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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [2]
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291

Pariser Brief

292

wenn man vorher die Kunstausstellung im Cercle
Volney gesehen hat. Über diese Cercle-Ausstellung
wollen wir keine Worte mehr machen. Von Jahr zu
Jahr sieht es da mehr nach Parfumeur, Coiffeur und
Modist aus, als nach Maler und Bildhauer, und man
kann kühnlich behaupten, daß die Wachsbüsten in den
Schaufenstern der Coiffeure, und die Modellpuppen
der großen Schneider mindestens ebensoviel wahre
Kunst zeigen, als die in den Cercle-Ausstellungen ge-
zeigten Bilder und Skulpturen.

Anders ist es bei den Quelques. Wollten wir
bei den Femmes artistes die Inferiorität der Frauen
besiegelt sehen, so werden wir von den »Quelques«
schnell eines Besseren belehrt. Hier sind mindestens
zehn oder zwölf Künstlerinnen, die hoch über dem
männlichen Durchschnitt stehen. Ganz besonders
tüchtig zeigen sich diese Malerinnen in der Zusammen-
stellung von ebenso starken wie interessanten Farben-
harmonien, und wahrscheinlich liegt der Kolorismus
den Frauen mehr als die Zeichnung, was man sehr
wohl aus physiologischen und psychologischen Gründen
erklären könnte. Sicher ist, daß wir bei den Quelques
zwar keine einzige große Zeichnerin, aber gleich ein hal-
bes Dutzend sehr beachtenswerter und tüchtiger Kolo-
ristinnen finden. Ganz ausgezeichnet ist zum Beispiel
der grün und gelb gestrichene Kahn, der sich in
dem Wasser eines holländischen Kanals spiegelt, und
ebensogut ist das holländische Interieur mit den
blaugrünen Möbeln von E. Bfistol-Stone. Olga de
Boznanska hat ein sehr gelungenes weibliches Bildnis,
Marie Bermond ein ansprechendes und anmutiges
Pastell, Alice Dannenberg mehrere in Farbe und
Bewegung gleich vortreffliche Bilder von spielenden
Kindern aus dem Luxembourggarten. Germaine Druon
versteht es, ihre Interieurs mit sanften Lichtwellen
zu durchfluten und den anziehenden Geist des Hei-
mes in ihre weichen Harmonien zu bannen, Jeanne
Duranton arrangiert ihre Stilleben vortrefflich und
zeigt sich ebenfalls als ausgezeichnete Koloristin, be-
sonders in einem Bilde, wo eine Vase mit Blumen
auf einer brandroten Kommode steht. Florence Este
macht eine Ausnahme: sie ist weniger Koloristin als
dekorative Silhouettenkünstlerin. Erna Hoppe zeigt
sich mit einem strickenden Mädchen im sonnigen
Baumgarten als talentierte Freilichtmalerin, Martha Stett-
ier und Elsa Weise, die wir von den größeren Frühjahrs-
ausstellungen wie aus dem Herbstsalon kennen, sind
mit sehr guten Kinderbildern vertreten, wovon die
»Kleine Venus« und die »Kinderstudie« von Elsa
Weise koloristisch besonders gut gelungen sind.
Die ebenfalls aus anderen Ausstellungen bekannte Toch-
ter Eugen Carrieres, Lisbeth Devolve Carriere, zeigt
wieder eine Anzahl ihrer in duftige Nebelschleier gehüll-
ten Blumenbilder. Alles in allem eine sehr interessante
und gute Ausstellung, die dem Besucher manche
Überraschung bringt und ihm manchen neuen Namen
vorführt, der des Behaltens wert ist. Ausstellung folgt
jetzt auf Ausstellung, kaum ist der Saal geräumt, so
zieht schon ein anderer Künstler ein, und allen und
jeden Tag kann man jetzt in Paris eine neue Kunst-
ausstellung besuchen. Eben erst haben wir die unter

dem Namen »Quelques« ausstellenden Künstlerinnen
in der Galerie des artistes modernes besucht, und schon
werden wir aufs neue geladen, um an dem nämlichen
Orte die Zeichnungen und Gemälde von D. O.^Widhopff
zu sehen. Wer in den letzten zehn Jahren den Mont-
martre bewohnt oder auch nur besucht hat, der kennt
Widhopff: klein und rund, ein Stupfnäschen, lachende
braune Augen, ein gewaltiger schwarzer Bart. So
sieht er aus. Man kennt ihn auch aus dem Courrier
francais, wo er neben Willette allwöchentlich ein paar
Blätter liefert. Und man kennt ihn aus den Künstler-
festen, vom Bai des Quat-z-arts zum Beispiel, wo er
als Kosak erscheint und einen russischen Tanz in der
Kniebeuge aufführt, der eiserne Beinmuskeln erfordert.
Widhopff ist vermutlich deutscher Abstammung, denn
wo sollte er sonst seinen Namen herhaben, aber er
sieht aus wie ein wohlgenährter und lebenslustiger
russischer Pope und er ist in Odessa geboren. Dann
kam er nach München auf die Akademie, und als er
da ausgelernt hatte, wanderte er geradeswegs nach
Brasilien aus und wurde drüben wenn nicht Akademie-
direktor, so doch Professor an einer Malakademie.
Nachdem er das eine Weile getrieben hatte, fiel ihm
ein, daß es am Ende doch besser sei, wenn er vor-
her sein Handwerk ordentlich erlernte, und er kam
nach Paris und quälte sich bei Julian. Dann kam
er an den Courrier francais und gehört nun schon
seit manchem Jahre zu den bekanntesten Zeichnern
und Illustratoren von Paris. Ein jeder Zeichner und
Illustrator aber hat eine Krankheit gerade wie ein
jeder Journalist. Der Journalist träumt von Romanen
und Dramen, von Büchern und mehrbändigen Werken,
die er schreiben möchte, der Illustrator aber möchte
Bilder malen und ganze Wände mit Ölfarbe bedecken.
Es ärgert den einen wie den andern, daß das große
Publikum sein Gebiet für minderwertig hält, obgleich
der Zeichner und der Journalist, der etwas taugt, sehr
wohl weiß und fühlt, daß es viel, viel schwerer ist,
eine gute Zeichnung oder einen guten Artikel fertig
zu bringen als ein mittelmäßiges Bild oder Buch.
Also will der Illustrator malen, und so hat Widhopff
hier gleich nahezu zweihundert Ölgemälde ausgestellt,
Landschaften, Porträts, Akte, Volkstypen, kurz alles,
was einem aufmerksamen Beobachter in Stadt und
Land auffallen kann. Die Sachen sind nicht alle
gleich gut, aber einige davon sind vortrefflich, und
alle stehen über dem Durchschnitt. Es jst möglich
und wahrscheinlich, daß der für den Tag arbeitende
Schriftsteller und Zeichner etwas flüchtig und eilig
wird und sich nicht die Ruhe läßt, ein Werk ordent-
lich ausreifen zu lassen. Diesen Vorwurf könnte man
gegen manche der hier gezeigten Arbeiten erheben,
die allzu skizzenhaft aussehen. Dagegen aber sind
andere, besonders einige kleine Landschaften, drei
oder vier Bildnisse und dann die entzückenden Dar-
stellungen von allerhand Montmartretypen, einfach
vollkommen, und Willette selbst, der ein prächtiges
Vorwort zu dem Kataloge dieser Ausstellung ge-
schrieben hat, könnte sie nicht besser malen. Wid-
hopff hat sehr recht getan, diese Ausstellung zu
machen und den Leuten zu zeigen, daß er nicht nur
 
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