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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Schleinitz, Otto von: Neuerwerbungen des British Museums
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0118

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213

Berliner Ausstellungen

214

klassischen Schule, während leider die ihm gehörige Spe-
zialkollektion populärer farbiger Holzschnittblätter wegen
Geldmangels nicht angekauft werden konnte. Diese ging
dann an Mr. Hart über, von dem etwa vor fünf Jahren
die Verwaltung einen kleinen Teil erwarb.

Erst Ende vorigen Jahres bot sich die Gelegenheit
und fanden sich die Mittel, um die nur aus Erlesenem be-
stehende und wissenschaftlich angelegte Sammlung von
Mr. Arthur Morrison für das Museum zu sichern. Die
Erwerbung ist um so wertvoller, da alle 1800 Blätter sich
in vorzüglichem Zustande befinden. Hierzu kamen dann
noch 300 Beispiele aus der Kollektion von Mr. Samuel
Tuke, der während eines zehnjährigen Aufenthaltes in
Japan gesammelt hatte. Die Katalogisierung ist in gutem
Fortschreiten begriffen und wenn beendet, wird es sich
zweifellos erweisen, daß nunmehr auch diese bisher be-
stehende Lücke derart ausgefüllt wurde, um mit allen ähn-
lichen Sammlungen konkurrieren zu können. Über die
Eigentümlichkeiten, Vorzüge und den Reiz des betreffen-
den Kunstzweiges ist gerade in letzter Zeit so viel die
Rede gewesen, daß erst nach Abfassung des Kataloges
es angezeigt erscheinen möchte, in die Details der Samm-
lung näher einzugehen! —

Die zweite bemerkenswerte Akquisition des Kupfer-
stichkabinetts besteht aus go Blättern von Tintorettos Hand,
teils monochrom, teils farbiger Natur, die man nicht anders
klassifizieren kann als Malereien auf Papier. Sie sind fast
alle mit dem Pinsel und zwar mit ungewöhnlicher Feinheit
und Kraft hergestellt und weisen viele Vorzüge des Meisters
auf, namentlich aber lassen sie vielleicht seine höchste
Eigenschaft, die vor keiner Schwierigkeit zurückschreckende
Phantasie, erkennen. Die Sujets auf den in Rede stehen-
den Blättern sind auf gewöhnlichem grau-grünen vene-
zianischen Papier in Tempera, in den Lichtern mit Ölfarbe
gehöht, ausgeführt. Aller Wahrscheinlichkeit nach waren
bisher nur vier Beispiele dieser Art von Tintorettos Kunst-
betätigung bekannt, von denen das Museum bereits zwei
besaß.

Die vorliegende Serie befand sich in einem Album
mit schönem Einband aus dem 16. Jahrhundert und war
ursprünglich in Rom gesammelt worden, wie aus einem
zeitgenössischen schriftlichen Vermerk auf der ersten Seite
des Albums hervorgeht. Diese Eintragung rührt von der
Hand Don Gasparo d'Haro e Guzmans her, der spanischer
Gesandter beim Papste Innocenz XI. und noch 1682 Vize-
könig von Neapel war. Nicht uninteressant möchte es
sein, bei dieser Gelegenheit zu erwähnen, daß derselbe
Don Gasparo der Besitzer des sogenannten »Rokeby Ve-
Iasquez« war. Es scheint, daß ein Nachkomme des Ge-
nannten das Album nach dem spanischen Südamerika
brachte, woselbst es während mehrerer Generationen ver-
blieb und erst kürzlich nach England kam.

Durch das Klima und die Zeit hatte das Papier und
durch schlechten Firnis die Malerei gelitten, so daß der
Versuch gewagt werden mußte, beide Übelstände zu be-
seitigen. Einzelne Blätter wurden zu diesem Zweck aus
dem Album herausgenommen, das Papier geglättet und
gereinigt und der Firnis entfernt, eine Operation, die so
gut gelang, daß dieser Probeversuch nunmehr bei sämt-
lichen Blättern durchgeführt werden soll und man zu der
Hoffnung berechtigt ist, die interessanten Malereien in alter
Schönheit und zu neuem Leben erstehen zu sehen.

Das Interesse für diese Werke dürfte um so bedeuten-
der sein, als sie mehr Licht auf die Malweise des großen
Meisters werfen, der bisher als ein starker Improvisator
in seiner Kunst galt. Infolge der Schnelligkeit der Her-
stellung seiner Arbeiten erhielt er bekanntlich den Bei-
namen »II Furioso«. Sebastiano del Piombo sagt von

Tintoretto aus, daß dieser in zwei Tagen mehr malen
konnte, als er in zwei Jahren. Unter allen Umständen
war Tintoretto sehr ungleich in seinen Leistungen und
behaupteten die Venezianer scherzweise von ihm, daß er
mit drei verschiedenen Stiften zeichnete: Einem goldenen,
einem silbernen und einem solchen von Eisen. Die hier
in Betracht kommenden Vorstudien zeigen den Meister im
Gegensatz zu seiner sonstigen Gepflogenheit als einen müh-
samen und unermüdlichen Maler. \Es kann zwar nicht
geleugnet werden, daß jedes einzelne dieser figürlichen
Sujets und-Gruppen mit großer Schnelligkeit, teilweise so-
gar fliegend hingeworfen wurde, allein die vorhandenen
go Kompositionen verteilen sich nur auf etwa 15 ver-
schiedene Sujets, meistens andere Ideen für denselben
Gegenstand enthaltend. So z. B. finden wir allein für die
Figur des Heiligen in dem Bilde »Die Versuchung des
heiligen Antonius« 15 verschiedene Entwürfe und ebenso-
viel für die Formen der Dämonen. Die frühesten Anfänge
zu manchem der berühmtesten Gemälde Tintorettos können
hier gefunden werden, so unter anderen »Das Wunder des
hl. Markus«, »Das Wunder des sarazenischen Seemannes«
und auch solche Werke des Meisters, die zwar registriert
sind, aber der Vernichtung anheim fielen, wie z. B. »Neptun
und Tritonen Venedig die Schätze des Meeres darbringend«.
Eine andere Gruppe von Arbeiten in dem Album ent-
stand für ein wohl bisher nicht bekanntes Werk des Künst-
lers »Allegorie des Krieges«. Ferner sind folgende Dar-
stellungen in dem Album: »Die Kindheit des Herkules«,
eine Studie, die sich vielleicht auf das in der National
Gallery befindliche Werk »Der Ursprung der Milchstraße«
bezieht; alsdann »Huldigung der Künste und Krieger an
Bacchus«; »Diana und Calisto« und »Diana und Actäon«.
Unter den biblischen Sujets sollen wenigstens nicht uner-
wähnt bleiben: »Christus übergibt Petrus die Schlüssel«,
»Die Heilung des Sohnes der Witwe« und »Seelen aus
der Hölle erlöst«. Jedenfalls wird das Tintoretto-Album
dazu dienen: einerseits dem großen Venezianer gerechter
zu werden, andererseits seine Kunst — abgesehen von
Venedig — am eingehendsten im British Museum studieren
zu können. Wennschon die hier vereinigten go Malereien
Tintorettos, unter sich verglichen, ziemlich gleichwertig
sind, so wird schließlich in der Hauptsache auf die ge-
samte Kunst des Meisters bezogen, Annibale Carracci
mit seinem Ausspruch Recht behalten: »Obgleich er mit-
unter Tizian erreichte, so war er doch oft kleiner als der
große Tintoretto!« O. t>. SCHLEINITZ.

BERLINER AUSSTELLUNGEN
Die Januar-Ausstellung bei Paul Cassirer wirft mehr
eine Reihe von Streiflichtern auf die Entwickelungsmöglich-
keiten neudeutscher Kunst, als daß sie ein geschlossenes
Bild böte. Die Fragmentarischen überwiegen. Ob Max
Beckmann, der Schrecken harmloser Kunstgenießer, sich
jemals zu einer runden Künstlerpersönlichkeit zu entwickeln
vermag, bleibt auch hier, vor einer Reihe von vierzehn
Bildern und Studien, noch fraglich. Neben einem kolo-
ristisch sehr anziehenden Damenbildnis in Grau, Weiß
und tiefem Schwarz stehen Landschaften mit interessanten
Iuminaristischen Problemen, die fast immer an einer sehr
fatalen »Kalkigkeit« der Farbe scheitern. Ein leidenschaft-
liches Bemühen, die Natur ganz neu und ganz aus sich
heraus zu sehen, ist unverkennbar, ebenso jedoch ein ge-
wisser Mangel an Selbstkritik. Ein genialisches Wesen,
das sich vielfach hervortut, ist nicht sehr geeignet, dieser
Kunst echte Freunde zu gewinnen. Viel kraftvoller und
bewußter wirkt Emil Nolde, der diesmal besonders in der
Darstellung von Blumengärten schwelgt und seiner Palette
Farben von überraschender Glut zu entlocken vermag.
 
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