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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Ausstellung für kirchliche Kunst zu Soest, verbunden mit einer Ausstellung von Werken Aldegrevers: (11. August bis 1. September 1907)
DOI Artikel:
Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0275

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Pariser Brief

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die Lübke für eine Arbeit des 14. Jahrhunderts ansah,
nicht doch im 15. Jahrhundert entstanden ist. —
Der Stadtheilige von Soest, St. Patroklus, ist in ver-
schiedenen Skulpturen dargestellt. Da diese vielleicht
allmählich bekannter werden und da diese Figuren
eine oberflächliche Ähnlichkeit mit einigen Rolands-
bildern haben, so sei gleich jetzt gesagt, daß ein
Zusammenhang nicht existiert, auch ikonographisch
nicht.

Es wäre zu wünschen, daß ein Abbildungswerk
das bleibende Resultat dieser Ausstellung wäre, damit
das Material für die Forschung zusammengefaßt vor-
läge. Der Katalog ist, wie ausdrücklich bemerkt
wird, von Kunstlaien hergestellt und erhebt bei aller
Ausführlichkeit und bei allem Reichtum an Literatur-
nachweisungen nicht den Anspruch eines exakt wissen-
schaftlichen Werkes. Dr. WALDMANN-Bremen.

PARISER BRIEF

Aus Pflichtgefühl mache ich den Anfang mit dem
Salon der Artistes francais. Es ginge doch nicht,
daß ich ihn überhaupt nicht erwähnte. Man könnte
sonst auf die Vermutung kommen, daß er selig ent-
schlafen sei. Leider ist das nicht der Fall. Er ist
lebendig, scheußlich lebendig, und sein diesjähriger
Katalog hat 4855 Nummern. Gerade darum möchte
man sich am liebsten von der Berichterstattung drücken.
Es ist entsetzlich, durch die endlosen Säle zu wandern
und mehr und mehr der vollkommenen Zwecklosig-
keit, der absoluten Überflüssigkeit der ungeheuren
Mehrzahl all dieser Kunstwerke bewußt zu werden
— wenn man nachmals darüber schreiben will. Denn
wenn es etwas überflüssigeres gibt als ein schlechtes
Bild, so ist es ohne Zweifel ein Bericht über ein
schlechtes Bild. Vermutlich könnte man auch das
Gegenteil beweisen, aber ich habe fest vor, die Sache
so kurz wie möglich zu machen, und kann mich auf
weitere Umwege nicht einlassen.

Der Salon der Artistes francais ist immer noch
der Salon der »großen Maschinen«. Die vielen großen
Maschinen und das Plus von zweitausend Katalog-
nummern sind die Ursache, daß es einem bei den
Artistes francais noch langweiliger ist als nebenan in
der Societe nationale. Das Anekdotenmalen an sich
ist nicht schlimm. Wer überhaupt malen kann, darf
auch Anekdoten malen. Teniers, Ostade, Breughel,
hundert andere haben sonst nichts getan. Nur wenn
einer nicht malen kann und dieses Manko hinter einer
Anekdote verstecken will, wendet sich der Gast mit
Grausen. Aber auch da noch können wir milde vor-
übergehen. Wenn nämlich der Mann sich mit einem
oder zwei Quadratschuh begnügt. Die darf man
übersehen und braucht sich nicht zu ärgern. Wie
aber, wenn so ein Unglücksmensch fünfzig oder hun-
dert Quadratmeter Leinwand verbraucht? Das ist ein-
fach fürchterlich!

Da hat einer irgendwo entdeckt, daß ein Mensch
namens Hastings, den ich nach seiner mangelhaften
Bekleidung für einen nordischen Seeräuber halten
möchte, irgendwann in der guten alten Zeit einen
Ort namens Luna geplündert und eingeäschert hat.

Ich frage Sie: ist das ein Grund, uns eine lebens-
große Kirche zu malen, angefüllt von fünfhundert
lebensgroßen in Blut und Brand schwelgenden halb-
nackten Hallunken und hundert mehr oder weniger
ermordeten oder vergewaltigten Mönchen und Nonnen?
Und ich füge hinzu, daß die Malerei über die Maßen
mittelmäßig und langweilig ist. Ich will Ihnen den
Namen des Übeltäters nicht verraten und will Ihnen
auch nicht sagen, wer das lebensgroße Verdeck des
lebensgroßen Kriegsschiffes Ca ira mit mehreren hun-
dert lebensgroßen Toten und Verwundeten abscheu-
lich besudelt hat. Und ebenso schweige ich über
alle anderen Illustratoren, die aus einer Reportage
von zehn Zeilen gleich ein sechshundert Seiten starkes
Buch machen. Ich überlasse sie ihren Gewissens-
bissen, die nicht ausbleiben werden, wenn das unge-
heure Bild in die Werkstatt zurückkommt und absolut
nicht unterzubringen ist.

Ausgezeichnet sind die beiden dekorativen Arbeiten
von Henri Martin, ganz besonders die Abendstimmung
am Mittelmeer mit den vom Sturme niedergehaltenen,
verkrüppelten Pinien, der Schafherde und dem alten
Schäfer. Das andere Bild, eine Wiesenlandschaft mit
Schnittern, ist auch sehr schön, interessiert aber weniger,
weil es mit früheren Arbeiten Martins fast identisch
ist. William Laparra philosophiert gerne, aber er ist
doch zu sehr Maler, um die Hauptsache zu vergessen.
Sein Riesengemälde, welches den Kriegsruhm allegori-
siert, ist in der Komposition eine vortreffliche Arbeit:
ein Tempelbau, dessen Kuppel sich in den Wolken
verliert, hoch oben auf der Terrasse der triumphie-
rende Kriegsheld, unten die an Leichenhaufen klagen-
den Mütter und Kinder, weiterhin hoch aufgeschichtete
Pyramiden von Gebeinen und Schädeln, welche den
Ruhmestempel stützen und halten. Bekanntlich hat
Werestschagin dereinst etwas ähnliches gemalt: eine
von Aasvögeln umflatterte Schädelpyramide. Aber
Werestschagin war niemals Maler. Er war nie mehr
als Reporter, und wenn er nur mit dem Kodak ge-
arbeitet hätte, wäre die russische Kunst auch, wo sie
ist. Sowie er philosophierte, malte er dermaßen
schlecht, daß man es kaum anschauen kann. Man
sehe sich nur seine zwanzig riesengroßen Napoleons-
bilder im Petersburger Museum Alexanders III. an!
Wer da nicht wegläuft, hat ein gesundes Gemüt. La-
parra ist wirklich Maler und löst auch seine philo-
sophischen Probleme als Maler, aber trotzdem ist das
diesjährige Bild nicht einwandfrei. Es fehlt ihm vor
allem an Farbe und die ungeheure graue, trübe, ein-
tönige Fläche läßt einen wenig erfreulichen Eindruck
zurück. Vielleicht entspricht das der Absicht des
Malers, der seinen Leichen und Gebeinen natürlich
kein jauchzendes Farbengewand geben konnte. Aber
wofür ist denn Blut da, wozu glitzern die Waffen,
wozu glühen die Flammen, wozu leuchten die Farben
der Fahnen? All das hätte ganz gut in die Kompo-
sition gepaßt, und sie wäre lebendiger und leiden-
schaftlichergeworden, wenn sie mehr Farbe bekommen
hätte.

Aber eilen wir. Vorüber an Bonnat, an Flameng,
an Rochegrosse, an Lefebvre, an Henner, an Bougue-
 
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