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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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St. Petersburger Brief
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Neuerwerbungen der Berliner Nationalgalerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0143

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2Ö3

St. Petersburger Brief

264

streut; ein dritter, z. B. die schöne Sammlung archi-
tektonischer Modelle und viele russische Skulpturen
vom Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts,
darunter Hauptwerke von Martos, Rochette, Koslowski,
war mehr oder minder im Depot versteckt. Ein
ahnungsloser Besucher durchwanderte die um den
runden Hof liegenden Säle des Hauptgeschosses und
bekam höchstens die langweiligsten Stücke russischer
Historienmalerei zu sehen, die der Akademie ver-
blieben als ihre besseren Sachen an das Mu-
seum Alexanders III. übergingen. Die längst ver-
griffenen Kataloge der Sammlungen kannte mancher
Freund der Akademie nur noch vom Hörensagen. Nun
weht aber frische Luft in den Sälen des akademischen
Museums, seit Emil Wiesel zum Konservator ernannt
wurde. Ohne viel Gerede begann Wiesel mit der
Herrichtung von Räumen im Erdgeschoß für die
niederländischen Gemälde, deren Existenz wohl bekannt
war, die aber eigentlich für Kunstwissenschaft und
Publikum von Alexander Neuströjew in seinem Auf-
satze in der Zeitschrift für bildende Kunst 1904 ent-
deckt wurden. Die bevorstehende Publikation einer
Auswahl aus der Galerie Küschelew in den »Galerien
Europas« wird freudig begrüßt werden. Die Revision
und Neuordnung des ganzen Bestandes des Mu-
seums werden hoffentlich unter Wiesels energischer
und umsichtiger Leitung guten Fortgang nehmen.
Besonders sei den Wünschen Ausdruck gegeben, die
kostbaren Gobelins, die größtenteils in vollständig
finsteren Räumen hängen, mögen eine würdige Auf-
stellung erfahren; die Galerie Kuschelew möge freier
und künstlerischer gruppiert werden und schließlich
Bouchers prächtiger Plafond möge aus seiner Ver-
bannung an die Decke eines halbdunkeln Saales er-
löst werden. Die ganze Arbeit wäre zweck- und
ziellos, wenn eine wesentliche Bedingung unerfüllt
bliebe: nämlich die, daß das Museum auch wirklich
sichtbar sei. Bisher pflegten die Museumsräume bald
von dieser bald jener Ausstellung verschiedener Künstler-
gesellschaften, an die sie vermietet wurden, ziemlich
während der ganzen Saison besetzt zu sein. Auf einen
Rapport des neuen Konservators beschloß der Konseil
der Akademie, fortab nur den eigenen Ausstellungen,
der Herbstausstellung der Schülerarbeiten und der
großen Akademischen Frühjahrsausstellung, die Mu-
seumsräume zu öffnen, von allen Vermietungen aber
abzusehen. Ein überflüssiger Protest in der Tages-
presse seitens einer Reihe von Künstlern, der sich auf
die statutenmäßige Pflicht der Akademie, das Aus-
stellungswesen zu fördern, berief, verhallte ungehört.
Dafür tauchte in den Kreisen der Akademie das Projekt
auf, den kreisrunden Hof des Akademiegebäudes in
der Höhe des Mittelgeschosses mit einem Glasdache
einzudecken und in ihm radial angelegte Ausstellungs-
säle einzurichten. Wer mit Petersburger Lichtverhält-
nissen ein wenig vertraut ist, mußte sich sagen, daß
dieses Lokal nur bei künstlicher Beleuchtung zu be-
nutzen wäre. Außerdem wäre den anstoßenden Räumen
im Erdgeschosse des Akademiegebäudes alles Licht
entzogen worden. Aber vor allen Dingen, welche
Verballhornung des immerhin ganz imposanten Ge-

bäudes selbst, wenn das Zentrum seiner Anlage in
sinnwidriger Weise zu einem parzellierten Oberlicht-
saale verwandelt worden wäre. Zum Glück ist dieses
Projekt abgelehnt worden und die Akademie hat be-
schlossen, auf ihrem Grundstücke neben dem Hauptbau
ein spezielles Ausstellungsgebäude zu errichten. Ein
nach modernen rationellen Gesichtspunkten gebautes
Ausstellungsgebäude fehlt uns entschieden. Eine
Monstrekonstruktion wie der Münchener Glaspalast
kann auf dem disponiblen Platze nicht errichtet werden,
also bleiben wir vor Monstreausstellungen sicher.
Die gewohnten Separatausstellungen werden aber in
Zukunft ein gutes Unterkommen finden können. Das
Museum der Akademie wird entlastet und wirklich
besuchbar werden und die Mühe der Reorganisation
wird sich verlohnen. Sie verspricht dann eine große
Erweiterung des künstlerischen Horizontes unseres
Publikums nach verschiedenen Richtungen. Die alten
Niederländer werden sich als willkommene Ergänzung
der Ermitage vorteilhaft präsentieren; die russische
Galerie wird durch entsprechende Umhängung und
Gruppierung die zeitgenössische Kunst^des Landes
vertreten können; die Galerie Küschelew wird ihrer
wahren Aufgabe nachkommen können, die einzige
Repräsentantin westlicher Kunst in Petersburg zu sein;
die plastischen Werke werden von russischer und aus-
wärtiger Kunst intensiver Kunde geben; die Sammlung
architekturhistorischer Modelle, die Sammlung der Ab-
güsse und die Sammlung von Gemäldekopien, werden
für alle Leser kunstgeschichtlicher Literatur (und wer
zählt auch bei uns aus der gebildeten Gesellschaft nicht
dazu?) eine wertvolle Ergänzung anschaulicher Art zu
den durch Lektüre erworbenenen Kenntnissen bringen.
Mit dem letzten Satze verstoße ich nun gegen die
moderne ästhetische Dogmatik. Was können Modelle,
Abgüsse und gar Bilderkopien nützen? Mir scheint
mehr als Klischeedrucke, von denen doch die Mehr-
zahl der durchschnittlichen Kunstinteressenten ihre
Anschauung nährt. Vor Kopien nach Raffaels Stanzen-
bildern in Farbe und Größe des Originals läßt sich
besser zu einem mit populärer kunstgeschichtlicher
Literatur infiltrierten Auditorium sprechen, als vor
dem besten Skioptikonbilde und vor einem Abguß
von Michelangelos Moses besser als vor jeder Photo-
graphie. Da nun das Führungswesen bei uns einen
großen Aufschwung zu nehmen beginnt, nicht nur
unsere Pädagogen die Verpflichtung fühlen, ihre Zög-
linge mit den hauptsächlichsten Schätzen unserer
Museen bekannt zu machen, sondern die verschieden-
sten Vereine und Gesellschaften für ihre Mitglieder
Museumsgänge zu arrangieren beginnen, können die
drei akademischen Sammlungen von Reproduktionen
insofern vonNutzen sein,als sieanschaulicheNäherungs-
werte dort verbreiten können, wo sonst nur gedrucktes
Wort und Bild trockenes Wissen erzeugten, —ehm.—

NEUERWERBUNGEN DER BERLINER
NATIONALGALERIE

Es ist kein pathetischer Lynkeus, dieser Schwindsche
»Türmer«, eher ein Verwandter Ludwig Richterscher
Einsiedlerphilosophen. Wohlvermummt schaut er von
 
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