährt dann
fort:

»De pictura deque nostris studiis loquor. Magna
enim et praeclara vel longissime dissiti vel repentes
etiam persequi non desistimus. Quod sequutum vido
autorem horum librorum, non quidem lenocinio tan-
tum verborum, se re vera, quoad homini mortali
possibile fuit, exprimere vultus arte conatus est optimos.
In memoriam venit mihi Albertus Durerus civis meus,
pictorum seculi sui facile princeps, qui 7ip6iru7ta aut
sxtutox, ut Graeci vocant, formans aliis doctissimis
quibusque satisfaciebat Semper: at quod conatus fuisset
tarnen pro concepti prius a sese in mente Äpyeirikou
magnificentia satis fecisse sibi nunquam. Nos, quod
hic scribimus, ita loquentem cum multis aliis et bonis
et doctis viris, audivimus. Vidimus illum ipsum Dure-
rum sculptoribus praescribere lineamenta quaedam,
quae ipse deinde penicillo adiutus, difficulter asseque-
batur. Non raro enim quae animo concipimus, maiora
sunt, quam ut ea manus mortalis in oculos humanos
pro dignitate transfundere possit.«

In dieser Notiz berichtet Venatorius also zweierlei,
einmal, daß er Zeuge von Äußerungen Dürers war,
worin dieser beklagt, daß er mit seinen Entwürfen
der Prächtigkeit seiner eigenen Phantasie nicht gleich-
kommen könne; das ist nichts Neues, sowohl all-
gemein menschlich als besonders von Dürer aus
anderen seiner Bekenntnisse ungefähr gleichlautend
überliefert. Dann aber berichtet er, wie er Dürer bei
einer bestimmten künstlerischen Tätigkeit gesehen habe,
und hierin kann ein gewisser Wert für die Kunst-
geschichte liegen, wobei allerdings sehr viel von der
Übersetzung oder vielmehr Deutung des Wortes peni-
cillus (= penicillum) abhängt. Zunächst muß fest-
gehalten werden, daß es heißt »sculptoribus praescri-
bere lineamenta«, also, was man auch unter sculptor
zunächst verstehen will, jedenfalls Vorzeichnungen
für zweite Personen, aus deren Händen Dürer das
inzwischen weitergeförderte Werk wiederempfing und
es einer gründlichen Schlußbearbeitung unterzog,
»deinde ipse difficulter assequebatur«.

Die gewöhnliche Bedeutung von penicillus ist
Pinsel, Wischlappen1), und sculptor bedeutet auch im
16. Jahrhundert gleichmäßig den Stecher, den Holz-
schneider und den Bildhauer. Die Möglichkeit, hier
bei Dürer auch an Bildhauer zu denken, ist durchaus
nicht von der Hand zu weisen; die Stelle würde dann
sagen, daß Dürer für Bildhauer Entwürfe machte, die
er von diesen ausführen ließ und dann eigenhändig
mit dem Pinsel bemalte. Allerdings wäre dann der
lange Weg von der gezeichneten Skizze bis zur Über-
 
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